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Chanukka – das Fest des Lichts
10.12.23 - Die Ursprünge von Chanukka sind historisch. Den Juden unter der Führung von Judas Makkabäus war es 167 v. Chr. gelungen, die griechische Fremdherrschaft abzuschütteln, Jerusalem zurückzuerobern, einen unabhängigen jüdischen Staat zu errichten und den Tempel wieder einzuweihen. Und genau das heißt Chanukka: Fest der Tempelweihe. Es beginnt nach dem jüdischen Kalender am Vorabend des 25. Kislev, am Abend des 07. Dezember, und endet am 15. Dezember.
Chanukka geht also ein Krieg voraus – in diesem Jahr werden wir daran besonders schmerzlich erinnert, denn Israel kämpft um seine Existenz und bangt weiter um das Leben von 140 verschleppten Geiseln.
Die erste Kerze brennt
Das zentrale Symbol von Chanukka ist die Chanukkia, der neunarmige Chanukka-Leuchter. An acht Tagen werden abends die Kerzen entzündet, jeden Tag eine mehr. Entzündet werden die Kerzen mit einer Extrakerze, dem "Schamasch" (= Diener).
Am 7. Dezember nach Sonnenuntergang entzündete Roman Melamed im Hof der Jüdischen Gemeinde Fulda die erste Kerze der Chanukkia. Er rezitierte die drei Segenssprüche zu Chanukka:
- "Baruch Ata Ado-naj Elohejnu Melech Haolam Ascher Kideschanu Bemizwotaw, Weziwanu Ledhadlik Ner Schel Chanukka" (= Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der uns durch seine Gesetze geheiligt hat; und uns befahl, die Chanukka-Kerzen zu leuchten).
- "Baruch Ata Ado-naj Elohejnu Melech Haolam Scheassa Nissim Laowotenu Bajamim Hahem Baseman Hase" (= Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der unseren Vätern Wunder geschehen ließ, in jenen Tagen zu dieser Zeit).
- "Baruch Ata Ado-naj Elohejnu Melech Haolam Schehechejanu Wekijemanu Wehigianu Lasman Hase" (= Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der uns Leben und Bestand gegeben und uns diese Zeit hat erreichen lassen). Diesen Segen spricht man nur am ersten Chanukkatag.
Gemeinsam sangen wir "Maos Zur", das traditionell an Chanukka erklingt und die Geschichte des jüdischen Volks und seines Glaubens an Gott erzählt, durch den es seine Feinde besiegt. Auch "Hava narima" sangen wir, die Melodie stammt aus Händels Oratorium "Judas Maccabäus", "See, the con’quering hero comes" – einer der Chorsätze daraus – entwickelte sich schnell zu einem weltweiten Klassik-Hit. Friedrich Heinrich Ranke schrieb 1820 auf diese Melodie das Kirchenlied "Tochter Zion, freue dich". Und 1936 verwendete Levin Kipnis die Melodie für einen neuen hebräischen Text, nun mit Bezug auf das Chanukka-Fest: "Lass uns das Banner und die Fackel heben. Wir singen zusammen ein Chanukkalied. Wir sind Makkabäer, unsere Fahne ist stolz und aufrecht."
Dreideln und Chanukka-Geld
Während die Kerzen der Chanukkia brennen – mindestens eine halbe Stunde – soll man nicht arbeiten. Die Kerzen sind nicht als Lichtquelle gedacht, dafür hat man schließlich Lampen, man sitzt davor und erzählt Geschichten, die mit dem Fest zu tun haben, singt oder spielt. Hier wurde nicht gespielt, aber ich erzähle Ihnen, wie es in der Familie meiner Freundin Gaby Goldberg zugeht:
"Wenn die Kinder da sind, spielen wir nach dem Essen eine Runde Dreidel (= jiddisch für Kreisel). An Chanukka benutzt man spezielle: Sie sind nicht rund, sondern eckig. Auf jeder Seite steht ein hebräischer Buchstabe – Nun, Gimel, Heh und Peh – das sind jeweils die Anfangsbuchstaben der Worte, die den Satz bilden: "Nes gadol haja poh" (= Ein großes Wunder war hier). Wir spielen um Agorot, das Äquivalent zum Cent. Alle bekommen zehn Agorot, und je nach "gedreideltem" Buchstaben muss man abgeben, gewinnt dazu usw. Das Engagement ist dabei immer sehr hoch."
In Fulda und überhaupt in der Diaspora benutzt man hingegen Dreidel, die als vierten Buchstaben ein Schin tragen, denn hier sagt man: "Nes gadol haja scham" – ein großes Wunder geschah dort, nämlich in Jerusalem. An Chanukka erhalten Kinder auch kleine Geschenke oder das Chanukka-Geld.
Wie aber kommt der Dreidel zu Chanukka? Der Legende nach gaben die jüdischen Schriftgelehrten unter der hellenischen Besatzung das Studium der heiligen Schriften nie auf, auch wenn es streng verboten war. Kam ein Staatsbeamter vorbei, versteckten sie die Schriften und holten Spiele hervor – als Vorwand, warum sie zusammensaßen.
Die Botschaft von Chanukka
Was sagt uns Chanukka heute? Gewiss, die Erinnerung an den Sieg über einen übermächtigen Gegner ist erhebend, Geschichten von Siegern und Helden waren zu allen Zeiten beliebt. Aber der kriegerische Bezug ist nicht das Wichtigste. Die Griechen wollten die Juden seinerzeit weder vertreiben noch töten, aber sie wollten ihnen ihre jüdische Lebensweise austreiben. Die ganze Welt sollten den griechischen Idealen folgen. "Greekness" war modern, auch viele Juden fühlten sich von der neuen Denkweise und Religion angezogen. Nicht die Makkabäer – die zogen in den Kampf.
Deshalb ist der eigentliche Kampf an Chanukka der um die eigenen Wurzeln. Das Licht in uns verlöscht, wenn wir Gott aus unserem Leben ausschließen oder uns falschen Göttern zuwenden, dazu gehören auch Materialismus, Gleichgültigkeit oder Machtgier. All das verunreinigt unsere Seele. Die Tora und ihre Mizwot sind nicht nur für den Schabbat und die Feiertage da, sie sollen tief ins ganze Leben hineinreichen. Dann erhellt das Licht der Chanukkia jede einzelne Seele, und mit ihr die ganze Welt.
Kein jüdisches Fest ohne gutes Essen
Öl spielt in der Chanukka-Geschichte eine große Rolle. Zur Einweihung des Tempels nämlich sollte die Menora entzündet werden, aber es fand sich nur noch ein Krug mit koscherem Öl, die Menge reichte gerade für einen Tag. Das Wunder von Chanukka war, dass das Öl für acht Tage reichte, die Zeit, die es brauchte, um wieder reines, koscheres Öl herzustellen. Viele Chanukkiot werden deshalb mit Öl statt Kerzen erleuchtet.
Deswegen ist auch bei den typischen Chanukka-Speisen Öl wichtig, man isst vor allem in Öl Gebackenes – also fett, ungesund, und soooo lecker! Die beiden bekanntesten Speisen sind Latkes (= jiddisch für Kartoffelpuffer) und Sufganiot – auf fuldisch Kräppel. Wären wir in diesen Tagen in Israel, würden wir in Bäckereien eine ungeheure Vielfalt von Sufganiot bestaunen können, ganz ähnlich wie wir in der Foaset Kräppel in allen Variationen kaufen können. Damit Sie einen Eindruck haben, wie es in diesen Tagen im Heiligen Land aussieht, hat meine Freundin Gaby Fotos in den Konditoreien Roladin in Tel Aviv und Kadosch in Jerusalem gemacht – sieht das nicht verführerisch aus?
Verführerisch gut schmeckte es auch in der Jüdischen Gemeinde, in der das Küchenteam wieder einmal wahre Wunder vollbrachte. Es gab Latges mit Joghurt, eingelegtes Gemüse, Salat, Lachs, Forelle und natürlich Sufganiot. Viele waren gekommen, feierten, beteten und sangen fröhlich miteinander. Gedankt wurde auch, allen voran Bella Gusman, dem Herz und Mittelpunkt der Gemeinde, dem Küchenteam Inessa Benea und Waleriy Maschinez, die wie immer von Gemeindediener Vasiliy Divotchenko unterstützt wurden.
Niemand konnte an diesem Abend die dunklen Gedanken vertreiben. Sie kamen ganz automatisch, denn heute sind es genau acht Wochen, seit die Hamas 1.400 Menschen ermordete und viele entführte. Für sie alle beteten wir gemeinsam in der Hoffnung darauf, dass sie bald zu ihren Familien und in ihre Leben zurückkehren können.
Zum Schluss der O|N-Serie über die großen jüdischen Feiertage geht mein Dank an Roman Melamed und Bella Gusman, die diese Begleitung über ein ganzes Jahr hinweg ermöglicht haben – aber auch an die gesamte jüdische Gemeinde, die mich mit offenen Armen empfangen hat. "Hier in der Gemeinde ist Frieden, hier fühle ich mich zuhause, hierher komme ich immer wieder gern". Das sind nicht meine Worte, sondern die Marion Rothkegels, die damit heute ausgedrückt hat, was auch ich hier immer empfinde. "Toda raba", vielen Dank – und auf viele Begegnungen im Neuen Jahr!
Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, möchte ich zum Ende der Serie und zum Ende dieses Jahres ein Gedicht von Erich Mühsam mitgeben. Mühsam war Schriftsteller, Anarchist, Bohemien und politischer Aktivist. In der Nacht des Reichstagsbrands wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet und 1934 im Konzentrationslager Oranienburg ermordet. Das Gedicht heißt "Heilige Nacht" und ist weder tröstlich noch besinnlich, dafür von sarkastisch-pointierter Wahrhaftigkeit.
Geboren ward zu Bethlehem
ein Kindlein aus dem Stamme Sem.
Und ist es auch schon lange her,
seit's in der Krippe lag,
so freun sich doch die Menschen sehr
bis auf den heutigen Tag.
Minister und Agrarier,
Bourgeois und Proletarier;
es feiert jeder Arier
zu gleicher Zeit und überall
die Christgeburt im Rindviehstall.
(Das Volk allein, dem es geschah,
das feiert lieber Chanukah.)
Ich wünsche Ihnen "Chanukka sameach" und "A fraylichen Chanukah": ein frohes Lichterfest – und natürlich eine schöne, beglückende Weihnachtszeit. (Jutta Hamberger)+++