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- Alle Fotos: Dennis Schmelz
18.03.12 - LAUTERBACH
"Wallenrod pfeift auf die Durchfahrt und zeigt die rote Karte". Das war nicht nur ein Motto, sondern so geschah es auch am gestrigen Samstagnachmittag gegen 17 Uhr. Etwa 200 Bürger von Wallenrod - von Jung bis Alt - trillerten mit einfachen Pfeifen minutenlang, als die planmäßigen Züge der Vogelsbergbahn in Richtung Lauterbach und Alsfeld durchfuhren, aber nicht mehr - wie jahrzehntelang vorher - am Bahnhof am Ortsrand hielten. Besonders ärgerlich: die Züge der Vogelsbergbahn (RMV-Linie 35) verkehren zwar weiterhin auf der Strecke, nutzen zum Teil aber auch den ehemaligen Haltepunkt Wallenrod als Kreuzungshalt auf der eingleisigen Strecke, allerdings ohne dass ein Ein- und Ausstieg möglich ist.
Der Lauterbacher Stadtteil Wallenrod liegt zwar direkt an der Vogelsbergbahn - und hatte einen Bahnhof, bis zum Dezember 2011. Da beschloss der zuständige Rhein-Main-Verkehrsverband, den Bahnhof dicht zu machen. Der Grund: es seien zu wenige Fahrgäste. Die Alternative: ein neues System aus Linienbus und Anruflinientaxi (ALT). Doch für die Wallenröder ist das keine Alternative. Sie klagen über unpünktliche Busse, die statt früher zehn Minuten (Bahn) jetzt 50 Minuten über viele Dörfer etwa nach Alsfeld brauchen. Das System der Anruflinientaxi ist zu behäbig und nicht handhabbar, denn nach dem Anruf dauert es nicht selten bis zu einer Stunde, bis der Wagen endlich da ist. Und richtige Probleme kommen dann auf, wenn die Bürger heim nach Wallenrod wollen, viele Verbindungen aber Abends und am Wochenende gar nicht angeboten werden. Die Forderung deshalb: "Halt" der Bahn statt "ALT" unpünklichen Ersatzverkehrs wollen die Einwohner, denn sie fühlen sich beim öffentlichen Nahverkehr buchstäblich "verraten und verkauft".
Im Januar verfasste die Initiative dann einen offenen Brief, in dem sie die Erfahrungen der ersten Wochen schildert und die Wiederinbetriebnahme des Bahnhaltepunktes Wallenrod fordert. Dieser Brief wurde am 3. Februar exemplarisch an den Lauterbacher Bürgermeister Rainer Hans Vollmöller übergeben, sowie an 25 weitere Institutionen in Politik und Verkehrswesen (Landrat, Fraktionen, Verkehrsgesellschaften, etc.) verschickt. Gleichzeitig wurde in einer Unterschriftenaktion für die Unterstützung dieser Forderung geworben. Doch außer dem Bürgermeister, der der Initiative seine Unterstützung zugesagt hat, hat bisher noch keine der angeschriebenen Institutionen reagiert.
Und so entschlossen sich die Bürger von Wallenrod, die ständig durchfahrenden und nicht mehr haltenden Nahverkehrszüge „auszupfeifen“. Fast 200 kamen am Samstagnachmittag, denn jeder von ihnen ist vom Streichkonzert auf der Schiene betroffen. Bisher kamen rund 1.900 Unterschriften zusammen - und deren Zahl wächst noch. Am heutigen Sonntag soll bei einem kleinen Fest in Wallenrod weiter gesammelt werden, bevor dann am Montag der Lauterbacher Bürgermeister Vollmöller die vermutlich über 2.000 Unterschriften erhalten soll.
Die Realität der vergangenen Wochen zeigt, dass die Bedenken und Befürchtungen der Dorfbewohner hinsichtlich massiver Benachteiligungen im Öffentlichen Nahverkehr berechtigt sind. Es bildete sich eine Initiativgruppe in Wallenrod. Das Ziel: die Wiedereinführung regulärer Zughalts in dem Lauterbacher Stadtteil.
Der gellende Pfeif-Protest der 200 Bürger am Samstagnachmittag war unüberhörbar – und sicher auch für die wenigen Fahrgäste im gelben Nahverkehrszug der Hessischen Landesbahn, der mit Tempo 80 vorbeirauschte. Es war zugleich eine „rote Karte“ für die Verkehrspolitik im ländlichen Raum. Doch die Wallenröder geben nicht auf, handeln nach dem Motto“...die Hoffnung stirbt zuletzt“ (ma). +++