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- Fotos: Sascha Poldrack
21.12.10 - FULDA
Auftakt im Prozess wegen versuchten Mordes an einem Geistlichen: In der Nacht zum 25. Juni dieses Jahres wurde der 78-jährige Professor Aloysius Winter, ehemaliger Rektor der Theologischen Fakultät, in seinen Haus in der Haimbacher Straße in Fulda brutal überfallen. Der mutmaßliche Täter David O. war auf der Suche nach Geld und Wertgegenständen, um damit seine Drogensucht zu finanzieren. Opfer und Täter kannten sich, weil Prof. Winter den 31-Jährigen zuvor schon mehrmals mit kleineren Arbeiten beschäftigt und so unterstützt hatte. In der Tatnacht stieß der Einbrecher auf eine verschlossene Zimmertür, die er auftrat, und so auf den Bewohner traf, der sich mit einem Elektroschocker zu wehren versuchte. Doch vergeblich: der Täter attackierte den 78-Jährigen in dessen Schlafzimmer derart brutal, dass er lebensgefährliche Verletzungen erlitt, lange im Koma lag und heute ein Pflegefall ist. Der Prozess muss in Abwesenheit des Opfers stattfinden, weil der Theologe seit dem Übrfall auf den Rollstuhl angewiesen ist, künstlich ernährt werden muss und nicht mehr sprechen kann.
Eine Bekannte von Prof. Winter hatte ihm damals vermutlich das Leben gerettet, weil sie dessen Fehlen im morgendlichen Gottesdienst im Dom ungewöhnlich fand und die Polizei eingeschaltet hatte. Die Beamten fanden ihn bewusstlos in seinem Schlafzimmer vor. Der Täter war mit 200 Euro und einem Tresorwürfel entkommen. Nur vier Wochen nach der schrecklichen Tat, die für großes Entsetzen in Fulda und Umgebung gesorgt hatte, ermittelte die Kripo den jetzigen Angeklagten David O. anhand von DNA-Spuren unter den Fingernägeln des Opfers. Der 31-Jährige ist nach eigenem Bekunden seit vielen Jahren alkohol- und drogenabhängig und wegen Beschaffungskriminalität bereits einschlägig vorbestraft. Seine Täterschaft hat er bei den polizeilichen Vernehmungen – wenigstens teilweise – eingeräumt.
"...so Verdrängungssachen aus der Kindheit"
Zum Prozessauftakt heute Morgen wurde der Angeklagte aus der Untersuchungshaft in der JVA Fulda ins Landgericht gebracht. Die Anklage wirft ihm Mordversuch, schweren Raub und schwere Körperverletzung vor. Indem er Prof. Winter lebensgefährlich verletzt zurückließ, habe den Tod seines Opfers billigend in Kauf genommen, führte Staatsanwältin Christine Seban aus. Richter Josef Richter befragte den Angeklagten zunächst zu dessen Personalien und Lebenslauf. Mit monotoner Stimme und ohne sichtbare Emotion gab der 31-Jährige zu Protokoll, er sei gelernter Stahlbetonbauer, aber durch seine Sucht bereits seit Jahren arbeits- und obdachlos. Schon mit 13 Jahren habe er angefangen Haschisch zu rauchen, später sei Alkohol dazugekommen. Weil er sich mit dem neuen Lebensgefährten seiner Mutter nicht verstanden habe, sei er ins Heim nach Gersfeld gekommen. 18-jährig sei er wieder nach Fulda gezogen, wo er nach eigener Aussage „in den Drogensumpf abgerutscht" sei“ Auf die Frage des Richters, wie er sich selbst seine Sucht erkläre, sagte der Angeklagte wörtlich: „Das ist eine gute Frage. Ich glaube, das sind so Verdrängungssachen aus der Kindheit.“ Auf diese Aussage eingehend befragte ihn der Vetreter der Nebenklage, Rechtsanwalt (und früherer Landrat) Fritz Kramer, was genau er damit meine. Ihm habe die Geborgenheit gefehlt, er sei ja aus der Familie weg und ins Heim gekommen, seine Mutter habe ihn da nur einmal im Jahr besucht, führte David O. aus. In Bezug auf seine Drogensucht fragte RA Kramer den Angeklagten, ob es jemals einen Menschen in seinem Umfeld gegeben habe, der „mit Wirkung“ zu ihm gesagt habe: Hör auf damit! „Ja, da war ein Betreuer im Heim“, antwortete David O. – allerdings blieb dessen Appell offensichtlich wirkungslos.
Bereits zwei Jahre Haft wegen Vorstrafen
Ausführlich ging das Gericht heute auf die insgesamt fünf Vorstrafen ein – allesamt Diebstahl- und Einbruchsdelikte, unter anderem bei der Bäckerei Plappert und der Metzgerei Schneider in Fulda, für die David O. bereits eine zweijährige Haftstrafe verbüßt hat, die vier Monate vor dem Überfall auf Prof. Winter endete. In der JVA habe er Entzugserscheinungen gehabt, gab David O. an, sei dort aber auch an Haschisch und Heroin herangekommen. Eine Drogenberatung habe es während dieser Zeit zwar auch gegeben, aber ein tatsächlicher Entzug habe nicht stattgefunden. Als Richter Richter den Angeklagten heute nach seiner weiteren Lebensperspektive fragte, sagte der wörtlich: „Ich weiß, dass es so nicht weitergeht - ich muss was machen!“
Schuldfähig oder nicht?
Zwei Gutachter sollen im Prozessverlauf zur entscheidenden Frage nach der Schuldfähigkeit des Angeklagten Stellung nehmen. Schon bei den Vorstrafen war David O. eine schwere BTM-Abhängkeit und dadurch bedingte verminderte Steuerungsfähigkeit attestiert worden. Heute Nachmittag sollen zunächst zwei Kripobeamte vernommen werden, die am 25. Juni zuerst am Tatort waren, sowie Ärzte des Klinikums, die sich zu den schweren Verletzungen des Opfers äußern sollen. Drei weitere Verhandlungstage sind für den 11., 18. und 19. Januar festgesetzt worden.+++Carla Ihle-Becker
Staatsanwältin Christine Seban vertritt die Anklage und Rechtsanwalt Fritz Kramer als Nebenkläger die Interessen von Prof. Winter
Das Schwurgericht verhandelt unter Vorsitz von Richter Josef Richter (Bildmitte)
Rechtsanwalt Knut Hillebrand ist Verteidiger des Angeklagten
Der mutmaßliche Täter David O. sitzt seit Juli hier in Untersuchungshaft.
Hier im Fuldaer Landgericht findet der Prozess wegen versuchten Mordes statt.
Eine aufmerksame Gottesdienstbesucherin hatte Prof. Winter im Dom vermisst und ihm so vermutlich das Leben gerettet.