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REGION WIELOCHS WIRRE WELT (67):

Der Fall Dippel und die Folgen: Selbst Schinkenspicker jetzt tabu

20.02.15 - Es sind schwere Tage für Fuldas früheren Bürgermeister Wolfgang Dippel. Die Universität Kassel hatte Anfang der Woche mitgeteilt, sie wolle dem Staatssekretär im hessischen Sozialministerium seinen Doktortitel wegen nachgewiesener Plagiatsvorwürfe aberkennen. Dippel wird gegen diese Entscheidung juristisch vorgehen. Immerhin habe er vier Jahre an seiner Dissertation gearbeitet, obwohl er damals berufstätig gewesen sei und bereits eine Familie gehabt habe. Während dem CDU-Politiker derzeit von politischen Kontrahenten heftiger Gegenwind ins Gesicht bläst, lassen sich Schüler und Auszubildende in Osthessen vom Plagiator inspirieren. Lehrer und Prüfer verstehen hingegen keinen Spaß mehr.

Dem Staatlichen Schulamt für den Landkreis Fulda liegen momentan (Stand: 19. Februar 2015, 16.25 Uhr) 683 Beschwerden von Schülerinnen und Schülern vor, die von ihren Lehrern beim Spicken und Abschreiben erwischt wurden. Die Fünftklässlerin Lisa-Maria beispielsweise hat auf ihren Reli-Test zum Thema „Die Scheinheiligen des Bistums Fulda“ eine 6 bekommen, weil sie bei ihren Antworten auch das Wissen der Sitznachbarin mit einfließen ließ. In ihrem Einspruch gegen die Bewertung argumentiert die Zwölfjährige so: „Ich habe 45 Minuten an der schriftlichen Klausur gearbeitet, obwohl ich zum damaligen Zeitpunkt berufstätig war. Mittwochs trage ich nämlich die Metzgerei-Werbung aus. Außerdem hatte ich mit Mama und Papa bereits familiäre Verpflichtungen.“ Ein Sprecher des Schulamts erklärte, dass man diese plausible Begründung auf jeden Fall bei der Analyse des Falls berücksichtigen müsse. „Speziell für Schulkinder, die nicht alleine in einem eigenen Haushalt leben, sondern familiär eingebunden sind, stellen die Prüfungsvorbereitung und das häusliche Lernen enorme Stressfaktoren dar, die das Plagiieren in einem ganz anderen Kontext erstrahlen lassen.“ Bis Herbst 2017 soll eine Entscheidung über einen möglichen Nachschreibe-Termin fallen.

Ähnlichen Ärger hat der Viertklässler Lars. Ihm wirft seine Klassenlehrerin ein Struktur-Plagiat vor. Der Zehnjährige hatte eine halbseitige Hausarbeit unter dem Titel „Fulda – Fluss an der Stadt“ verfasst. Wie sich jetzt herausstellte, war bereits 2008 das Werk „Fulda – Stadt am Fluss“ an der Grundschule eingereicht worden. Inhaltlich sind beide Arbeiten absolut identisch. „Vor sechs Jahren habe ich mit dieser Arbeit im Kindergarten bestanden, auch wenn es keine Note 1 gewesen ist – und das soll heute nicht mehr gelten?“, richtete sich der Zehnjährige an das Staatliche Schulamt und drohte mit juristischen Schritten. Er habe sich definitiv nichts vorzuwerfen, weder wissentlich noch vorsätzlich einen Fehler bei der Abfassung der Hausarbeit begangen. Dennoch klebt der Viertklässler nicht an seinem Stühlchen: „Aufgrund des immensen Drucks zahlreicher Lehrer spiele ich ernsthaft mit dem Gedanken, die Konsequenzen zu ziehen und meine schulische Karriere zu beenden.“

Ein besonders spektakulärer Täuschungsversuch wurde gestern in Bad Hersfeld bekannt. Eine 20-Jährige war bei ihrer schriftlichen Abschlussprüfung zur Fleisch- und Wurstfachverkäuferin (Thema „Die große Hackfleisch-Koalition: Halb Rind, halb Schwein“) mit einem unerlaubten Hilfsmittel im Brötchen erwischt worden. „In den vergangenen 30 Jahren haben wir noch kein derart hinterhältiges und von langer Hand geplantes Täuschungsmanöver erlebt“, erklärte ein Sprecher der zuständigen Industrie- und Handelskammer (IHK). Die 20-Jährige will sich allerdings gegen die mit „ungenügend“ bewertete Klausur zur Wehr setzen. Ihrer Meinung nach hatte sie keine unerlaubten Unterrichtsmaterialien mit in den Klassenraum geschmuggelt: „Es war doch nur ein Schinkenspicker.“(Jochen Wieloch)  +++

HINTERGRUND: „Wielochs wirre Welt" erscheint heute am 67. Freitag in Folge bei OSTHESSEN|NEWS. Jochen Wieloch (38) blickt dabei pointiert, humorvoll und teilweise mit einer gehörigen Portion Ironie auf die Ereignisse, die die Menschen in der Region und im Land bewegen. Der Petersberger kennt sich als selbstständiger Redakteur in den Medien Print, TV und Internet bestens aus, ist Buchautor und als Spezialist für Unterhaltungselektronik gefragter Autor für zahlreiche Verlage, Magazine und Fachzeitschriften. Außerdem berät und betreut der 38-Jährige Unternehmen in allen Fragen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Neben dem ZDF, 3sat und dem Bayerischen Rundfunk arbeitete Jochen Wieloch unter anderem auch für die Motor Presse in Stuttgart und auto-tv in München. Für osthessen-tv.de stellt der Germanist neuerdings regelmäßig automobile Neuheiten in Filmbeiträgen vor.+++

 

 

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