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BURGHAUN Gretchenfrage: Cäcilia oder Harmonie?

Im Sängerdorf singen Steinbacher im Alter von 0 bis 92

22.12.16 - Lieder trällern gehört für viele zum Advent wie Plätzchen oder Kerzenlicht. In Steinbach unterdessen wird das ganze Jahr hindurch gesungen. Dort kann man an jedem Werktag (außer zurzeit mittwochs) zur Chorprobe gehen: Das 1400-Seelen-Dorf bei Burghaun verfügt über zwei Gesangvereine mit insgesamt neun Chören und darüber hinaus über einen eigenständigen Kirchenchor.

Dies dürfte nicht nur im Landkreis Fulda einen Rekord darstellen. Hinzu kommen ein musikalischer Kindertreff, Kinder-Chorprojekte und musikalische Früherziehung. Das Altersspektrum der in den Gesangvereinen Aktiven liegt zwischen sechs Monaten und 92 Jahren. „Rund 14 Prozent der Einwohner singen in mindestens einem der Chöre“, hat Thorsten Pirkl ausgerechnet, der seit 2011 den Gemischten Chor „akCente“ des MGV Cäcilia 1900 leitet. Manche singen sogar in mehreren Chören, so wie Markus Gutberlet, Vorsitzender des Sängerchors Harmonie, mit seinen Erfahrungen in Männerchor, Gemischtem Chor und Kirchenchor. „Hier singe ich den ersten Bass, dort den zweiten – da erwische ich mich selbst manchmal beim Fremdgehen“, verrät er augenzwinkernd.

Ursächlich ist es einem alten Streit zu verdanken, dass das vergleichsweise kleine Dorf gesanglich so breit aufgestellt ist und zahlreiche Stilrichtungen der Chormusik abbilden kann. 1900 war der MGV Cäcilia gegründet worden, 26 Jahre später nach einem vereinsinternen Zwist der Sängerchor Harmonie. Einen Männerchor besitzen beide, ebenso einen Gemischten Chor. Zur Harmonie gehört zudem ein Frauenchor, den Hermann-Josef Schwarz 1980 ins Leben gerufen hat. Vor 46 Jahren hatte der Fuldaer den Männerchor übernommen; außerdem leitet er den großen Gemischten Chor und den Gemischten Chor „KlangArt“, der sich modernen Stücken widmet. Auch Susanne Heiderich, die Leiterin des Kirchenchors St. Matthäus, und Dagmar Schröter, Leiterin des Kinderchores der Harmonie, haben bei Schwarz, der den Titel „Chordirektor ADC (Arbeitsgemeinschaft Deutscher Chorverbände)“ trägt, Singen gelernt. „Die Kontinuität ermöglicht uns, anspruchsvolle Stücke auszuwählen“, erläutert Gutberlet und nennt als Beispiel ein achtstimmiges Werk von Mendelssohn Bartholdy, das zuletzt beim Kirchenkonzert in diesem November anlässlich des 90-jährigen Vereinsjubiläums vorgetragen wurde.

Doch diese durchgängige Arbeit sehen die sechs Chorleiterinnen und -leiter beider Vereine gefährdet. Denn – wie fast überall – fehlt auch in Steinbach infolge des demografischen Wandels und des Zeitgeists der Nachwuchs. Zwar besuchen etwa 40 Kinder zwischen 0 und sechs Jahren die musikalische Früherziehung der Harmonie, doch zählt der Kinderchor nur 20 junge Sänger. „Wir kennen das Problem“, berichtet Martin Gabel, einer der vier Vorsitzenden des MGV Cäcilia. Deswegen legt sein Kinderchor seit Kurzem den Schwerpunkt auf Projektarbeit – „mit guter Resonanz“.


Beide Kinderchöre zusammenzulegen, steht für die Vorstände dagegen nicht zur Debatte. Sorgt doch der Kinderchor dafür, dass neue Mitglieder in die anderen Gesangsgruppen hineinwachsen; auf diese Basis verzichtet freiwillig keiner der Vereine, die sich in „gesunder Konkurrenz zueinander befinden“, wie Pirkl beschreibt. Doch auf lange Sicht hält der gebürtige Künzeller einen eigenständigen „Förderverein Kinderchor“ für möglich. Dieser könnte eine Klammerfunktion übernehmen ähnlich dem Kirchenchor, in dem Mitglieder von Cäcilia und Harmonie gemeinsam singen. Doch zunächst hoffen die Vereine auf neue Mitglieder – auch aus den Nachbardörfern.

Als Fotograf Karl-Heinz Burkhardt vor zwei Jahren von Schlotzau nach Steinbach zog, blieb ihm die Gretchenfrage „Cäcilia oder Harmonie?“ erspart: Sein Schwiegervater hatte ihn längst ohne sein Wissen beim MGV Cäcilia angemeldet und jahrelang heimlich die Beiträge entrichtet. Mit seinem Renteneintritt hatte Burkhardt endlich Zeit, die Proben des Männerchors im Vereinshaus „Sängerschmiede“ zu besuchen. Jeden Donnerstag singt er dort unter Anleitung von Natalie Schmidt den „Zweiten Bass“. „Ich habe dort das Durchschnittsalter gesenkt“, sagt Burkhardt. Der Betagteste unter den 35 Männern heißt Emil Ludwig. Der 92-Jährige ist mit seiner 68-jährigen Vereinszugehörigkeit sogar kreisweit der älteste aktive Vereinssänger. Was für jenen Routine ist, bedeutet für Burkhardt Neuland. „Ich versuche, das durch Üben zu Hause wettzumachen“, erzählt er.

Bei der Harmonie zählt der älteste Sänger 78 Lenze. „Zwei Drittel unserer Aktiven haben schon im Kinderchor gesungen“, betont Hermann-Josef Schwarz. „Dieser hat 2016 sein 50-jähriges Bestehen gefeiert und ist damit der älteste Vereinskinderchor im gesamten Landkreis.“ Burkhardt erinnert sich an ein altes Foto, das er von einem Auftritt des Kinderchors gemacht hat. „Erst vor kurzem habe ich entdeckt, das da meine spätere Frau Ursel drauf ist. Aber damals war sie mir noch nicht aufgefallen“, gesteht er schmunzelnd.

Zwei andere dagegen haben über die Musik zueinander gefunden: Nach einem Kirchenkonzert wurde Organist Pirkl bei der Vorsitzenden des Kirchenchors, Waltraud Vogt, zum Essen eingeladen und lernte dort deren Tochter Maria kennen. „Mittlerweile führen die beiden eine Mischehe“, scherzt Martin Gabel: „Thorsten ist Chorleiter bei der Cäcilia, Maria singt bei der Harmonie.“ Und ihr Sohn musiziert in der „Rasselbande“ der Harmonie. +++

 


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