Archiv

FULDA Schicksalstag 11. September 1944

Als Rudolf Kreß' Vater wegen einer Postkarte zur Gestapo musste

27.09.18 - Es ist um die Mittagszeit, als Rudolf Kreß am 11. September 1944 als Wachposten auf das Dach der Firma Rübsam geschickt wird. Der Fliegeralarm ist bereits zu hören, einzig mit einem Fernglas in der Hand steht der damals 17-Jährige auf dem Dach der Wachswarenfabrik und hält Ausschau nach den Bombern der Alliierten. 74 Jahre später erinnert er sich noch lebendig an jenen schicksalshaften Tag sowie die Zeit des NS-Regimes. Wir haben den 91-Jährigen bei der alljährlich stattfindenden Gedenkfeier zu den Bombardierungen am Gemüsemarkt getroffen.

Rudolf Kreß war 17 Jahre alt, als er die Bombardierung am 11. September 1944 auf Fulda ...Fotos: Leyla Rommel

Kreß war Lehrling bei der Wachswarenfabrik Rübsam - große Teile wurden am 11. September ...Fotos: Leyla Rommel

An jenem Schicksalstag wurde Kreß auf das Dach als Wachposten geschickt ...

Rund 25 russische Zwangsarbeiterinnen waren in der Fabrik tätig

Die Villa der Familie Rübsam vor der Bombardierung in der Königstraße ...Fotos (2): Stadtarchiv Fulda

Die Firma Rübsam nach der Bombardierung

Heute steht an der Stelle das Finanzamt

Viele Bunkerlichter wurden in der Wachsfabrik Rübsam hergestellt

1927 geboren erlebt Kreß die Kriegsjahre als Jugendlicher, ist verpflichtet, der Hitlerjugend (HJ) beizutreten. „Jeden Mittwoch und Samstag traf man sich um drei Uhr am Heinrich-von-Bibra-Platz“, sagt der heute 91-Jährige. „Man konnte sich zu einer Gefolgschaft anmelden, wie der Marine-HJ, der Feuerwehr HJ oder der Motor-HJ.“ Für jede bestandene Prüfung wurden die Jugendlichen mit Abzeichen von Bronze bis Gold ausgezeichnet, die man sich an die Ärmel aufnähte. „Ab 1937 musste man einen Monatsbeitrag von 25 Pfennigen zahlen. Dafür konnte man schon drei Brötchen kaufen, als Lehrling hat man nicht besonders viel verdient.“ Gemeinsam marschierten die Jugendlichen auf den Rauschenberg, lernten in Spielen, sich im Gelände zu orientieren, auch bei Nacht anhand von Sternen. Dem eigentlichen Zweck dieser Spiele, nämlich der Kriegsvorbereitung sei man sich in dem jungen Alter nicht bewusst gewesen, die Geländespiele galten vielmehr als  aufregende Freizeitbeschäftigung.

Den Docht stellte man aufgrund von Materialknappheit aus Pappe her

Der Eintritt in die Hitlerjugend wurde ab 1939 verpflichtend

Weitgehende Teile des Fabrikgebäudes wurden zerstört, darunter das Kesselhaus, ...

„Man konnte sich der Propaganda nicht entziehen“, sagt Kreß zurückblickend. „So erzählte man uns auch, die Polen hätten den Krieg angefangen, nicht die Deutschen. Es gab schließlich keine Möglichkeit, sich anders zu informieren, alles war gleichgeschaltet.“ Der Weg, um an Nachrichten zu gelangen, verlief hauptsächlich über das Radio. „Unser Vater hat zum Ende des Kriegs hin auch Feindsender wie BBC gehört, das war unter Todesstrafe verboten - da mussten wir alle aus dem Zimmer raus. Vater legte dann eine Decke über den Kopf, damit wir nichts mitbekamen.“

Der Mitgliedsausweis der Hitlerjugend, der alle Jungen zwischen 14 und 18 beitreten ...

Die monatliche Beitragszahlung der Hitler Jugend betrug 25 Pfennige und wurde in einem ...

Essensmarken wurden in der Kriegszeit für jede Familie ausgeteilt

Viele Erinnerungen kommen zurück

Der Splittergraben zog sich dort entlang, wo heute das Landgericht Fulda steht ...

Kreß konnte sich rechtzeitig im Splittergraben verstecken

Eine Begegnung mit der gefürcheten Gestapo, der Geheimen Staatspolizei bleibt der Familie schließlich nicht erspart. „Wir haben 1944 ein paar böse Wochen durchgemacht“, erinnert sich Kreß. „Mein Bruder war im Osten als Soldat stationiert und schickte uns einmal eine Postkarte, dass es ihm gut gehe und er gesund sei. Daraufhin schrieb unser Vater zurück und fragte, wo er sich denn gerade befinde.“ Eine einzige Postkarte ließ die Gestapo aufhorchen, Kreß‘ Vater wurde in die Räumlichkeiten in der Heinrichstraße bestellt. Heute ist die IHK in dem Gebäude ansässig. „Damals ging alles über Feldpostnummern, man wusste nicht, wo das Kind ist. Doch die Geheime Staatspolizei fragte, weshalb unser Vater diese Information wissen wolle. Es könne ihm doch egal sein, wo sein Sohn ist, ob er in Norwegen, in Afrika, oder im Osten sei. Er wurde verhört, als sei er ein Spion.“ Kreß‘ Vater hatte im Gegensatz zu anderen jedoch Glück und wurde nach dem Vorfall in Ruhe gelassen. „Wer einmal mit der Gestapo zu tun hatte, war für gewöhnlich verloren, das wusste jeder. Sie konnten einen verhaften, erschießen - da galt kein Gesetz.“

Abzeichen der Hitlerjugend reichten von Bronze bis Gold

Arbeiten in der Firma Rübsam Fotos (3): Stadtarchiv Fulda

Kreß begann während der Kriegsjahre eine kaufmännische Lehre bei der Wachswarenfabrik Rübsam in der Königstraße. Dort waren auch rund 25 russische Zwangsarbeiterinnen beschäftigt, genau wie viele weitere nach Deutschland verschleppte Kriegsgefangene in den drei anderen Kerzenfabriken Fuldas. „Das Dorf der Mädchen war bereits mehrere Monate von der Wehrmacht besetzt“, so Kreß über die Geschichte der jungen Frauen. „An einem Tag wurden sie mit einem Lastwagen abtransportiert, ohne zu wissen, wo es hingeht, ganz plötzlich. Sie kamen dann hierher.“ 

Der große Schrecken kam bei den Bombenangriffen am 11. September 1944. Kreß schaffte es, sich rechtzeitig im Splittergraben vor dem Frimengebäude zu verstecken, ehe die Bomben fielen. Er hatte Glück - aber der Keller, in den die russichen Mädchen eilten, wurde von einer Bombe getroffen. Alle waren augenblicklich tot. Noch mehrere Tage lang bleiben ihre Leichen zwischen den Trümmern liegen, die Stelle wurde zunächst mit Kalk abgedeckt. Kreß musste jeden Tag daran vorbeilaufen. „Es waren schlimme Bilder, die man gesehen hatte, vieles war zerstört. Doch das Leben ging weiter, allen ging es so“, sagt Kreß. „Man war einfach froh und dankbar, verschont worden zu sein."

Offen über die Geschehnisse der schlimmen Zeit sprechen, statt zu schweigen, das ist Kreß wichtig. Er möchte die Erinnerungen wachhalten, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. (Leyla Rommel) +++


Über Osthessen News

Kontakt
Impressum

Apps

Osthessen News IOS
Osthessen News Android
Osthessen Blitzer IOS
Osthessen Blitzer Android

Mediadaten

Werbung
IVW Daten


Service

Blitzer / Verkehrsmeldungen Stellenangebote
Gastro
Mittagstisch
Veranstaltungskalender
Wetter Vorhersage

Social Media

Facebook
Twitter
Instagram

Nachrichten aus

Fulda
Hersfeld Rotenburg
Main Kinzig
Vogelsberg
Rhön