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Notfallseelsorger - Den Menschen im Ahrtal gezeigt: Sie sind nicht allein
28.09.22 - "Ein Jahr nach der Flut: Kirchliche Aufbauhilfe, Notfallseelsorge und der Einsatz für die Menschen" ist heute Nachmittag Thema eines Pressegespräches im Rahmen der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz gewesen, die gegenwärtig zu ihrer Herbst-Vollversammlung in Fulda zusammenkommt.
Vertreten auf dem Podium waren Bischof Dr. Peter Kohlgraf (Mainz), Vorsitzender der Pastoralkommission
der Deutschen Bischofskonferenz; Weihbischof Dr. Reinhard Hauke (Erfurt), zuständig in der Deutschen
Bischofskonferenz für Fragen der Notfallseelsorge; Rita Nagel (Aachen), Notfallseelsorgerin in der Region Aachen; Dr. Oliver Müller (Freiburg), Leiter von Caritas international, sowie Silvia Plum (Ahrweiler), Fluthilfekoordinatorin im Ortscaritasverband Rhein-Mosel-Ahr.
Rita Nagel zufolge war die Notfallseelsorge mit 117 Menschen 30 Tage im Einsatz. Das habe die klassische Arbeit der Notfallseelsorge als Erste Hilfe für die Seele gesprengt. "2.450 Stunden haben die Mitarbeitenden der Notfallseelsorge, allein in der Städteregion Aachen, Menschen in dieser außergewöhnlichen Lage begleitet". Menschen, die plötzlich nur noch das besaßen, das sie am Leib trugen, was oftmals nur der Schlafanzug war. Oder hilflos dagestanden haben, während ein Familienmitglied von den Fluten eingeschlossen war. Dies bezeichnete sie als erste Phase. In der zweiten Phase, die wenige Tage danach einsetzte, ging es um Menschen, die in Notunterkünften untergebracht waren oder zu den Ausgabestellen kamen, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen.
"In dieser Phase waren wir dort ansprechbar, haben aber auch "Streetworking" gemacht. Die Notfallseelsorger und Notfallseelsorgerinnen sind durch die Straßen gegangen, haben mit den Menschen gesprochen, ihnen das Gefühl gegeben: Ihr seid nicht vergessen. Wir sehen Euch und Euer Schicksal.
In der dritten Phase sind Notfallseelsorgende zusammen mit Studierenden der Katholischen Hochschule Aachen und den Hilfsdiensten von Haustür zu Haustür gegangen: "Dabei trafen wir auf viele, besonders auf alte, Menschen, die sich noch bei keiner Stelle gemeldet hatten, die die Flut irgendwie in ihren Wohnungen überlebt hatten".
Nach einem Monat hatten sich die Bedürfnisse der Menschen verändert. Die akute Phase neigte sich dem Ende und die Notfallseelsorge hat ihren Einsatz beendet. In zwei Städten wurden Traumaberatungsstellen eröffnet, die, leicht erreichbar, den Menschen psychische Hilfe anboten.
Nagel: "Was war das Besondere, das wir in dieser Lage tun konnten? Wir haben mit den Menschen diese menschlich katastrophale Situation geteilt, damit sie spüren, auch ihre Seele ist nicht allein. Wir haben gesprochen, wo Menschen nach Worten gesucht haben und ihre Sehnsucht, dass es wieder schön werden soll, ausgedrückt haben. Wir haben geschwiegen, wo das Leid uns überwältigt hat und wir keine Worte mehr gefunden haben."
Bischof Kohlgraf zufolge bleibt es eine ständige Herausforderung, den hohen Standard der Notfallseelsorge zu bewahren und zu stärken. Dies auch angesichts der Tatsache, dass Ehrenamtliche in der Notfallseelsorge zunehmend wichtiger werden. Hauptamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger würden natürlich weiterhin gebraucht, allerdings wohl zahlenmäßig zukünftig weniger zur Verfügung stehen und sich stärker der Ausbildung und Begleitung ehrenamtlicher Kräfte widmen. Diese Verschiebung vom Haupt- zum Ehrenamt betrifft jedoch alle Handlungsfelder diakonischer Pastoral.
Laut Bischof Hauke stellte die Flutkatastrophe 2021 für die Notfallseelsorge eine bislang nicht gekannte Herausforderung dar. Allein das Bistum Trier nennt gut 200 Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger, die während der Katastrophenlage zu Spitzenzeiten im Einsatz waren. Sie kamen auch aus den benachbarten Bistümern Mainz und Speyer und aus dem Einzugsgebiet der Evangelischen Kirche im Rheinland.
"Das Bistum Trier hat nach Abzug der Notfallseelsorge einige der zusätzlich geschaffenen Seelsorgestellen im Ahrtal belassen. Denn mit 40.000 betroffenen Menschen und der in der Folge feststellbaren nicht unerheblichen Suizidgefährdung in der Region war es erforderlich, ergänzend zu den Beratungsstellen nachsorgend mit einem hohen Personaleinsatz pastoral vor Ort zu bleiben. " (pm) +++