Archiv
Urteil: Schlagstockeinsatz im Dannenröder Forst war verhältnismäßig
19.03.24 - Am ersten Tag der Räumung des Dannenröder Forsts am 10. November 2020 kam es zum Schlagstockeinsatz der Polizei, als eine Gruppe von Autobahngegnern eine Forstmaschine besetzen wollte. Dabei wurde einer der Aktivisten verletzt und klagte: Die Schlagstockhiebe seien rechtswidrig, zumal sie nicht angedroht worden seien. Dem widersprach jetzt das Verwaltungsgericht Gießen.
Um die Mittagszeit herum war eine Einheit der hessischen Bereitschaftspolizei mit der Sicherung einer Forstmaschine im Dannenröder Forst zwischen Homberg und Stadtallendorf (Vogelsbergkreis/Landkreis Marburg-Biedenkopf) beauftragt worden. Dem Ausbau der A49 sollten dort 27 Hektar Wald zum Opfer fallen - dagegen demonstrierten tausende Autobahngegner. Eines der Mittel: die Besetzung der riesigen Forstmaschinen, der sogenannten "Harvester". Das hatte auch die Gruppe von acht bis zehn Aktivisten am 10. November 2020 vor, die sich um 12:25 Uhr auf die von der oben genannten Einheit gesicherte Forstmaschine zubewegte.
Was als nächstes passierte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Unstrittig ist, dass einer der Polizisten die Gruppe aufforderte, sich fernzuhalten, woraufhin diese den Harvester umlief. Kläger Chris T. dagegen bewegte sich weiter auf die Forstmaschine zu und wurde dann vom Schlagstock eines Polizisten getroffen, woraufhin er stürzte. Die Version des Klägers: Der Polizist habe ihn sofort geschlagen, ohne vorherige Anwendung "einfacher körperlicher Gewalt", also ohne Hilfsmittel und Waffen wie einem Schlagstock, und zwar im Bereich der hinteren Schläfe, danach habe er noch weitere Schläge erhalten. Die Version der Polizei: T. sei vom Schlagstock am Oberarm getroffen worden und dann eine Böschung hinuntergerutscht, wobei er sich weitere Verletzungen zugezogen habe.
Verhältnismäßigkeit als Kernfrage
Eine Gehirnerschütterung, ein Hämatom an der Hand sowie Prellmerkmale am Jochbein seien später festgestellt worden - und das, obwohl keine Gefahrensituation vorgelegen habe, so der Anwalt des Klägers, weder für die Beamten noch für den Fahrer des Harvesters noch fürs Gerät selbst. Die Verhältnismäßigkeit sei deshalb die Kernfrage: "Es war ziviler Ungehorsam, die Aktivisten wollten auf den Harvester klettern, was zu erwarten gewesen ist. Aber daraus resultierten für meinen Mandanten massive Verletzungen - durch die Schlagstockhiebe gingen ihm sofort die Lichter aus, er erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma", so der Anwalt des Klägers.Der Schlagstockeinsatz sei sehr wohl angedroht worden, außerdem seien die Polizisten vor Ort für die Beurteilung der Gefahrensituation zuständig, so der Anwalt des beklagten Polizisten. Vier Polizeibeamte gegen acht bis zehn Aktivisten - das sei bereits eine Gefahrensituation, zumal Harvester auch in Brand gesteckt worden seien: "Der Wald war kein Ort, in dem nur friedlich demonstriert wurde - das muss in die Bewertung der Handlungen einbezogen werden."
Ein rechtsmedizinisches Gutachten, das eigentlich die Frage klären sollte, ob der Schlagstockeinsatz in Höhe des linken Oberarmes oder gegen den Kopf erfolgte, blieb unbefriedigend: Ein "Schlaggeschehen" sei grundsätzlich geeignet für die beschriebenen Verletzungen, erklärte der Richter am Montagmorgen im Verwaltungsgericht Gießen.
Die Klage, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch Schlagstockhiebe rechtswidrig gewesen sei, wurde abgewiesen. Die Verhältnismäßigkeit sei gegeben gewesen, so das Verwaltungsgericht Gießen. Zudem sei zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der Polizist in Richtung des Oberarmes des Klägers geschlagen habe - unabhängig davon, wo der Kläger schließlich getroffen wurde. Einen gezielten Schlag in Richtung des Kopfes habe selbst der Kläger nicht behauptet. (mau) +++