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Hebamme Denise Finke rät dazu, offen über Fehlgeburten zu sprechen
03.03.23 - Babys, die das Leben nicht kennenlernen durften, nennt man Sternenkinder. Warum genau? "Weil sie den Himmel gesehen haben, bevor sie das Licht der Welt erblickten", sagt Denise Finke.
Sie ist Hebamme mit einer eigenen Praxis am Buttermarkt in Fulda und steht Eltern tröstend zur Seite, die sich von ihrem Wunder verabschieden müssen.
Im neunten Teil der Hebammenserie, die regelmäßig auf OSTHESSEN|NEWS erscheint, spricht Denise Finke über das vermeintliche Tabuthema "Fehlgeburt" und gibt Tipps, wie Sterneneltern mit der Trauer umgehen können.
Etwa jede sechste Frau erlebt in ihrem Leben eine Fehlgeburt. Davon betroffen sind überwiegend Schwangerschaften bis zur 12. Woche. Von Fehlgeburten allgemein spricht man, wenn Eltern das Ungeborene vor der 24. Schwangerschaftswoche verlieren oder das Kind weniger als 500 Gramm wiegt. "Alles was darüber liegt, bezeichnet man als Totgeburt", sagt Denise Finke. Zu einem Schwangerschaftsstillstand kommt es, wenn beim Kind das Herz nicht mehr schlägt. Eine Antwort auf die Frage, warum es dazu kommt, gibt es selten. In der Regel ist so ein Vorfall etwas Natürliches. "Das zu verstehen, tröstet die Eltern oft", sagt Denise Finke. In Ausnahmefällen kann die Ursache für eine Fehlgeburt bei der Frau liegen. "Wenn sie zum Beispiel gesundheitliche Erkrankungen hat", sagt Finke.
"Drei Tage lang habe ich nichts gemacht. Ich konnte so in Ruhe Abschied nehmen"
Julia Papenfuß aus Hilders war in der 18. Schwangerschaftswoche, als Finke beim Ungeborenen keine Herztöne mehr hörte. "Das war ein riesiger Schock für mich. Ich habe erst gedacht, dass Denise mich veräppelt", sagt die 36-Jährige. Hebamme Finke leitete Julia zu einer Gynäkologin weiter, die schließlich den Verdacht bestätigte. Dann ließ Julia sich lange Zeit, um alles zu verarbeiten. "Drei Tage lang habe ich nichts gemacht. Das war für mich sehr wichtig. Ich konnte so in Ruhe Abschied nehmen", sagt sie. In der Folgewoche ließ sie sich gemeinsam mit ihrem Mann im Krankenhaus über die Möglichkeiten, die Schwangerschaft abzubrechen, beraten.Frauen haben je nach Schwangerschaftsstadium drei Optionen. Sie können entweder abwarten, bis das Ungeborene den Körper mit einer Blutung verlässt, Medikamente einnehmen, die Wehen einleiten, oder in den frühen Wochen operativ eine Ausschabung durchführen. Anna Stamm ist Gynäkologin in Berlin und führt in ihrer Praxis sowohl medikamentöse als auch operative Schwangerschaftsabbrüche durch. Sie sagt: "Frauen sollen intuitiv entscheiden, was sich für sie richtig anfühlt und wann der richtige Zeitpunkt dafür ist. Ein Abort ist in der Regel kein Notfall. Frauen können sich dafür Zeit lassen." Stamm rät außerdem dazu, sich die Unterstützung einer Hebamme zu suchen. "Sie kann helfen, Gefühle zu verarbeiten und zeigt der Frau den Weg zurück in den Alltag."
"Jede Fehlgeburt ist ein Verlust. Egal, wie frisch die Schwangerschaft ist."
Julia Papenfuß führte den Schwangerschaftsabbruch medikamentös durch. Sie ist dankbar, dass sie Denise Finke als Begleit-Beleghebamme an ihrer Seite hatte: "Sie hat uns über unsere Rechte informiert und den Schmerz erträglicher gemacht." Gynäkologin Anna Stamm sagt: "Jede Fehlgeburt ist ein Verlust. Egal, wie frisch die Schwangerschaft ist." Und welche Wege gibt es, um die Trauer zu bewältigen? "Viele geben dem Ungeborenen einen Namen und beerdigen es auf einer Sternenwiese. Einige entscheiden sich dazu, die Momente mit Fotos festzuhalten", sagt Denise Finke.Genau das macht Marie-Luise Härtel in Fulda. Sie ist Sternenkindfotografin, "weil ich Eltern die Möglichkeit geben möchte, sich ein Leben lang an ihr Kind zu erinnern." Bei ihrer Arbeit hat Marie-Luise schon die unterschiedlichsten Stimmungen wahrgenommen: "Von Trauer, Angst, Sorge bis hin zu Wut war alles dabei." Ein Gefühl überwiegt aber stets: "Die Liebe zu dem kleinen Menschen, das viel zu früh die Reise zu den Sternen antritt, ist immer spürbar." Je nach Wunsch fotografiert Marie-Luise entweder nur das Sternenkind oder auch die Familien. Retuschiert wird nichts: "Ich finde es wichtig, dass Eltern ihr Ungeborenes so perfekt unperfekt in Erinnerung behalten, wie es war."
Julia Papenfuß und ihr Mann haben sich gegen Fotos eines Fotografen, aber für eine Beerdigung auf einer Sternenwiese in Hilders entschieden. Das findet Denise Finke gut und wichtig: "So finden Familien für das Erlebte einen würdigen Abschluss. Und sie merken, dass sie nicht allein sind." Heute kann Julia mit ihrer Familie und ihren Freunden offen über die Fehlgeburt sprechen – auch, wenn es noch weh tut: "Ich versuche, das Positive daran zu sehen. Ich weiß jetzt, dass meine drei Kinder, mein Mann und ich immer einen kleinen Schutzengel um uns herum haben. Der Gedanke stärkt mich enorm und trägt mich durch mein Leben."