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Das Spiel mit der Sichtweise: „Jeder sieht in anderen Farben“ – Sébastien Jacobi lebt diese Weisheit nicht nur als Ruprecht in der Festspielinszenierung „Der zerbrochne Krug“ vor. - Foto: Stefanie Harth

BAD HERSFELD Festspiel-Stars im Portrait (11)

Sébastien JACOBI surft auf dem „Zerbrochnen Krug“

HINTERGRUNDIn dieser Reihe stellt OSTHESSEN|NEWS wöchentlich einen oder mehrere Festspiel-Stars der Spielzeit 2015 im Portrait vor. Wir haben die Darsteller in der Festspielstadt besucht und mit ihnen über ihre Rollen, Bad Hersfeld und andere Highlights gesprochen.

03.07.15 - Mit seinem PS-starken Boliden brettert Gerichtsrat Walter über den Highway. Plötzlich verliert er die Kontrolle über seinen Porsche. Das Heck der Luxuskarosse bricht aus. Mit vollem Karacho landet das Gefährt im Wüstensand. Staub wirbelt auf. Walter quält sich aus dem völlig lädierten Auto. An eine Weiterfahrt ist nicht mehr zu denken. Nach einem stundenlangen Marsch durch flirrende Hitze und Trockenheit, strandet der völlig entkräftete und durstige Gerichtsrat in einem gottverlassenen Kaff am Ende der Welt, das von mafiösen Strukturen geprägt ist. In diesem Nest schwingt der undurchsichtige, bestechliche Dorfrichter Adam das Zepter, der es mit der Wahrheitsfindung nicht so genau nimmt. Das Drama beginnt…

Heinrich von Kleists Lustspiel „Der zerbrochne Krug“ als Kinofilm: Sébastien Jacobi, der in der Festspielinszenierung den Bauernsohn Ruprecht mimt, hat ein hollywoodreifes Drehbuch in seinem Kopf. „Kleist entpuppt sich als bester Hollywood-Schreiber. Man müsste seine Sprache in Bilder umsetzen, das würde einen unglaublichen Film ergeben.“ Kleist und Jacobi – das passt wie die Faust aufs Auge. Für den gebürtigen Kölner sind die Bad Hersfelder Festspiele bereits die fünfte Begegnung mit dem großen deutschen Dramatiker. „Ich bin ein Kleist-Fan“, meint er. „Wenn ich mir noch die Rolle der Frau Marthe Rull aneignen würde, könnte ich den ‚Krug‘ als Soloprogramm aufführen.“

„Wenn es läuft, dann ist es Genuss pur“

Vor eineinhalb Jahren schlüpfte der Schauspieler, der auch regelmäßig als Regisseur und Bühnenbildner in der Theaterwelt unterwegs ist, auf der Bühne des Bregenzer Stadttheaters in die Rolle des Dorfrichters Adam. „Für mich persönlich ist es gut und beruhigend, in Holk Freytags Inszenierung den Ruprecht mit dem Wissen von Adam zu verkörpern.“ Eine ehemalige Regisseurin habe seinen Part bei den Festspielen folgendermaßen kommentiert: „Das muss man auch einmal schaffen: erst kommt der Dorfrichter und dann der ‚Abstieg‘ als Bauernsohn.“ Zum „Krug“-Ensemble stieß Sébastien Jacobi, der den einst für die Rolle des Ruprechts vorgesehenen Markus Gertken ersetzt, erst knapp vier Wochen vor der Premiere. „Das war hart, besonders das Einstudieren des anspruchsvollen Textes“, sagt er. Von großem Vorteil sei allerdings gewesen, dass er die Architektur des Stückes kenne. „Wenn man den Text beherrscht, kann man super darauf surfen. Wenn es läuft, dann ist es Genuss pur.“

Um seiner Figur mehr Tiefe zu verleihen, setzt der in Berlin lebende Schauspieler auf eine Brillen-Choreographie. „Ruprecht kann selbst entscheiden, durch welche Brille er schaut. Ich versuche ihn für eine andere Wahrheit zu öffnen.“ Überhaupt stecke in Ruprecht mehr als ein dummer Bauer, mehr als eine holzschnittartige Kasperlefigur. „Ich spiele einen Menschen, der Zweifel und Liebe in sich trägt.“ Und dem Eve – davon ist Sébastien Jacobi überzeugt – eine unglaublich moderne Liebeserklärung offeriert. „Sie bittet ihn darum, ihr zu vertrauen und erklärt ihm, dass es für sie einen wichtigen Grund gibt, so zu handeln wie sie handelt. Doch diesen Kredit gewährt er ihr (anfangs) leider nicht…“

Mehr Gauklertum für die Festspielstadt

Gefallen findet Sébastien Jacobi nicht nur an Heinrich von Kleists Werk, sondern auch an der Spielstätte, der Stiftsruine. „Je größer, desto besser“, betont er. „Das alte Gemäuer ist wahrlich beeindruckend.“ Was ihm im Stiftsbezirk ein wenig fehle, sei ein bisschen mehr Zirkusatmosphäre. „Damit meine ich das Flair, das ein altes Wandertheater versprüht. Ich vermisse das Gefühl, das die alte Tradition des Gauklertums in sich birgt. Das wäre eindeutig charmanter als weiße Messezelte.“ Enttäuscht zeigt er sich zudem darüber, dass die Festspielfanfare vom Band abgespielt wird. „Die Fanfare muss einfach live, handmade erklingen.“ Überhaupt ist der Schauspieler nicht unbedingt ein Freund von technischen Hilfsmitteln. „Mittlerweile wird im Sprechtheater häufig auf verstärkte Stimmen durch Mikroports gesetzt, um mehr Intimität zwischen Darstellern und Publikum herzustellen – so auch bei den Bad Hersfelder Festspielen.“ Allerdings dezimiere sich dabei der Kontakt zu den Mitspielern auf der Bühne. „Wir müssen uns wahnsinnig konzentrieren, weil wir ‚Matsch‘ im Ohr haben – das ist ein Empfinden wie unter Wasser zu sein.“

Das „rettende Ufer“ erreicht Sébastien Jacobi dennoch nach jeder Vorstellung – schließlich möchte er seinen „Außenblick“ wahren. Mit offenen Augen, voller Entdeckungsdrang streift er durch die Lullusstadt. Aufmerksam lässt er seinen Blick über die Schauspielertafel an der Stiftsruine schweifen. Als er den Namen Jörg Pleva liest, der mehrfach bei den Festspielen mitwirkte, greift er hastig zu seinem Handy und wählt die Rufnummer eines Schauspielkollegen, mit dem er gemeinsam auf der Bühne stand. „Stell Dir vor, ich darf dort spielen, wo einst Dein Vater agierte.“ Ein weiterer Kreis schließt sich. (Stefanie Harth) +++


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