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Aus "lost place" wird Vorzeige-Quartier - Sanierung ehem. EIKA-Kerzenfabrik
30.04.16 - "Das ist ja ein "lost place", begeistert sich unsere Fotografin, als wir hinter einem großen rosafarbenen Container ins Innere des alten Fabrikgebäudes eintreten. Von außen wirkt der Backsteinbau des Industriedenkmals noch recht ansehnlich, doch der lange Leerstand hat innen schon schlimme Spuren hinterlassen. Durch die großen Fehlstellen im Dach ist die Nässe bis in den Keller gelaufen, davon zeugen große Pfützen, es riecht modrig, Scherben knirschen unter unseren Schritten, überall stehen noch Reste der alten Produktionsanlagen.
Kurz nach der Jahrhundertwende errichtet, zeugte der große Schriftzug an der Fassade vom Stolz der Besitzer auf die hier expandierende Kerzenproduktion, gab vielen Fuldaern Lohn und Brot und trug den Ruf der Marke weit über die Grenzen der Region hinaus. Max Eickenscheidt, der Schwiegersohn des Gründers und "Lichtziehermeisters" Franz Emil Berta, gab seinen Namen für die zunächst "Eicka" genannte Wachswaren-Firma, die eindeutig bessere Zeiten hinter sich hat. Noch 2001 produzierten hier fast 200 Mitarbeiter rund 20.000 Tonnen Wachswaren im Jahr - von der Duft- und Grabkerze bis zu Dekoartikeln.
Von einer der führenden Produzenten von Wachswaren in Europa ist nach wirtschaftlichem Niedergang und zwei Insolvenzen zwar noch der Markenname Eika übrig geblieben, doch den hat eine niederländische Firma gekauft und produziert Kerzen mit diesem Logo jetzt dort und in Polen. Erst Anfang dieses Jahres ist das brachliegende Gelände An Vierzehnheiligen an die Papierfabrik Jass verkauft worden, die es als Lagerfläche nutzen will.
Doch das unter Denkmalschutz stehende Fabrikgebäude, mittlerweile ein ziemlich marodes Gemäuer sowie die Verkaufs- und Verwaltungsgebäude hat das Investoren-Ehepaar Gerd und Kerstin Hausner aus der bayerischen Rhön gekauft. Es ist nach der ehemaligen Landeszentralbank am Busbahnhof - heute Café Ideal - und der Wollgarnfabrik am Rosengarten bereits das dritte Objekt in Fulda, dem sich die Investoren widmen. "Die beiden Vorgängerprojekte sind mittlerweile wirklich Schmuckstücke zum Vorzeigen - das ist ganz großartig gelaufen", lobt Hausner und schwärmt von der reibungslosen Zusammenarbeit mit hiesigen Firmen. "Man kennt sich, man vertraut sich, da gibt es keinen Pfusch oder unliebsame Überraschungen". Die gute Erfahrung mit Hausners hat dann wohl auch zum Zuschlag bei der Eika geführt, obwohl es etliche Mitbewerber gab.
Jetzt sind die Aus- und Aufräumarbeiten im Gebäude schon die dritte Woche im Gange und containerweise Schutt, Müll und Altmetall abgefahren worden. Gerade werden alte Metallrohre von der Decke geflext. Doch die noch ausstehenden Arbeiten sind der weitaus größere Batzen: Zunächst muss das komplette Dach neu gedeckt, dann Geschoss für Geschoss saniert werden. Dabei wollen sich Hausners nicht von allem Alt-Inventar trennen: den etwas morbiden Charme der alten Maschinen kann sich das Ehepaar gut in einem künftigen Restaurant im Parterre vorstellen. "Schauen Sie mal diese alte Stechuhr: die haben so viele Menschen im Lauf der Jahrzehnte berührt, die muss man doch unbedingt erhalten", schwärmt Hausner. Er hat sich auch für die Funktionen der verschiedenen Maschinen interessiert und kann zum Beispiel erklären, wie die großen Rollen mit Dochten durch eine Wanne mit heißem Wachs gezogen wurden.
Nächtliche Besucher
Der Leerstand, das Inventar und die Lage der Immobilie haben auch schon ungebetene Gäste angelockt, die ihre Spuren im Treppenhaus hinterlassen haben."Offensichtlich trifft sich hier ab und zu nachts ein eingeschworener Kreis von Leuten, die sich dem Bau irgendwie verbunden fühlen", vermutet Hausner. "Die sollten sich über die O|N-Redaktion mal bei mir melden, vielleicht können wir gemeinsam eine Lösung finden, um weiteren Vandalismus am Gebäude zu verhindern."
Zur Zeit braucht man noch sehr viel Phantasie, um sich das Industriedenkmal saniert und mit neuen Mietern vorzustellen. Interessenten gibt es schon: ein Architekturbüro zeigte sich begeistert von den riesigen hellen Räumen mit den erhaltenen Eisensäulen, Werbeagenturen, Fotoateliers und diverse Dienstleister könnten hier einziehen. Als neue Nutzung für die alte Verkaufshalle denkt das Paar an eine Disco oder Musikkneipe, weil Lärm auf dem großen Gelände an der Bahn niemanden stören würde.
Mit der Vermarktung der von ihnen instand gesetzten Immobilien kennen sich die Hausners mittlerweile gut aus. Auch bei der Landeszentralbank und dem Pförtnerhaus der Wollgarnfabrik gab es genügend Interessenten und keinen Leerstand.
Bis hier wieder eingezogen und gearbeitet werden kann, werden noch etliche Monate ins Land gehen. Doch die Vision von neuem Leben in den alten Mauern ist schon ein ganzes Stück realer geworden.+++Carla Ihle-Becker