Arbeitsunfähigkeit
Lohnfortzahlung ja, aber bitte andere Überwachungsverfahren
Seit etwa 20 Jahren arbeite ich in der gesundheitlichen Versorgung in einer doppelten Funktion als Vertragsarzt und als Arbeitgeber. Davor arbeitete ich 18 Jahre im Angestelltenverhältnis. Ich schreibe diesen Artikel, auch wenn ich befürchten muss, dass einige alles falsch verstehen werden und dagegen Sturm laufen. Meine gesamtgesellschaftliche Verantwortung verlangt es aber von mir.
Gleich zu Anfang ist es mir fern, das Sozialsystem der Arbeitsunfähigkeit infrage zu stellen. Es geht lediglich darum zu erklären, wie dieses System wirklich funktioniert und wie der Missbrauch abzustellen ist.
Eine Arbeitsunfähigkeit – kurz AU – herrscht vor, wenn bei einem kranken- und unfallversicherten Arbeitnehmer, ein durch Krankheit oder einen Unfall regelwidriger Körperoder Geisteszustand ausgelöst wurde, mit welchem seine bis dato ausgeführte Erwerbstätigkeit nur noch unter akuter Verschlimmerung des Zustandes ausgeführt werden kann.
Als Arbeitgeber besteht Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung, sowie auf Krankengeld oder Verletztengeld. Die besagte Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit erhält der Arbeitnehmer in doppelter Ausführung vom Arzt. Ein Exemplar, welches die Diagnose enthält, wird zur Krankenkasse geschickt. Die zweite Kopie, ohne Diagnose, geht direkt an den Arbeitgeber.
Bestehen trotzdem Zweifel an der Diagnose seitens der Krankenkasse, kann der Medizinische Dienst der Krankenversicherung eingeschaltet werden. Das geschieht meiner Erfahrung nach so gut wie nie, da die Krankenkassen erst nach sechs Wochen verpflichtet sind Krankengeld zu leisten.
Der Arbeitgeber wendet sich bei Zweifeln ebenso an die Krankenkasse, was das Einschalten des gleichen Dienstes zur Folge hat, aber nur halbherzig veranlasst wird.
Während der Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitgeber 100% Lohnfortzahlung bekommt, bezahlt die Krankenkasse etwa 79% vom Gehalt. Das veranlasst manche Arbeitnehmer sich arbeitsfähig beim Arbeitgeber zu melden und dann einige Tage später wieder eine Krankmeldung einzureichen.
Die Arbeitgeber in Deutschland tragen mit Recht in unserem System der sozialen Marktwirtschaft die Hauptlast: Während die Krankenkassen etwa 12 Milliarden Euro jährlich für Krankengeld ausgeben, ist die Belastung für Arbeitgeber um das Vielfache höher, nämlich rund 55 Milliarden Euro für Lohnfortzahlung + Produktivitätsausfall von rund 80 Milliarden Euro jährlich. Anders ausgedrückt besteht ein Belastungsverhältnis von 12 Milliarden : 135 Milliarden.
Nicht selten beschweren sich Mitarbeiter, mit Recht, über Kollegen und Kolleginnen mit häufi gen Krankmeldungen, die für sie nicht nachvollziehbar sind. Ein Arbeitgeber wird und kann bei Krankmeldungen von Mitarbeitern nicht so schnell neue Mitarbeiter einstellen, sodass in der Regel die Arbeit von den restlichen Kollegen bewältigt werden muss. Ein Arbeitgeber mit sozialer Verantwortung wird gegen diesen Missbrauch, nicht zuletzt zum Schutz der anderen Kollegen, handeln müssen.
Fazit:
Die Überwachung des Systems der Arbeitsunfähigkeit alleine den Krankenkassen zu überlassen macht ökonomisch und gesamtgesellschaftlich keinen Sinn. Es muss paritätisch ein System von Ärzten, Krankenkassen und Arbeitgebern geschaffen werden, welches im Bedarfsfall Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen überprüft.
Dr. Al-Hami