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Da strahlten noch beide: Bürgermeister Dieter Schäfer (rechts) und Azubi Lukas Becker bei Vorstellung des Bedarfs- und Entwicklungsplans für die Feuerwehr, den Becker erarbeitet hat. Ebenso wie den Klima-Aktionsplan. - Foto: Bertram Lenz

LAUTERTAL Azubi tritt gegen seinen Chef an

Über die tiefe menschliche Enttäuschung eines Bürgermeisters

02.05.23 - Es ist ein kommunalpolitischer Vorgang, der weit über die Grenzen der Gemeinde Lautertal (Vogelsbergkreis) für Aufsehen gesorgt hat und weiterhin sorgt: Bei der Bürgermeisterwahl am 8. Oktober tritt der Noch-Verwaltungsazubi Lukas Becker gegen seinen Dienstherrn Dieter Schäfer an.

Im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS wird die menschliche Enttäuschung von Schäfer sehr deutlich, der sich immer als jemand verstanden hat, den 25-Jährigen zu "fördern und zu fordern". Verwaltungsfachwirt Schäfer hatte sich 2018 gegen drei Mitbewerber durchgesetzt und war bis dahin Kämmerer von Bad Salzschlirf (Kreis Fulda) gewesen.

Der seit Langem in der SPD engagierte Lukas Becker, zu Hause in Gemünden (Felda), hat inzwischen neben den Sozialdemokraten auch die UBG von Lautertal auf seine Seite gebracht. Auch dies stößt Dieter Schäfer übel auf: "Ohne eine Einladung zur Vorstellung meiner weiteren Ziele bekommen zu haben, habe ich aus der Zeitung erfahren, dass die UBG Lukas Becker unterstützt. Obwohl ich zur UBG eigentlich in den vergangenen fünf Jahren ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis gepflegt habe, übergeht man mich jetzt trotz anderslautender vorheriger Absprache. Da bleibt ein Geschmäckle zurück."

Das Rathaus der Gemeinde Lautertal hat seinen Sitz in Hörgenau. Foto: Bertram Lenz

Bürgermeister Dieter Schäfer setzte sich im Februar 2018 gegen drei Mitbewerber ...Foto: O|N - Archiv / Luisa Heinz

"Daran habe ich im Traum nicht gedacht"


Dass sich sein Noch-Azubi, der bis zum 16. Mai im Urlaub ist und bis Juni seine Abschlussprüfung ablegt, so wandeln könnte, "daran habe ich im Traum nicht gedacht". Nachdem im Dezember erste Gerüchte laut geworden waren, dass Lukas Becker kandidieren könnte, habe er ihn direkt darauf angesprochen: "Damit habe er sich noch nicht befasst" sei die Antwort gewesen - "ein klares Nein sieht anders aus", wie Schäfer rückblickend konstatiert.

Dann sei zwei Monate Ruhe gewesen, bis ihn der 25-Jährige - wenige Minuten, bevor er zu einer Sitzung der G9-Kommunen aufgebrochen sei - mit seinem Plan konfrontiert habe. Quasi zwischen Tür und Angel, weil es der "Anstand" gebühren würde, "dass Sie es nicht aus der Zeitung erfahren sollen. Aber wir bleiben weiterhin gute Kollegen, und in der Verwaltung wird sich nichts ändern", so der Azubi zu seinem höchst verdutzten Bürgermeister.  

Dieter Schäfer benennt das Vorgehen von Lukas Becker als "menschlich verwerflich" - auch wenn dieser bei der offiziellen Bekanntgabe seiner Ambitionen von einem demokratisch legalisierten Vorgang gesprochen habe.

Eine Extra-Stelle geschaffen

Insbesondere deshalb verwerflich, weil die Gemeinde für Becker explizit eine vorher im Stellenplan noch nicht vorhandene Stelle geschaffen habe. Da die Gemeinde eigentlich über Bedarf ausgebildet habe und eine längerfristige Übernahme daher unrealistisch schien, hatte sich der Bürgermeister gemeinsam mit dem Gemeindevorstand seine Gedanken gemacht, wie man eine Beschäftigung dennoch realisieren könne.

Politische Gewitterstimmung über der Gemeinde. Foto: O|N - Archiv / Jens Peppler

Gemeinsam mit drei weiteren Vogelsbergkommunen (Wartenberg, Herbstein und Grebenhain) schuf man im Wege der Interkommunalen Zusammenarbeit (IKZ) die Stelle eines Digitalisierungsbeauftragten. Becker war nach vorheriger Absprache bereit, diese Position für die vier Kommunen gemeinsam - mit Hauptsitz in Lautertal - auszufüllen. Aufgrund dieser Zusage Beckers erfolgte im Januar die Übernahmeerklärung nach dessen Ausbildung durch die Gemeinde Lautertal und die finanzielle Abbildung in deren aktuellem Haushaltsplan mit den Personal- und Fortbildungskosten sowie den anteiligen Kostenerstattungen durch die Partnerkommunen. Im Vertrauen hierauf wurden auch Zuschussanträge beim Land Hessen aus IKZ-Mitteln gestellt.
   
Bürgermeister Schäfer zitiert weiter aus der Vorstellungsrede des 25-Jährigen am Nominierungsabend: "Für mich ist klar, das Bürgermeisteramt ist für mich ein Traumjob und kein Trittbrett nach oben, es war immer mein klar erklärtes Ziel, mich um diesen Job in einer Vogelsberger Kommune zu bewerben und mich in den Dienst der Bürgerinnen und Bürger zu stellen. Ich möchte ihr Bürgermeister werden, um zu bleiben und das längerfristig". 

Darauf der Amtsinhaber im O|N-Gespräch: "Schwer vorstellbar bei einem Vollblutpolitiker, der in einem Gespräch mit seinem Dienstherrn schon anklingen ließ, dass er höheren politischen Ämtern beileibe nicht abgeneigt sei. Tatsächlich ist er schon jetzt stellvertretender Bundestagswahlkreisabgeordneter für den Wahlkreis 173 als Stellvertreter für Direktmandatsinhaber Felix Döring. Wenn dieser kurzfristig ausscheiden sollte, wäre Becker also per sofort Nachrücker in den Deutschen Bundestag".

"Fordern - und fördern"

Der Amtsinhaber räumt ein, dass er das Potential Lukas Beckers als Azubi durchaus zu schätzen weiß - und ihn wohl auch weiterhin gefördert hätte: "Ich hatte bereits mit ihm darüber gesprochen, ihn in den kommenden Jahren weiter aufzubauen und ihm eventuell auch die Ausbildung für den gehobenen Dienst mit Abschluss Verwaltungsfachwirt zu ermöglichen.
 

Auf ihre Feuerwache sind die Lautertaler verständlicherweise stolz. Foto: O|N - Archiv / Luisa Heinz

Schule und Kindergarten gehören zur wichtigen Infrastruktur der Vogelsberggemeinde. ...

Was Schäfer besonders überrascht, ist die Tatsache, dass seit Beckers Bekanntgabe ein spürbar anderer (parteipolitischer) Wind in der Vogelsberggemeinde weht. "In den vergangenen fünf Jahren meiner bisherigen Amtszeit ist kein böses Wort gefallen, wir waren stolz auf den Lautertaler Stil, der sich immer am Wohle und im Hinblick einer positiven Entwicklung der Gemeinde orientiert hat". Als parteilich unabhängiger Verwaltungschef sei ihm politischer Zank fremd gewesen, er habe sich nicht vereinnahmen lassen. Dies sei auch in der Bevölkerung gut angekommen. 
Möglicherweise könnte auch hier ein Motiv dafür liegen, dass ihm die SPD - die seine Kandidatur vor fünf Jahren unterstützt hatte - den Beistand entzieht. Denn er habe es, so Schäfer, trotz mancher Anfragen immer abgelehnt, Mitglied der SPD oder einer anderen Partei zu werden, um so gegenüber seinem Wahlkampfversprechen der Überparteilichkeit nicht wortbrüchig zu werden.

"Vieles angestoßen und realisiert"

Zutiefst irritiert zeigt sich Schäfer auch darüber, dass Becker in seinem Wahlprogramm Themen benennt, die er allen Fraktionen in einem Schreiben am 8. Februar 2023  - also vier Wochen vor der offiziellen Kandidatur Beckers - mitgeteilt, um Unterstützung für eine zweite Amtszeit geworben habe und die selbstverständlich auch auf seiner Agenda für die kommenden Jahre stünden. "Außerdem wurde Vieles von mir und der Politik bereits angestoßen und auf den Weg gebracht". Die weitere Positionierung von Lautertal als Klimakommune, die Neuordnung der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung sowie das Bestreben, eine medizinische und eine Lebensmittelgrundversorgung an Land zu ziehen - zu all diesen Themen befände er sich in intensiven Gesprächen, die Ansiedlung eines TEO-Ladens der Firma Tegut sei beantragt und werde derzeit geprüft. Wenn dies alles auch Beckers Themen seien, warum bedürfe es dann überhaupt eines anderen Bürgermeisters, so Schäfer.

Wirklich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass verschiedene Argumente des 25-Jährigen hanebüchen sind: So die Forderung, ein Bürgermeister müsse seinen Wohnsitz in der Dienstgemeinde haben. Schäfer: "Schon 2018 habe ich vor meiner Wahl jedem gesagt, dass ich in zwölf Minuten am Arbeitsplatz sei. Würde ich am Ortsausgang von Meiches wohnen, hätte ich in etwa die gleiche Fahrzeit. Das wurde damals vom Wähler so akzeptiert, zumal ich mein Eigenheim in Maar noch nicht vor so langer Zeit erbaut habe. Sechs von 19 Vogelsberger Bürgermeistern haben ihren Wohnsitz nicht in der Dienstortgemeinde. Niemand beschwert sich darüber und sie leisten dennoch gute Arbeit."

Auch die Forderung, dass ein Bürgermeister für die Vereine da sein müsse, verstehe sich für ihn als "Vereinsmeier" von selbst, betont Schäfer. "Daher bin ich auch bei Vereinsaktivitäten präsent und biete auch hierzu immer meine Unterstützung an. Die Jubiläumsveranstaltungen der Feuerwehr Dirlammen und des MGV Engelrod sollten dabei für sich sprechen. Ich bin für die Vereine da, wann immer sie mich brauchen".

Bezeichnet sich selbst als "Vereinsmeier": Bürgermeister Dieter Schäfer beim ...Foto: Bertram Lenz

Ein Verwaltungschef müsse aber nicht bei jeder turnusmäßigen Mitgliederversammlung eines Vereins zugegen sein. "Das verbietet allein schon der Name, denn diese ist für die Mitglieder gedacht. Zu diesem Thema habe ich zu Beginn meiner Amtszeit eine lange E-Mail an alle Vereine geschickt und habe dafür 80 Prozent positive Rückmeldungen bekommen." Er sei aber bei allen Feuerwehr- und Jagdgenossenschaftsversammlungen zugegen, wenn der Termin im Vorfeld mit ihm abgestimmt sei, weil dort die Gemeinde eine tragende Rolle einnimmt.  "Wer mir da mangelndes Engagement vorwirft, befindet sich eindeutig auf dem Holzweg."  

Man darf gespannt sein, wie sich die Situation bis zum 8. Oktober weiter entwickelt. Fakt scheint, dass das gegenseitige Vertrauen, das zweifellos einmal da gewesen ist, der Vergangenheit angehören dürfte. Zumal wenn man bedenkt, dass ein Azubi, der im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS im Dezember seinen Bürgermeister und Förderer sowie die Verwaltungsabläufe noch über den grünen Klee lobte, nun in den sozialen Netzwerken von einem "notwendigen Wechsel" spricht. Da darf man als Bürgermeister und Dienstherr zurecht menschlich enttäuscht sein. (Bertram Lenz) +++


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