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Missbrauch bei der Klassenfahrt - Angeklagter verging sich an Schlafenden
09.02.23 - Im großen Sitzungssaal kann man von der Pressebank aus auf den Fußweg vor dem Landgericht Fulda sehen. Während die Staatsanwältin gerade die seitenlange Anklageschrift im Missbrauchsprozess gegen den 47-jährigen Ex-Schulleiter verliest, läuft da draußen eine jüngere Schulklasse vorbei. Sie haben Rucksäcke auf und sind offensichtlich vergnügt bei einem Schulausflug. Denen, die das wahrnehmen, läuft es kalt den Rücken runter. Der Grund: Der Angeklagte hat einen Teil seiner Opfer während Chor- und Schulfreizeiten nachts im Schlafsaal missbraucht.
Weil er seine Manipulationen im Genitalbereich der schlafenden Jungen mit seinem Smartphone filmte, steht er an diesem Mittwoch vor Gericht, denn das Videomaterial wurde nach einem Hinweis aus den USA bei einer Hausdurchsuchung bei ihm sichergestellt. Zum Prozessauftakt bei diesem spektakulären Missbrauchsprozess sah sich der Angeklagte mit einem Großaufgebot von Medienvertretern im Gerichtssaal konfrontiert. Wie bereits angekündigt war den Pressevertretern schon avisiert worden, dass sie zum Schutz der minderjährigen Opfer und deren Intimsphäre größtenteils von der Verhandlung ausgeschlossen würden. Doch ein Teil der Anklageverlesung war öffentlich, so dass das systematische Vorgehen des 47-Jährigen in unzähligen Fällen dokumentiert wurde. Tatorte dieser Übergriffe waren Klassenfahrten und Chorfreizeiten, bei denen er die ihm anvertrauten Kinder nachts im Schlaf missbrauchte und das filmte.
Bei der quälend lang dauernden Verlesung der Einzelfälle fiel besonders der Missbrauch an einem offenbar behinderten oder aus sonstigen Gründen widerstandsunfähigen Jungen ins Gewicht. Richter Joachim Becker ließ für die weitere Anklageverlesung, bei der die Opfer namentlich benannt werden, und den Rest der Verhandlung die Öffentlichkeit wie angekündigt ausschließen.
Nach Angaben der Verteidigung hat der 47-Jährige erklärt, er wolle sich geständig einlassen. Sollte das in vollem Umfang geschehen, könnte sich die Zahl von 40 Verhandlungstagen, die bis Ende Mai terminiert wurden, reduzieren.
Staatsanwalt Sebastian Zwiebel erklärt, wie Ermittler auf den 47-Jährigen kamen
Der zuständige Staatsanwalt Sebastian Zwiebel von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität, hat im Zusammenhang mit dem Verfahren erläutert, wie die Staatsanwaltschaft auf den Verdacht gegen den Angeklagten gekommen ist.
"Das Verfahren wurde durch einen Hinweis des National Center for Missing and Exploited Children (dem sog. "NCMEC"), einer NGO in den USA, initiiert. Amerikanische Provider sind nach dem dort geltenden Recht verpflichtet, Vorfälle zu melden, in denen ihre Nutzer kinder- oder jugendpornografisches Material über ihre Dienste hochladen oder teilen. Das NCMEC nimmt die Hinweise der Provider entgegen und fertigt den sog. "Cyber-Tipline-Report", in dem alle verfügbaren Informationen zu dem Vorgang zusammengestellt werden. Dieser Report wird dann der zuständigen Behörde in dem Land des Nutzers übermittelt. In Deutschland nimmt das BKA diese NCMEC-Hinweise zentral entgegen, tätigt die erforderlichen Erstmaßnahmen zur Ermittlung der örtlichen Zuständigkeit und gibt die Verfahren dann an die zuständigen Bundesländer weiter, die die weiteren Ermittlungen durchführen.
Im hiesigen Fall bestand nach diesem NCMEC-Hinweis der Verdacht, dass vom Internetanschluss an der Wohnadresse des Anschuldigten aus eine bekannte kinderpornografische Datei über einen amerikanischen Provider versendet worden sein soll." (ci) +++