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Jede Hürde meistern: Blindes Vertrauen auf dem Wanderweg "Hochrhöner"
22.08.22 - Ambitioniert hält Regina Vollbrecht das Tempo. Nach Oberweißenbrunn (Kreis Rhön-Grabfeld) folgt jetzt die nächste Etappe: Es geht auf den Berg "Hohe Hölle". Der Weg wird steiler, während die Sonne knallt. "Die Route hat natürlich sportlichen Charakter", erklärt die blinde Berlinerin im parallel verlaufenden O|N-Gespräch, lässt sich dabei aber nicht aus der Puste bringen. Zu diesem Zeitpunkt an ihrer Seite: Begleitperson Christiana Basler aus Würzburg. Eine wichtige Stütze in vielerlei Hinsicht.
Es ist ein Auszug aus dem "Hochrhöner", einer von Deutschlands schönsten Weitwanderwegen. Eine besondere Tourwoche Mitte August für Blinde, Sehbehinderte und Sehende hat das Team vom "Genussgasthof Fuldaquelle" in Obernhausen bei Gersfeld (Kreis Fulda) organisiert. Konkret heißt das für die Naturfreunde: Es geht von Bad Kissingen bis nach Bad Salzungen. Die Route umfasst 140 Kilometer und 4.000 Höhenmeter - und das auf sechs Tage verteilt.
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Gegenseitige Ergänzung
Vollbrecht beschreitet zum ersten Mal diese Strecke. "Ich bin von Geburt an blind, das hindert mich aber nicht an meinem Hobby, dem Sport", so die 45-Jährige. Verschiedene Marathonläufe habe sie bereits in der Vergangenheit erfolgreich absolviert. Dank der 1:1-Betreuung mit einem sehenden Guide ist es auch ihr möglich, die herrliche Natur mit ihren weiten Wiesen in der Gebirgslandschaft wahrzunehmen. "Hören, Fühlen und Riechen sind wichtige Sinne. Im Prinzip führen wir unsere beiden Eindrücke zusammen. Mein Begleiter beschreibt die Umgebung, ich ergänze mit meinen Eindrücken - und zusammen ergibt sich für mich ein ganzes Bild." Das Interessante: "Unsere Begleiter wechseln täglich. So kann man stets neue Kontakte knüpfen, neue persönliche Geschichten erfahren."
Bunte Truppe aus ganz Deutschland
Seit 2016 gibt es die "Inklusive Genusswanderwoche". Initiator Rainer Brell blickt auf die Anfänge zurück. "Meine Frau und ich sind blind. Wir sind gerne unterwegs – mögen es zu wandern. Es ist jedoch schwierig, jemanden zu finden, der einen begleitet. Irgendwann ist dann die Idee entstanden, im Rahmen des ,Genussgasthofs Fuldaquelle' ein Gruppenangebot zusammenzustellen." Sein Vorhaben setzte er in die Tat um, bringt seit jeher seine Heimat - die Rhön mit all ihren Facetten - den Menschen näher. "Zum ersten Mal meistern wir den ,Hochrhöner'. Teilnehmende kommen aus ganz Deutschland, sei es München, Köln, Dresden, Hamburg oder Berlin. Der Kreis derer, die mit uns laufen, wird immer größer. Ich bin total erstaunt, dass sich so viele Mutige gefunden haben." Denn der Wanderweg ist kein leichtes Unterfangen. "Es ist schon anspruchsvoll. An einem Tag 25 Kilometer zu laufen ist die eine Sache, aber mehrere Tage hintereinander eine andere. Gute Kondition und Ausdauer sind notwendig."
Über sich hinaus wachsen
Brell kann allen potenziellen Interessierten die Erfahrung nur ans Herz legen: "Einfach Mut haben, den ersten Schritt wagen und sich auf Neues einlassen. Alle Teilnehmer profitieren auf ihre Weise von dem Wanderabenteuer - und nehmen unglaublich viel mit von dieser Reise."
(Maria Franco) +++