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REGION WIELOCHS WIRRE WELT (126)

Das ist Telekomisch: Wie der Rosa Riese Bindfaden-Telefonie als Innovation verkauft

"Wielochs wirre Welt" erscheint bei OSTHESSEN|NEWS heute am 124. Freitag in Folge. Jochen Wieloch blickt dabei (39) pointiert, humorvoll und teilweise mit einer gehörigen Portion Ironie auf die Ereignisse, die die Menschen in der Region und im Land bewegen. Der Petersberger kennt sich als selbstständiger Redakteur in den Medien Print, TV und Internet bestens aus, ist Buchautor und als Spezialist für Unterhaltungselektronik gefragter Autor für zahlreiche Verlage, Magazine und Fachzeitschriften. Außerdem berät und betreut der 39-Jährige Unternehmen in allen Fragen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Neben dem ZDF, 3sat und dem Bayerischen Rundfunk arbeitete Jochen Wieloch unter anderem auch für die Motor Presse in Stuttgart und auto-tv in München.

08.04.16 - Ich gebe es zu: An dieser Stelle hantiere ich gerne mit spitzer Feder, übertreibe, pointiere, schrecke vor Ironie und Satire nicht zurück. Damit ist ab sofort Schluss. Die Ereignisse der vergangenen Tage haben mir schonungslos vor Augen geführt, wie klein und bedeutungslos meine kabarettistischen Fähigkeiten sind. Herausragende glossistische Kompetenz, um zahlende Kunden grandios auf den Arm zu nehmen, besitzt in diesem Land nur eine: die Telekom.

Grundlage des Gag-Feuerwerks ist ein simpler Anbieterwechsel von Unitymedia zum Spaßkonzern Telekom. Die Liste der Pannen, Märchen, Unwahrheiten, leeren Versprechen, Inkompetenzen und Vertröstungen würde in chronologischer Reihenfolge aufgearbeitet mindestens die komplette Brockhaus-Enzyklopädie vom Umfang her toppen. Beschränken wir uns deshalb auf den Status quo: Mittlerweile funktioniert es, zumindest ein bisschen. Raustelefonieren klappt, angerufen werden ist ein Ding der Unmöglichkeit und eine hochkomplexe Zusatzfunktion, die die Telekom-Techniker an den Rand ihrer Möglichkeiten treibt. Die finale Reaktion des Kundendienstes: „Da können wir Ihnen auch nicht helfen!“

Bei Feuerwehr und Polizei sähe das Szenario jetzt so aus: Die Männer und Frauen könnten zwar mittags und abends ihre Pizza bestellen, wer allerdings zusehen muss, wie gerade seine Hütte abbrennt oder ein Einbrecher die Wohnung ausräumt, der hat ein Problem. Unangenehm, wenn dann nach dem Wählen der 110 eine freundliche Frauenstimme dem Zeugen eines Banküberfalls erklärt, dass diese Nummer nicht vergeben ist.

Der Weltkonzern wäre nicht Branchenführer, würde er auf Kritik nicht reagieren: Die Telekom wird deshalb ab Montag ihre zukunftsweisenden Technologien Entertain, Smart Home, IP- und Hybrid-Telefonie um einen innovativen Bausatz erweitern: Für 14,99 Euro monatlich können Kunden das Komplettset „Jo to go“ mieten. Dieses besteht aus zwei leeren Joghurtbechern, einem Bindfaden und wird mit dem Slogan „Call in two directions now“ beworben. Heißt: Man kann nicht nur anrufen, sondern auch angerufen werden. Fantastisch! Für Ferngespräche ist ab Mai für monatlich 29,99 Euro „Call Schlau“ zu haben, ein Paket aus zwei Trichtern und einem Gartenschlauch.

Eine weitere Stärke der unangefochtenen Nummer 1 im Telekommunikationssektor: Sie ist absolut schmerzfrei. Trotz tagelangen Dauerzoffs mit dem Rosa Riesen meldete sich jetzt ein freundlicher Herr, um meine positiven Erfahrungen mit der Telekom detailliert zu hinterfragen (dieser externe Anruf ließ sich dubioserweise technisch realisieren). Auch hier untermauerte das Unternehmen seine humoristische Vormachtstellung: Thematisiert werden sollte unter anderem meine Zufriedenheit mit der Pünktlichkeit des Technikers, dem die Telekom den doch extrem eng bemessenen Zeitrahmen zwischen 8 und 18 Uhr am Tag der Umstellung eingeräumt hatte. Hier pünktlich zu sein ist fast nicht möglich.

Natürlich rolle ich der armen Sau aus dem Callcenter den roten Teppich aus. „Kleinen Moment, ich bin gleich für Sie da“, begrüße ich den Kerl und lege schnell „Die vier Jahreszeiten“ von Vivaldi als entspannende Warteschleifen-Musik auf. Zwischenzeitlich mähe ich den Rasen, lerne Klavier und besuche einen Kochkurs. Alle fünf Minuten säusele ich Sätze wie „Der nächste freie Mitarbeiter ist für Sie reserviert“, „Ich bin rund um die Uhr für Sie da“ oder „Wieloch – Erleben, was verbindet“ in den Hörer. Nachdem auch Vivaldis Winter zum siebten Mal erklungen ist, melde ich mich wieder persönlich und frage nach Kundennummer, Geburtsdatum, Allergien, Schuhgröße, Deutschnote der Tochter in der dritten Klasse, Lieblingsfarbe, Haustieren, Vorerkrankungen, den beliebtesten Reisezielen und dem Mädchennamen der Exfrau. Als der Telekom-Beauftragte selbst was loswerden will, lege ich auf. Schließlich schaut man sich von seinen Vorbildern ja was ab.

Der Mann gibt nicht auf. Im zweiten Anlauf wird er so lange mit Mendelssohns Violinkonzert vertröstet, bis ich neue Sommerreifen gekauft, auf die Alufelgen aufgezogen und am Auto montiert habe. „Ob ich die Telekom meinen Freunden und Bekannten weiterempfehlen würde“, will der Callcenter-Agent wissen. Eine komplizierte Frage. „Da muss ich Sie leider an die Fachabteilung weiterleiten“, antworte ich und entscheide mich für das beruhigende Gedudel „Wale und Delphine: Soundkünstler im Ozean“. Die Ansprechpartnerin des zuständigen Bereichs interne Kommunikation, meine Frau, ist gerade zum Schuhekauf unterwegs. Das kann dauern. Jetzt ist sogar ein Uralt-Rekord aus dem Jahr 2007 in Gefahr: Damals hing – und das ist wie alles heute bitterer Ernst – eine 51-jährige Britin erfolglos 20 Stunden lang in der Hotline der British Telecom… (Jochen Wieloch)


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