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- Symbolbild: Pixabay

FULDA Schulbegleiterin schildert Alltagseindrücke

Corona-Restriktionen: Kinder mit Behinderungen leiden besonders darunter

31.05.21 - Kinder mit einem besonderen Unterstützungsbedarf leiden vermehrt unter den Corona-Restriktionen. Das zeigen nach den Worten von Daniel Hofmann, Leiter der Schulbegleitung von antonius, die Erfahrungen der letzten Monate. Daniel Hofmann verweist zum Beispiel auf Schulbegleiterin Renate Siebald, die seit vier Jahren Kinder in unterschiedlichen Schulformen begleitet. Für Karsten Vollmar wiederum, stellvertretender Direktor der Gesamtschule Geistal im Landkreis Hersfeld-Rotenburg, ist "die Schulbegleitung für jene Kinder, die diese brauchen, ein ganz wichtiger Beitrag zu ihrem schulischen Erfolg, wenn nicht der Dreh- und Angelpunkt in ihrer schulischen Laufbahn."

Schulbegleiter sind Menschen, die ein Kind bei der Teilhabe am Schulleben unterstützen, sofern es aufgrund einer Körperbehinderung, einer geistigen Behinderung oder einer seelischen Behinderung eine persönliche Assistenz benötigt. Die Schulbegleiter helfen nicht bei der Wissensvermittlung, die allein den Lehrkräften obliegt, sondern in der Organisation und Strukturierung des Alltags, sowie in der Kommunikation und dem Leben im sozialen Miteinander. Derzeit sind es 90 Schüler, für die antonius einen Begleiter stellt. 75 Prozent dieser Schüler werden an Grundschulen begleitet, 20 Prozent haben den Schritt zur weiterführenden Schule schon genommen und fünf Prozent besuchen eine Förderschule.

Schüler der Antonius-von-Padua-Schule bei einer Feierstunde im April 2019 ...Fotos: O|N-Archiv / Jonas Wenzel

Die Schulbegleiterin Renate Siebald beobachtet, dass Kinder mit einer sozialen, emotionalen und seelischen Behinderung, die im Schulalltag von einer Bezugsperson begleitet werden, unter den Restriktionen zum Schutz vor der Ausbreitung des Corona-Virus noch mehr als andere Kinder leiden. Aktuell betreut Renate Siebald ein Kind an einer Förderschule im Kreis Hersfeld-Rotenburg. Sie sagt: "Die Schwachen haben es schwer, wenn die Unterstützung fehlt." Nicht alle Kinder an einer Förderschule haben einen Schulbegleiter, sondern Kindern mit einer bestimmten Behinderung kann für eine bestimmte Zeit – unabhängig von der Schulform - ein Schulbegleiter zur Seite gestellt werden. Kinder, wie sie Renate Siebald betreut, haben zum Beispiel eine Autismus-Spektrum-Störung, ADHS oder spezifische sozial emotionale Einschränkungen. Sie fordern Aufmerksamkeit und Beachtung ein und reagieren in bestimmten Situationen mit großer Unruhe, Angst oder Aggressivität. Renate Siebald versucht, sich in das jeweilige Kind hineinzudenken, Vertrauen aufzubauen, und das Kind auch ohne Worte zu verstehen.

Den Kindern fehlt die familienähnliche Gemeinschaft der Förderschule

Die Schule, sagt die Mutter von vier Söhnen, sei für die Kinder, die sie betreue, sehr wichtig, weil sie hier kontinuierlichen Kontakt zu anderen Menschen finden, "die auch etwas nicht können". Die Lehrer an der Förderschule bieten den Kindern nach der Beobachtung von Renate Siebald eine familienähnliche Gemeinschaft und fördern die Schüler mit großem Erfolg, indem sie die Schüler meist zum Hauptschulabschluss oder sogar zum qualifizierten Hauptschulabschluss führen.

Im Rückblick auf die zurückliegenden Monate mit Corona fehlt nach dem Eindruck der Schulbegleiterin den Kindern die Kontinuität in den sozialen Kontakten. Mitte März 2020 war die Schule zum ersten Mal geschlossen. Seitdem herrscht ein ständiger Wechsel zwischen kurzen stabilen Phasen, Schulschließung mit Homeschooling und Wechselunterricht in halber Klassenstärke.

Schüler vermissen das Gefühl des gemeinsamen Erfolgs

Die Lehrer an der Förderschule geben sich nach den Worten der Schulbegleiterin größte Mühe, das Homeschooling zu organisieren, aber die Schüler litten unter dem fehlenden Kontakt zu den Lehrern, im Einzelfall zum Schulbegleiter und unter dem Wegfall von Fächern, in denen diese Kinder vom Gefühl getragen werden: "Wir haben das gemeinsam erreicht" wie Sport und Musik. Das Tragen der Maske, "das macht was mit den Kindern", sagt Renate Siebald. Denn die Kinder erkennten die Mimik der anderen nicht und könnten deren Körpersprache nicht mehr lesen. Die ohnehin schon vielfach verunsichernde Angst der Kinder werde durch Corona noch gesteigert.

Aufgrund fehlender Kontakte zu Gleichaltrigen und Bezugspersonen fehle gerade diesen Kindern, neben der Vermittlung von Lerninhalten, besonders das Lernen in sozial emotionalen Situationen wie zum Beispiel das Zurückstellen eigener Bedürfnisse und der angemessene Umgang mit Konflikten. Renate Siebald vermutet, dass nach einer so langen Phase der Restriktionen insbesondere Kinder mit sozial emotionalen Beeinträchtigungen einige Zeit benötigen werden, um sich mit Hilfe der Schulbegleitung in das Gefüge Klasse wieder einbinden zu lassen.

"Leistungsmäßig sind die Kinder gut aufgestellt"

"Natürlich nehmen wir Kinder auf, die am besten mit Schulbegleitung durch ihre Schulzeit kommen", sagt Karsten Vollmar, stellvertretender Direktor der Gesamtschule Geistal. Die Erfahrungen mit der Schulbegleitung seien – bis auf wenige Ausnahmen – nur positiv, und "leistungsmäßig sind die Kinder gut aufgestellt". Unter den 420 Schülern der kooperativen Gesamtschule Geistal im Landkreis Hersfeld-Rotenburg mit den Klassenstufen fünf bis zehn sind derzeit zwei Kinder mit Schulbegleitung, darunter eines mit der Eignung für den Besuch des Gymnasialzweigs, berichtet Karsten Vollmar.

Nach der Schilderung des Pädagogen zeigen manche dieser Kinder verschiedene Verhaltensmuster, auf die man individuell reagieren müsse. Von stark die Gemeinschaft suchenden Kindern bis zum Drang der Selbstisolierung im nächsten Moment sei alles dabei. Die besonderen Bedürfnisse der Kinder werden früh und offen in der Klasse und am Elternabend besprochen, berichtet Karsten Vollmar: "Auch deshalb hatten wir niemals Probleme mit den Eltern der anderen Kinder, Beschwerden oder Klagen, dass das Kind mit der Schulbegleitung etwa ein Bremsklotz sei."

"Wenn wir Inklusion leben wollen an unseren Schulen, dann kann die Schulbegleitung ein wichtiges Instrument sein, um unser Ziel fokussiert und gut zu erreichen", sagt Karsten Vollmar. Für die Schulen sei Schulbegleitung ein ganz wichtiger Bestandteil der Arbeit: "Wenn wir diesen Kindern eine Chance geben wollen, ist Schulbegleitung dafür die beste Voraussetzung, und sie darf nicht an den dafür notwendigen Mitteln scheitern." Die Schulbegleiter helfen den Schülern, am bestehenden Schulsystem teilzuhaben. "Perspektivisch sollte sich aber das System verändern und an die Kinder mit ihrem individuellen Hilfe- und Unterstützungsbedarf anpassen", sagt Hofmann, "die Schulbegleitung ist ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einem inklusiven Schulsystem." (pm) +++


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