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Mit ein bisschen Glück könnte es doch noch was werden mit dem Sommerurlaub, wenn vielleicht auch nur im eigenen Land. Das Fliegerdenkmal auf der Wasserkuppe in der Rhön. - Foto: Hendrik Urbin

REGION Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel

Coronavirus: Alles auf Grün - Aber: Was bringen die nächsten Monate?

Zur Person Dr. Thomas MenzelPriv.-Doz. Dr. med. Thomas P. Menzel (56) ist Facharzt für Innere Medizin mit den Schwerpunkten Gastroenterologie und Hämatologie/ internistische Onkologie sowie Zusatzqualifikationen als ärztlicher Qualitätsmanager und Diplom-Gesundheitsökonom. 2004 hat er sich für das Fach Innere Medizin habilitiert. Seit Mai 2011 ist Dr. Menzel hauptamtlicher Vorstand der Klinikum Fulda gAG und trägt dort die Verantwortung für die Krankenversorgung.

10.05.20 - Wir haben es geschafft, - könnte man meinen. Die Anzahl der Neuinfektionen mit dem neuartigen Corona-Virus verbleibt auf niedrigem Niveau, die Reproduktionszahl R pendelt zuverlässig um die magische 1. Der Sommer steht vor der Tür, und die Bedingungen für das Virus werden schlechter. Gut für uns. Die Schritte zur Rückkehr in die Normalität sind verkündet. Mit ein bisschen Glück könnte es doch noch was werden mit dem Sommerurlaub, wenn vielleicht auch nur im eigenen Land. Alles auf Grün?

Nein, leider nicht. Darum auch hat die Politik eine Sicherung eingebaut. Bei mehr als 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt binnen sieben Tagen springt die Ampel auf Rot, und die Lockerungen sind zurückzunehmen.

Genau das geschieht zum Beispiel derzeit im Kreis Coesfeld im Münsterland. Das ist gut so. Denn es zeigt, dass jede und jeder, dass Individuen und Gesundheitsbehörden, Verantwortung tragen. Die Orte, in denen in Deutschland die Infektionszahlen aktuell eskaliert sind, wie in Greiz (Thüringen), Coesfeld (NRW), Steinburg (Schleswig-Holstein), Rosenheim Stadt (Bayern) und Sonneberg (Thüringen), waren rasch identifiziert und die mutmaßlichen Ursachen erkannt: Menschen, die infiziert waren, waren anderen Menschen zu nahe gekommen. Und wenn die Ursache dafür in mangelnder Information, in fehlenden Sprachkenntnissen, in den Arbeits-, Wohn- und sozialen Lebensbedingungen liegen, dann sollten wir diese Ursachen abstellen.

Hochgerechnet für ganz Deutschland liegt die Schwelle, von der an die Restriktionen wieder in Kraft treten, bei 41.000 Neuinfektionen binnen sieben Tagen. Aus 41.000 Neuinfektionen werden innerhalb von zehn bis vierzehn Tagen nach unseren bisherigen Erfahrungen etwa 4.000 Krankenhaus-Patienten, von denen 1.000 einer Behandlung auf der Intensivstationen bedürfen.

Bezogen auf den Landkreis Fulda liegt die Alarm-Grenze bei etwa 110 Neuinfektionen binnen sieben Tagen - ein Wert, der seit Beginn dieser Pandemie allerdings noch nicht erreicht worden ist. Heruntergerechnet auf unseren Landkreis Kreis würden von den 110 Neuinfizierten elf ins Krankenhaus aufgenommen und drei von diesen würden auf die Intensivstation verlegt.

Das klingt in den Ohren der meisten vermutlich beruhigend undramatisch. In den Krankenhäusern stehen doch heute schon Betten leer, sagen die Fürsprecher weitgehender Lockerungen. Das stimmt. Doch es ist ebenso wahr, dass auf den Intensivstationen noch etliche schwerkranke COVID-19-Patienten behandelt werden, von denen nach unserem derzeitigem Kenntnisstand nur jeder Zweite überleben wird. Das ist die Wahrheit, und sie ist hart. Auch und für allem für uns. Für die Pflegenden und die Ärzte, die Leben schützen und erhalten wollen.

Insbesondere auf den Intensivstationen kann es schnell eng werden, wenn die Infektionszahlen wieder steigen, da die COVID-Patienten, die dort behandelt werden, im Schnitt länger als drei Wochen bleiben. Die Krankenhäuser in Hessen werden deshalb auch weiterhin Betten für COVID-Patienten freihalten – auch von den knappen, wertvollen Intensivbetten. Diese müssen zwar nicht unbedingt alle leer bleiben, aber im Bedarfsfall müssen genügend Plätze rasch zur Verfügung stehen. Patienten, die dann gewiss nicht ohne Grund einen Intensivplatz belegen, werden verlegt werden müssen, um einem anderen Patienten, der diesen Platz dringender braucht, freizugeben.

Was werden die nächsten Monate bringen?


Sehr viele Menschen machen sich Sorgen um die Wirtschaft, unseren Wohlstand und die vielen Schulden, die wir derzeit auftürmen. Diese Sorgen sind mehr als berechtigt. Aus der Krankenhaus-Perspektive ist festzustellen, dass es noch nicht ausgemacht ist, wie die Kliniken durch diese Zeit kommen werden - allen Hilfsprogrammen zum Trotz. Gerade die großen Häuser, die bisher die Hauptlast der Versorgung der COVID-Patienten getragen haben, stecken in Schwierigkeiten. Es ist kaum zu glauben: Aber selbst leistungsorientierte Häuser wie unseres, dessen Mitarbeiter sich über Jahre auf einem harten Weg den Aufstieg in eine schmale positive Ertragszone erkämpft haben, sehen sich durch politische Entscheidungen auf der Bundesebene wirtschaftlich zurückgeworfen. Das alles, einschließlich der wirtschaftlichen Lage im Großen wie im Kleinen, in der Industrie wie im Krankenhaus, sollte uns nicht gleichgültig sein, denn es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Infektionen im Herbst wieder ansteigt. Das Virus ist ja nicht weg.

Unser Gastkommentator Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Menzel. Foto: Hendrik Urbin

Die Entwicklung eines oder besser gleich mehrerer Impfstoffe wird derzeit mit beispiellosem Aufwand betrieben. Die Staaten und private Stiftungen haben in der vergangenen Woche 8,5 Milliarden Euro an Fördergeldern dafür zugesagt. Das ist gut so, denn eine Impfung beendete die Pandemie. Trotz aller Anstrengungen wird es – selbst wenn alles gelingt – frühestens im nächsten Jahr flächendeckende Impfungen geben können. Schneller könnte es bei der Entwicklung wirksamer Medikamente gehen. Wenn wir es schaffen, schwere Krankheitsverläufe zu verhindern und die Sterblichkeit insbesondere unter den Risikopatienten deutlich zu reduzieren, wäre auch eine höhere Infektionsrate zu tolerieren.

Die Risikopatienten besser zu schützen, ohne sie einzusperren, ist eine weitere Perspektive an der gearbeitet wird. Dazu werden wir viel mehr Tests brauchen, die schnell verlässliche Ergebnisse bringen. Diese Tests werden derzeit entwickelt. Ein echter Schnelltest, der Vor-Ort klärt, ob die Pflegekraft, die heute zum Dienst kommt, virusfrei ist, ist keine Utopie. Gegenwärtig ist der Aufwand für die Test allerdings noch erheblich, der Preis viel zu hoch und der Zeitraum, bis das Ergebnis vorliegt, viel zu lang.

Wir werden und sollten das Social Distancing weiter praktizieren. Die meisten Menschen in unserem Land haben ihr Verhalten umgestellt, gehen sehr diszipliniert mit der neuen Situation um.  Das ist erfreulich und auch ermutigend. Der Anteil derer, die lieber Alu-Hüte statt Gesichtsmasken tragen und sich an Verschwörungstheorien berauschen, ist bisher erfreulich klein geblieben.

Und vielleicht gelingt es uns ja noch, eine Tracing-App nicht nur zu entwickeln, sondern auch datenschutzkonform an den Start zu bringen. Eine solche App würde die Arbeit der Gesundheitsämter in der Verfolgung der Infektionsketten erheblich erleichtern und könnte dadurch die Ausbreitung des Virus bremsen.

Schauen wir also optimistisch auf die nächsten Monate.

Das Klinikum in Fulda: Wir bleiben wachsam!

Wir in den Krankenhäusern und den Arztpraxen werden gemeinsam mit den Verantwortlichen auf Kreis-, Landes- und Bundesebene wachsam bleiben. Das sollten wir auch. Auch wenn die meisten Menschen eine COVID-Erkrankung ohne größere Probleme überstehen: Menschen aus den Risikogruppen, Ältere und chronisch Kranke leiden lange daran oder sterben rasch an den Folgen. Auch wenn COVID-19 für Sie vielleicht nur wie eine Erkältung verläuft, denken Sie immer daran, wen Sie anstecken könnten, ohne es zu merken: Gehört diese Person zu einer Risikogruppe, dann kann COVID zur tödlichen Gefahr werden.

Und wenn Sie uns, Ihr Klinikum, brauchen, sind wir für Sie da. Auch wieder mit seriösen Informationen, mit Fakten, Einschätzungen und Einordnungen, wie wir sie über die vergangenen neun Wochen regelmäßig am Sonntag in diesem Gastkommentar angeboten haben. Wenn wir alle gemeinsam genug Disziplin aufbringen, um die Infektionsrate so gering wie möglich zu halten, bis im besten Falle ein Impfstoff zur Verfügung steht, dann haben wir was gekonnt. Es liegt an jedem einzelnen von uns. Halten Sie Abstand, waschen Sie sich regelmäßig die Hände, achten Sie auf Nießetikette. Dafür sage ich Danke. Der Kommentar erscheint heute zum - zunächst - letzten Mal.

Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit fürs Lesen genommen haben, für die positive Aufnahme der Informationen und die vielen Rückmeldungen. Herzlichen Dank an auch an Christian P. Stadtfeld von OSTHESSEN|NEWS für die Idee und für die Plattform, die er mir zur Verfügung gestellt hat, sowie an Claus Peter Müller von der Grün, mit dem ich die Texte im Dialog entwickelt habe. (Thomas P. Menzel) +++


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