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Marianne Sägebrecht ermutigt, das Sterben wieder ins Leben zu holen
28.08.19 - Die Evangelische Stadtkirche in Bad Hersfeld ist an diesem schwülen Montagabend voll besetzt. Gekommen sind Frauen und Männer, die sich für die charismatische Schauspielerin Marianne Sägebrecht interessieren und sie hautnah als Autorin erleben wollen. Als Schauspielerin steht sie in dieser Festspielsaison in Kafkas „Der Prozess“ als Haushälterin auf der Bühne. Zahlreiche Ensemblemitglieder wie Karsten Speck, Ingrid Steeger, Markus Majowski, Ronny Miersch, Corinna Pohlmann und auch Intendant Joern Hinkel sind ebenfalls anwesend. Initiiert und organisiert von der Hoehlschen Buchhandlung liest Marianne Sägebrecht aus ihrem neuen und gleichzeitig persönlichsten und wichtigsten Buch mit dem Titel „Ich umarme den Tod mit meinem Leben“, erwachsen aus den Erfahrungen in der Sterbebegleitung als junges Mädchen und ihrem langjährigen Engagement in der Hospizbewegung.
„Meine Güte!“ Marianne Sägebrecht wirkt aufgewühlt angesichts des großen Interesses an ihrer Lesung und dankt allen Besuchern für ihr Vertrauen. Es war der Wunsch der Katholikin Marianne Sägebrecht, in der Evangelischen Stadtkirche zu lesen. Auch die Teilnahme von singenden Kindern war der Schauspielerin sehr wichtig und so haben die zauberhaften „Musikmäuse“ und die „Kantorettis“ die große Ehre, „die Himmelstüre aufzuschließen“. Marianne Sägebrecht liest zunächst den Prolog, um dann das erste Kapitel ihres Lebens aufzuschlagen: Ihre Geburt am 27. August 1945 am Starnberger See in der kleinen Wohnung der Hebamme Annegreth, über die sie als „Ich-Erzählerin“ berichtet.
Ein Blick in den Kalender bestätigt, dass Marianne Sägebrecht gestern Geburtstag feierte. Die 74-Jährige liebt das Leben in all seinen Facetten, begeistert sich leidenschaftlich für andere Menschen, für Geschichten und die großen und kleinen Fragen des Lebens. Helfen spielt eine zentrale Rolle in ihrem Leben, sie schätzt die Menschen zu ihren Lebzeiten, tut ihnen Gutes und ist für sie da. Als Patin engagiert sie sich für den Christophorus Hospiz Verein in München. Eigenwillig, unbestechlich und bodenständig schildert sie in ihrem neuen Buch ihre eigene Sicht auf die Dinge. Mit ihren feinsinnigen Beschreibungen kommt sie den Leserinnen und Lesern ganz nah und verzaubert sie durch ihre besondere Wahrnehmung mit der Sprache ihres Herzens. Wer diese nicht versteht, könnte den Schreibstil durchaus als sehr eigenwillig beschreiben.
Schon in frühester Kindheit hat sie den Tod als natürlichen Begleiter kennengelernt. Am Tag ihrer Geburt erreichte die Familie die Nachricht vom Tod ihres Vaters, der nicht wie erhofft aus dem Krieg zurückkehrte. Angeregt von einem von ihr verehrten Kaplan hat sie schon in der Schulzeit begonnen, Menschen in ihren letzten Stunden zu begleiten. Ausführlich berichtet sie über den Sterbeprozess von Hedwig, den sie bis zum letzten Atemzug begleitet hat. Für Marianne Sägebrecht ist es bis heute wichtig, da sie ja eine alte Seele ist, allen Menschen einen friedlichen, angst- und sorgenfreien Übergang zu verschaffen. Unerschütterlich vertritt sie den Glauben an Gott, an die Unsterblichkeit der Seelen, an das Gute im Menschen und an die Kraft der Liebe. Und ermutigt, das Sterben wieder ins Leben zu holen.
Marianne Sägebrecht erreicht mit ihren Worten die Besucher, es ist mucksmäuschenstill in dem großen Gotteshaus während der Lesephasen, aber leider war die Autorin nicht auf allen Plätzen akustisch gut zu verstehen. Wer selbst gläubig ist, fühlt sich von dem Buch ganz sicher angesprochen. Rein wissenschaftsorientierte Zeitgenossen sollten einen großen Bogen um dieses kluge, lebenserfahrene Buch einer im Wortsinn liebevollen, faszinierenden Frau machen. Marianne Sägebrechts Freundin Andrea Schuhmacher aus München begleitete die Lesung aus dem Buch, das die Autorin der Hospizbewegung gewidmet hat, einfühlsam mit berührendem Geigenspiel. Passend zum Thema informierte der örtliche Hospizverein über sein segensreiches Engagement. Alles in allem ein Abend, der in ewiger, hoffnungsfroher Erinnerung bleibt, zum Nachdenken anregt und Impulse gibt.
Am kommenden Freitag besteht letztmalig die Gelegenheit, Marianne Sägebrecht als Haushälterin Frau Grubach auf der Stiftsruinenbühne zu erleben. Sie bereichert außerdem die glanzvolle Abschluss-Gala der Bad Hersfelder Festspiele am Sonntag, 1. September 2019 um 20 Uhr. Weitere Informationen unter www.bad-hersfelder-festspiele.de. (gs) +++