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Pessach – das Fest der Freiheit
06.04.23 - Kaum eine Religion verbindet mit ihren Feiern so viel Erinnern an die eigene Geschichte wie die Jüdische. Jüdische Feiertage sind so etwas wie lebendige Geschichtsbücher, und das ist immer auch ein Akt der Selbstvergewisserung. Das achttägige Pessach ist das höchste jüdische Fest, ein Fest der Freiheit – denn es besingt den Auszug der Juden aus Ägypten.
Der Seder-Abend ist der Auftakt von Pessach. In diesem Jahr fand Seder am 5. und 6. April statt, und ich durfte am ersten Seder-Abend mitfeiern. Es war eindrucksvoll, bewegend, und in jeder Hinsicht bereichernd! Außerhalb Israels sind Juden in der Diaspora, aber sie haben einen wunderbaren Weg gefunden, das ein wenig zu kompensieren: In der Diaspora feiern sie ihre hohen Feiertage einfach zweimal, nicht einmal. An jedem Platz liegt die Pessach-Haggada, die, vergleichbar der Bibel, eines der auflagenstärksten Bücher überhaupt ist. Die Pessach-Haggada ist ein Leitfaden und Lehrbuch für diesen besonderen Abend, gehört zu den Fundamenten jüdischen Lebens und ist aus keinem jüdischen Haushalt wegzudenken.
Von den großen christlichen Festen wie Ostern und Weihnachten ist man gewöhnt, dass Gottesdienst und Feiern getrennt sind. An Pessach ist das ganz anders. Eigentlich gleicht der Abend einem großen Dialog. Es werden Fragen gestellt und beantwortet, es wird gedankt, es wird erzählt, es wird gesungen, es wird gegessen, es wird Wein getrunken. Alles in großer Ernsthaftigkeit, aber auch mit tiefempfundener Fröhlichkeit. Denn es ist ein Abend, an dem man der wiedergewonnenen Freiheit gedenkt. Die Geschichte entfaltet sich nicht als von der Kanzel verkündete Botschaft, sondern im Zwiegespräch zwischen Vorbeter und Gemeinde, unterbrochen von rituellen Speisen.
Seder dauert. Wenn man ein Kind ist, kann man sich da schnell langweilen. Seder wird aber so gefeiert, dass Kinder ein- und nicht ausgeschlossen sind – ich finde das ungeheuer sympathisch. Wäre das nicht sehr vorbildhaft auch für christliche Hochfeste? An Seder haben Kinder eine zentrale Rolle. Sie sollen Fragen stellen, sollen neugierig werden, sie sollen die Lebendigkeit ihrer
Religion spüren. Die Rabbinerin Judith Edelman-Green erklärte es so: "Wenn ich meinen Kindern nur sage, bewahrt die Tradition, das ist eine sehr wichtige Nacht auch für euch, dann bewirkt das gar nichts bei ihnen. Aber wenn wir die Mazza hochheben und zeigen, wenn wir das Glas erheben, dann zelebrieren wir etwas gemeinsam und bewahren es auch gemeinsam."
Es gibt bei Seder viele Anknüpfungspunkte für Christen. So sah der Apostel Paulus Jesus als Passa-Lamm, das zu unserem Schutz und Heil geschlachtet wurde. Hier wird besonders deutlich: Die ersten Christen waren auch Juden, die ihre traditionellen Feste feierten und Jesu Schicksal vor diesem Hintergrund deuteten. Wir haben das Opfer des Passa-Lamms arg verniedlicht, bei Teig- und Schoko-Lämmern kommt kein Gedanke mehr an das vergossene Blut auf. Pessach wie Ostern helfen uns zu verstehen, dass aus Tod und Blut letztlich das Heil erwuchs – und das nichts ohne Gott und den Glauben an ihn ist.
Kiddusch, Karpa und Mazza
"Seder" bedeutet so viel wie Ordnung, und genau das strukturiert diesen Abend – nichts bleibt dem Zufall überlassen. "Baruch atta adonai, elohenu melech ha-olam" – der Seder-Abend beginnt mit dem "Kiddusch". Mit diesem Segensspruch werden jüdische Feiertage und jeder Sabbat eingeleitet. Als erste der sechs rituellen Speisen auf dem Seder-Teller isst man "Karpas", rohes Frühlingsgemüse. Das tunkt man in Salzwasser, bevor man es isst. Das hebräische Wort "Karpas" erinnert an die zermürbende Arbeit, die von den Juden in Ägypten verrichtet werden musste, das salzige Wasser steht für ihre Tränen.Dann wird das Brot gebrochen. "Mazza" ist ungesäuertes Brot. Und auch das hat symbolischen Charakter. Als die Juden in aller Eile Ägypten verließen, hatten sie keine Zeit, den Brotteig zu säuern. Matze war also eine frühe "To-Go-Speise", ungeheuer praktisch. Wieder gibt es etwas für die Kinder, denn eine Hälfte des Matze-Brots wird als "Afikoman" versteckt und erst später gegessen. Das Kind, das es findet, wird mit einem kleinen Geschenk belohnt.
Eine Nacht, anders als alle anderen
An Pessach kommt dem Wein eine besondere Bedeutung zu. Jede und jeder muss zu festgelegten Zeitpunkten vier Gläser trinken. Das erste Glas trinkt man zum Segensspruch, das zweite zwischen Vorspeise und Hauptgang, das dritte nach dem Tischgebet, das vierte nach dem Dankgebet. Man darf aber auch roten Traubensaft nehmen. Im zentralen Teil der Feier, dem "Magid", wird die Geschichte vom Auszug aus Ägypten erzählt. Alle, die mitfeiern, sollen sich fühlen die wie Juden damals. Dabei helfen die Texte und Gebete, aber auch die Speisen. Zuerst werden die "Maror", die Bitterkräuter gegessen, die an die Bitternis der Sklaverei erinnern. Auch die zehn Plagen fehlen nicht: Blut, Frösche, Ungeziefer, wilde Tiere, Pest, Aussatz, Hagel, Heuschrecken, Finsternis, das Erschlagen der Erstgeborenen. Bei jeder Plage, die erwähnt wird, taucht man den Finger in den Wein und lässt einen Tropfen auf den Tisch fallen – den Plagen wird symbolisch der Garaus gemacht.Nun wird Matze ("Mazza") gegessen. Danach gibt es ein Matze-Sandwich ("Korech") mit Bitterkraut ("Maror") und Kraut ("Chaseret"). Es schmeckt wirklich bitter! Aber dann gibt’s was Süßes: "Charosset" sieht wie Lehm aus und soll an Lehm erinnern, denn aus Lehm mussten die Juden in Ägypten Ziegel herstellen. Es ist die einzige süße Speise auf dem Seder-Teller – eine Mischung aus Früchten, Rosinen, Nüssen und Wein, meist bestreut mit Zimt.
Festmahl und Dank
Die letzte Speise des Seder-Tellers ist das Ei. Ein gelehrter Rabbiner wurde einmal gefragt, wieso die Juden denn an Pessach Eier äßen. Er antwortete: "Eier symbolisieren Juden. Umso mehr ein Ei verbrannt oder gekocht wird, desto härter wird es." Natürlich steht das Ei auch für Fruchtbarkeit und das Leben schlechthin.Haben Sie mitgezählt? Dann haben Sie bemerkt, dass eine Speise auf dem Seder-Teller noch nicht erwähnt wurde, der Knochen ("Sroa"). Er bleibt während des gesamten Sederabends auf dem Teller liegen und symbolisiert das im Tempel geopferte Pessachlamm. Gegessen wird er deshalb nicht, weil es den Tempel nicht mehr gibt.
Eigentlich ist man vor dem Festmahl durch die rituellen Speisen schon gut satt, aber nun wird das dreigängige Festmahl gebracht. Wie das Küchen-Team all das in der kleinen Gemeindeküche für so viele Leute zaubert, ist ein kleineres Wunder für sich! Und auch das "Afikoman" kommt nun wieder auf den Tisch und wird verspeist.
Mit dem Dankgebet endet der Seder-Abend, es folgen einige Loblieder, besonders groß ist die Begeisterung bei "Eins, wer weiß es?" ("Echad mi jodea"), einer Zählgeschichte, die als Frage-Antwort-Gesang gesungen wird. Denken Sie an das Spiel "Kofferpacken", dann haben Sie eine gute Vorstellung davon, wie dieses Lied geht, bei dem man sich die Bedeutung von dreizehn Zahlen merken muss.
Viele, auch nicht-jüdische Gäste waren an diesem Seder-Abend dabei, unter ihnen Dr. Michael Imhoff, Träger des Obermayer German Jewish History Awards zusammen mit seiner Frau, Sibylle Herbert und Dr. Sebastian Koch – beide FDP, Wolfgang Hengstler von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, etwas später stieß auch MdB Michael Brand (CDU) noch zur Feier hinzu. Und wir alle stimmten ein in den Satz, der jede Seder-Feier beendet: "Leschana haba’ah bi‘ruschalajim" – nächstes Jahr in Jerusalem!" (Jutta Hamberger) +++
Teil 1: Der Feiertag Purim: Auf das Leben!
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