
Sternstunde der Musik: Benefizkonzert des Fuldaer Symphonischen Orchesters
20.03.25 - Niemand geringerem als "Dem lieben Gott" gewidmet ist die letzte Symphonie Anton Bruckners, wobei man dazu sagen sollte, dass der Widmungsträger seinen Musik-Schöpfer durch Tod vorzeitig von dessen damit unvollendet gebliebenem Widmungsprojekt in sein göttliches Himmelreich abberufen hat. Ob man dies glauben möchte, steht jedem frei. Keine Glaubensfrage jedoch ist, dass am vergangenen Sonntagabend in der Fuldaer Orangerie beim alljährlichen Benefizkonzert des Fuldaer Symphonischen Orchesters unter der bewährten Leitung von Simon Schindler eine göttliche Sternstunde der Musik zu erleben war.
Und das mit Jubiläum: Vor fast genau 25 Jahren hatte dieser Klangkörper im Fürstensaal seine Premiere. Seither ist das Ensemble nicht nur beträchtlich gewachsen, sondern lockt inzwischen auch viele Nicht-Fuldaer teils von weither zu den Proben ins Domgymnasium. Dieses Engagement als Ergebnis der organisatorischen und musikalischen Leistung von Karsten Aßmann und Simon Schindler nannte Ulrich Walter in Vertretung für den amtierenden Präsidenten des Rotary Club Fulda-Paulustor, Bengt Seeberg, in seiner Eröffnungsrede vor den 105 auf der Bühne versammelten Musikerinnen und Musikern einen Höhepunkt des Fuldaer Kulturkalenders. Dass im Jubiläumsjahr erst das 24. Benefizkonzert des Orchesters zu belauschen war, hat denselben Grund, der Walter anno 2020 um die Eröffnung des wenige Tage zuvor pandemiebedingt abgesagten Konzerts und somit die Zählung aus dem Takt gebracht hatte. Benefizzweck war, wie bereits in den vergangenen Jahren, das Projekt Moru Klinik in Uganda.
Das Jubiläumskonzert begann mit dem Vorspiel zur romantischen Oper "Lohengrin" von Richard Wagner, einem Komponisten, der bekanntermaßen dem Religiösen eher fern, gleichwohl dem Transzendenten nahestand, und in seiner kunstreligiösen Idee des literarisch-musikalisch-bühnenbildnerischen Gesamtkunstwerks sozusagen seine eigene Religion erfand. Ein kurzes Stück Musik, und doch taucht man tief ein in den Geist der dramatischen Handlung um die intrigenumrankte Herzogstochter Elsa von Brabant und den zu ihrer Rettung erscheinenden Gralsritter Lohengrin, dessen Auftritt als Lichtgestalt in den schwelgerischen A-Dur-Klängen einkomponiert erscheint. Die filigran beginnende Musik mit teils solistischen Violinen in hoher Lage intonationssicher darzubieten, besonders zu Beginn eines Konzerts, stellt auch Profis vor Herausforderungen. Schon hier zeigte das Orchester seine Klasse und übersetzte präzise die Klangvorstellung von Simon Schindler, der dieses Stück bereits 2012 aufgeführt hatte, in Musik. Einzig das Tempo blieb bisweilen zu statistisch und ließ die sängertypische Beweglichkeit, das "tempo rubato", vermissen. Dafür gab es satten Orchesterklang, wie er eben nur auf der Bühne, nicht aber aus dem Orchestergraben zu erleben ist.
Der "göttliche Mozart"
Der Musik Wolfgang Amadeus Mozarts haftet schon lange ein besonderer Nimbus an: Albert Einstein sah sie als "innere Schönheit des Universums selbst" und der amerikanische Komponist und Dirigent Leonard Bernstein nannte den Salzburger direkt den "göttlichen Mozart". Das Violinkonzert Nr. 5, KV 219 in A-Dur ist das letzte Konzert dieser Art des erst 19-jährigen Komponisten und gilt vielen als das vollendetste. Auch wenn Mozart "kein großer Liebhaber von Schwierigkeiten" war, ist die überzeugende Aufführung seiner Musik außerordentlich schwer. Eine kleine Streicherbesetzung, zwei Oboen und zwei Hörner bilden keine Klangmassen, die gnädig Nachlässigkeiten kaschieren, Unsauberkeiten vergessen lassen und fehlende Genauigkeit im Nebulösen verbergen könnten.
Hier muss alles sitzen: Jeder Einsatz, jeder abrupte Stimmungswechsel, jede noch so kurze Note. Dies gelang den Musikerinnen und Musikern um Simon Schindler und die herrlich kommunikativ musizierende Solistin Marit Neuhof vortrefflich. Der furiose Beginn mit seinen aufsteigenden Achtelketten, die ruhig perlenden Begleitterzen zum Soloeinstieg, der getragene Mittelsatz, die dramatischen Stimmungswechsel im finalen Pseudo-Menuett mit seinem grotesken "alla turca"-Mittelteil waren nur einige der an Höhepunkten reichen Darbietung. Marit Neuhof, die mehrfach Bundespreise bei Jugend musiziert gewann und derzeit am Salzburger Mozarteum studiert, präsentierte sich in Topform. Einzig den vibratosatten Violinklang ihrer Interpretation könnte man als für Mozarts Musik unzeitgemäß kritisieren, gleichwohl passt der eher romantisch angehauchte Stil sowohl zur Programmgestaltung wie zur Spielpraxis des Ensembles. Die gemeinsame Zugabe von Solistin und Orchester, die "Méditation" aus der Oper "Thaïs" von Jules Massenet, machte derlei Überlegungen sofort vergessen, denn hier passten die Zauberklänge, welche die Solistin ihrer französischen Violine entlockte, bestens zur vom Orchester dezent wie akkurat begleiteten Musik.
Das große Besteck
Nach der Pause dann für Bruckners Neunte das große Besteck: großer Streicherapparat, dreifaches Holz, fünf Trompeten, drei Posaunen und Tuba, stolze acht Hörner, davon vier auch Wagnertuben. All das wünschte Anton Bruckner zur Ehre Gottes aufzubieten. Hervorzuheben sind besonders die Wagnertuben, ein Instrument, das Richard Wagner für seine Operntetralogie anfertigen ließ, das allerdings darüberhinaus nur äußerst selten im Orchester zu hören ist. Entsprechend hat kein Hornist (dem Namen zum Trotz zählt es nämlich zur Horn-Familie) ein solches Instrument zuhause, weshalb alle Spielerinnen und Spieler keine Kosten und Mühen gescheut haben, an eine Wagnertuba zu kommen und sich in ihrer Beherrschung zu üben. Allein das verdient Bewunderung, bei der damit zum Leben erweckten Musik, zu der Wagners Tuben und ihre Spieler durch den warmen und weichen Klang eine ganz besondere Fabre beisteuerten, kann man nur noch schwärmen. Die zahlreichen Klippen und Untiefen in den Weiten des rund einstündigen Symphonie-Torsos, die langen Steigerungen, Höhepunkte und Abbrüche umschifften Simon Schindler und sein Orchester mit Bravour.Gekonnt wurden die weiten Melodiebögen der tönenden Sakralarchitektur gespannt, wohldosiert die Klangmassen aufgetürmt und präzise jede Nuance des vor kompositorischen Finessen nur so strotzenden Werks herausgearbeitet. Bruckner zu spielen ist physisch wie musiktheoretisch herausfordernd, seine Musik zu dirigieren verlangt tiefes kompositorisches Verständnis, analytische Gabe sowie die Fähigkeit, die klanglichen Potentiale eines großen Symphonieorchesters zumeist gezügelt und nur selten in voller Gewalt zum Ausbruch kommen zu lassen. All dies gelang Schindler und seinen akkurat folgenden Musikerinnen und Musikern des Fuldaer Symphonischen Orchesters in bemerkenswerter Weise.
Das Publikum im gut gefüllten Saal dankte nach ergriffener Stille mit langanhaltendem Applaus, das Orchester und Simon Schindler revanchierten sich mit einem selten zu hörenden Schmankerl des Briten Peter Warlock: der Pavane aus der Capriol Suite von 1926, einem im Vergleich zu Bruckners gottgewidmetem symphonischen Riesen äußerst schlicht anmutendem Stück, aber was wäre als Kontrapunkt dazu und als Abschluss dieses gelungenen Abends besser geeignet gewesen? Ob die Musikerinnen und Musiker auf der Bühne ihre Töne auch dem lieben Gott gewidmet haben, ist schwer zu sagen, ein göttlicher Abend war dieses Konzert in der Orangerie ohne Zweifel. (pm/ mp) +++