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Bischof (em.) Algermissen: "Mir wurde eine neue Art von Freiheit" geschenkt
22.09.18 - 17 Jahre lang war Heinz Josef Algermissen Bischof von Fulda und "die letzte Verantwortung lag immer bei mir". Beim Besuch in der Redaktion von OSTHESSEN|NEWS wagte er einen Rückblick auf seine Bischofszeit, hob schöne und schmerzhafte Augenblicke in dieser Zeit hervor. Seit dem 05. Juni 2018 um Punkt 12.01 Uhr ist nichts mehr so wie es früher war - ein "radikaler Schluss". Der Papst hatte seiner nach Kirchenrecht zuvor eingereichten Versetzung in den Ruhestand nach Vollendung des 75. Lebensjahres zugestimmt.
Mit der Emeritierung hat Heinz Josef Algermissen alle Kompetenzen und Verantwortungen für das knapp 393.000 Katholiken zählende Bonifatius-Bistum mit 274 Pfarreien zwischen Bad Karlshafen, Fritzlar, dem Fuldaer Land bis nach Hanau abgelegt. Auch in der kommende Woche in Fulda beginnende Bischofskonferenz hat er kein Stimmrecht mehr. "Ich war gerne Bischof, denn die Menschen sind mir in all den Jahren im ganzen Bistum offen entgegentreten" stellte er fest. Wenn er Menschen habe helfen können, habe ihm das viel Freude gemacht. "Erfolge wurden immer sozialisiert, Probleme auf den Bischof personalisiert" stellt er rückwirkend fest.
Doch als Bischof (em.) hat er einen neuen Lebensabschnitt angetreten, der mit vielen Veränderungen verbunden ist. Anstelle des Dienstsitzes am Fuldaer Michaelsberg im historischen Palais bewohnt Algermissen in nur 100 Meter Luftlinie eine deutlich kleinere Wohnung in dem extra umgebauten, bistumseigenen ehemaligen Kontorgebäude von "Wein-Schmitt". Es sei eine "große Reduktion, die Räume sind kleiner“ meinte der Oberhirte
Rund 140 Quadratmeter Wohnfläche hat die neue Wohnung im ehemaligen Weinkontor - mit Gästezimmer, Arbeitszimmer und Andachtsraum. Der neue, kleinere Wohnsitz habe auch seine Vorteile. So lebe er nun etwas abgeschiedener, ihm sei eine "neue Art von Freiheit" geschenkt worden. Früher war er der "Diener seines Terminkalenders", jetzt könne er sich mit schönen Dingen befassen: Bücher lesen, theologische Werke studieren oder mehr Kultur in Form von Konzerten oder Ausstellungen erleben. "Ich hoffe, dass mir Gott die Gesundheit und Spannkraft noch einige Zeit bewahrt."
Heinz Josef Algermissen fällt nach eigenen Worten "nicht ins Bodenlose", sondern sieht in Zukunft noch viele Aufgaben machbar. "Wenn ich gefragt werde und kann, dann übernehme ich auch mal eine Pfarrer-Vertretung". Und dass dies kein leeres Versprechen ist, erlebten kürzlich die Gläubigen in Eichenzell-Rönshausen, wo der emeritierte Bischof plötzlich die Sonntagsmesse hielt. Es sei eine "Erfahrung sonders gleichen" gewesen, erzählte Algermissen. "So schön, so lebendig mit 100 Leuten in der Dorfkirche, eine Gitarre statt Orgel". Doch der 75-Jährige will kein "Dorfpastor" werden, sondern der Kirche seine helfende Hand anbieten. Jüngst war er etwa für das Bistum Fulda ganz offiziell im ungarischen Temeswar zur Bischofsweihe. Die Präsidentschaft der katholischen Friedensbewegung "Pax Christi" wird er noch in diesem Herbst abgeben, denn "das muss ein residierender Bischof machen, sonst hat er keinen Einfluss".
Fulda als Alterswohnsitz
Nach dem Tod seiner Mutter 2016 entschied sich Algermissen für den Alterswohnsitz Fulda. Er sammelte zuvor zwei Jahre lang auf einem Zettel Argumente für und gegen seinen vorherigen Bischofssitz in Paderborn. „Meine Schwestern sind dort verheiratet, ich habe viele Freunde dort und meine Eltern sind beide dort beigesetzt - das waren große Argumente für Paderborn“, zählt er auf. Aber nach 17 Jahren sei er trotz einiger Freunde doch ein Fremder geworden. Doch auch die gute medizinische Infrastruktur in Osthessen sei ein Grund: „Im Frühjahr 2016 fiel ich sechs Wochen mit Krankheit aus. In Paderborn hätte ich nicht gewusst, was ich machen soll. Im Alter muss man sich ganz neu entwerfen.“
"Ich wurde auch oft belogen"
Der Zölibat ist für den Bischof (em.) zwar nicht das wesentlichste Problem der Kirche von heute, aber Algermissen hat in seiner Amtszeit ein knappes Dutzend Fälle erlebt, wo Priester (meist wegen Frauen) ihr abgelegtes Treueversprechen gebrochen und der Kirche den Rücken gekehrt haben. "Das war immer ein Schock, ich war sehr sehr betroffen, erschüttert, das ist schlimm" schilderte er diese Momente. Wenn Pfarrer "plötzlich ein Gespräch" wollten, dann ahnte er nicht selten einen solchen Bruch, der am Ende eines langen Prozesses gestanden habe. "Es war viel zu oft, wir sind leider nicht im Himmel." Es habe eine "Menge Lügen" auch ihm gegenüber gegeben. Und erst Recht die zahlreiche Missbrauchsfälle als Ergebnis "versagter Distanz" habe er wie eine "Eruption" verspürt.
Mit Blick auf die Weltkirche sieht Algermissen "kurz- und mittelfristig keine Möglichkeit, dass der Zölibat abgeschafft wird." Vielleicht gebe es in Regionen ohne Priester eine Art "Lockerung", aber im letzte Sinne sei die Aufhebung des Zölibates "keine Lösung" für den Priestermangel. In diesem Zusammenhang zitierte er das II. Vatikanum, das festgestellt habe: "Der Zölibat ist nicht notwendig für das lateinische Priestertum, aber dem Priesteramt angemessen, weil es zeige, dass man Christus nachfolge." Algermissen betonte, dass man im übrigen derzeit doch ohnehin schon eine Art "Frauenkirche" habe. 90 Prozent des kirchlichen Engagements laufe über Frauen. Deren Wert ändere sich auch dadurch nicht, dass ihnen bestimmte Ämter und Funktionen verschlossen blieben.
Ein "manifestierter Gottesverlust in der Gesellschaft
Das "größte Problem" sieht der Bischof (em.) viel mehr in einem "manifestierten Gottesverlust der Gesellschaft: Was nütze es, mehr und verheiratete Priester zu haben, wenn die Menschen nicht an Gott glaubten?" fragt er. Es gebe immer mehr eine Mentalität der Menschen, die "wie Eintagsfliegen" lebten. "Wenn ich eindimensional lebe, etwa wie ein nützlicher Automat nur reagiere, fehlt nir natürlich auch nichts - alles andere wird zum Störfaktor." Gott sei niemand, den man wie eine Spielpuppe auf den Schoß nimmt, sondern er will uns laufend in der Nähe haben. "Wenn die Menschen das nicht einüben, dann fehlt er auch in kritischen Situationen völlig".
Ein nicht minder großes Problem ist aus Sicht von Algermissen das Fehlen der Jugend in der Kirchenarbeit. "Wir müssen in Zukunft mehr altersorientiert vorgehen", stellte er fest. Seiner Meinung nach gebe es schon zahlreiche Jugendangebote, aber "bestimmte Formen der Liturgie sollte man nicht auflösen". Es herrsche sonst eine "Diktatur der Formlosigkeit, ein manifestiertes Chaos". Die Kirche sei in erster Linie keine Institution, sondern "geistbegehrt" mit einer Fülle von Möglichkeiten: Amt und Charisma müssten zusammenkommen. (Martin Angelstein / Julius Böhm) +++