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Seit Mitte März beherrscht Corona die Tagesordnung: Immer mehr Menschen infizieren sich mit SARS-CoV-2. - Symbolbild: Pixabay

REGION Erwarten den regionalen Höhepunkt im Mai

Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel zum Coronavirus: Wir nutzen Zeit!

Zur Person Dr. Thomas MenzelPriv.-Doz. Dr. med. Thomas P. Menzel (56) ist Facharzt für Innere Medizin mit den Schwerpunkten Gastroenterologie und Hämatologie/ internistische Onkologie sowie Zusatzqualifikationen als ärztlicher Qualitätsmanager und Diplom-Gesundheitsökonom. 2004 hat er sich für das Fach Innere Medizin habilitiert. Seit Mai 2011 ist Dr. Menzel hauptamtlicher Vorstand der Klinikum Fulda gAG und trägt dort die Verantwortung für die Krankenversorgung.

06.04.20 - Seit Mitte März beherrscht Corona die Tagesordnung: Immer mehr Menschen infizieren sich mit SARS-CoV-2. Bis heute werden weltweit mehr als 1.2 Millionen bestätigte Infektionen gemeldet, wahrscheinlich ist die tatsächliche Anzahl zehnmal so hoch. In Deutschland wurden bis heute Morgen 96.092 Fälle (Sonntag, 05.04.2020, d. Red.) gemeldet, 1.444 Menschen sind verstorben, drei davon im Klinikum Fulda.

Der Anteil der Todesfälle an den bestätigten Fällen beträgt in Deutschland derzeit 1,5 Prozent. Das ist einer der niedrigsten Werte weltweit, in Italien liegt er bei 12,3 Prozent und in den USA bei 2,7 Prozent. Während Italien gleichsam überrumpelt worden war, gab es in den USA schon recht früh –wie auch in Deutschland - deutliche Hinweise. Darum ist der Vergleich mit den USA sinnvoll und es wird deutlich, wie gut es war, dass wir in Deutschland schnell reagiert haben und von Beginn viel getestet haben.

In den Vereinigten Staaten wurde die Entwicklung lange heruntergespielt, die ersten Fälle traten dort am 21. Januar auf. Das war etwa zur gleichen Zeit wie in Südkorea, dessen Umgang mit der Pandemie als beispielhaft gilt. In den USA wurden im Februar weniger als 400 Tests durchgeführt, - auch weil dort auf Anweisung der Regierung ein eigener Test entwickelt wurde, der sehr fehleranfällig war und schließlich verworfen wurde. Dadurch konnte sich COVID-19 in den USA nahezu unbemerkt ausbreiten. Bei vielen Menschen, die mit schweren Lungenentzündungen in die Krankenhäuser kamen, konnte die Ursache SARS-CoV-2 nicht erkannt werden. In der Folge hat sich COVID-19 unbemerkt und rasch verbreitet – auch unter den Pflegekräften und Ärzten. Viel Zeit ging dort verloren, die für eine gute Vorbereitung nützlich gewesen wäre. Dieses Versäumnis rächt sich jetzt.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die Maßnahmen, die wir in Deutschland früh und umfassend eingesetzt haben, wie abermals gerechtfertigt. Gleichwohl ist die Diskussion darüber, wie lange das alles gehen soll, berechtigt. Sie darf zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht dazu führen, die restriktive Strategie zu ändern.

Im Gegenteil: Wir brauchen jetzt weitere Maßnahmen, insbesondere für die, die der Krankheit am wenigsten entgegenzusetzen haben, die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger. Der Ausbruch von COVID in Alters- und Pflegeheimen in Würzburg und Wolfsburg zeigt, wie schnell sich die Situation ändern kann. Auch bei uns in Osthessen gibt es erste Fälle in den Heimen, in denen Mitarbeiter und Bewohner infiziert wurden. Gemeinsam mit den Behörden, den Hausärztinnen und Hausärzten sowie den Krankenhäusern wollen wir die Einrichtungen besser unterstützen, sowohl in der Durchführung von Hygienemaßnahmen, als auch in der palliativ-medizinischen Versorgung.

Unser Gastkommentator Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Menzel. Foto: Hendrik Urbin

Auch die Zusammenarbeit mit den Ärztinnen und Ärzten, die in Ihren Praxen den weitaus größten Anteil der COVID-19-Patienten betreuen, und mit den Krankenhäusern der Region werden wir weiter ausbauen. Zur Beantwortung der Frage, wann ein COVID-Patient ins Krankenhaus aufgenommen werden soll, haben wir bereits eine gemeinsame Empfehlung erstellt. Darüber hinaus sind im Klinikum Bad Hersfeld und im Klinikum Fulda spezielle Telefonverbindungen für die Kommunikation mit und zwischen den Ärzten eingerichtet worden. 

Die Koordination der Maßnahmen in der Region Osthessen mit den Landkreisen Vogelsberg, Hersfeld-Rotenburg und Fulda hat die Landesregierung an das Klinikum Fulda übertragen. Diese Kooperation ist gut angelaufen und geprägt von einer intensiven kollegialen Zusammenarbeit über alle Bereiche hinweg, wofür ich mich herzlich bei allen Beteiligten bedanke!

Um die Entwicklung der nächsten Wochen zumindest etwas besser vorher sagen zu können, haben wir für unsere Region ein Vorhersage-Werkzeug übernommen, das täglich mit den Daten aus der Region gefüttert wird. Nach derzeitigen Stand erwarten wir den Höhepunkt der Entwicklung im Laufe des Mai.

In den Krankenhäusern der Region ist die Lage nach wie vor kontrolliert. Auf den Intensivstationen werden immer noch mehr Patientinnen und Patienten ohne COVID behandelt als mit. Dennoch: die Pandemie ist auch bei uns angekommen. Wir sollten weder mit Angst, noch mit Hochmut, sondern mit Respekt und warum nicht auch in Demut in sie eintreten.

Respekt und Demut heißt aber nicht Fatalismus und der Verzicht auf abgestimmtes, planvolles Handel.

Darum sind wir gemeinsam dabei, die Anzahl der Beatmungsplätze weiter zu erhöhen. Im Klinikum Fulda richten wir derzeit eine weitere Station mit Beatmungsplätzen ein. Damit kommen wir dem Ziel, die Anzahl der Plätze im Klinikum zu verdoppeln, entscheidend näher.  

Neben der technischen Ausstattung mit Beatmungsgeräten und weiterer Medizintechnik benötigen wir dafür vor allem qualifiziertes Personal, Ärztinnen und Ärzte, Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, Techniker und viele weitere. Dafür werden Mitarbeiter aus der Pflege und dem Ärztlichen Dienst aus anderen Bereichen derzeit auf die neuen Aufgaben vorbereitet. Jetzt zeigt sich, dass die Entwicklungen der vergangenen Jahre, die auf eine Reduzierung der Krankenhausbetten und einen Abbau des Personals ausgerichtet waren, Lücken gerissen haben. In der Krise werden wir die Mängel, die wir im vermeintlichen Überfluss geschaffen haben, womöglich schmerzlich spüren.

Wir tragen Verantwortung für unsere Patienten, aber auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Darum brauchen wir geeignete Schutzausrüstung in ausreichendem Umfang. Die Landesregierung hat zugesagt, alle Anstrengungen zu unternehmen, um sicherzustellen, dass wir ausreichend mit Material versorgt werden. Eine erste Lieferung ist in der vergangenen Woche bereits im Klinik eingetroffen und wird in der Region verteilt.

Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung haben sich in Deutschland bereits 2.300 Ärzte und Pflegekräfte angesteckt. Das Risiko für einen schweren Verlauf in dieser Gruppe ist zwar grundsätzlich auch nicht größer als in der allgemeinen Bevölkerung. Aber nichtsdestotrotz bedeutet ein COVID-bedingter Ausfall von medizinischem Personal sogleich eine schlechtere Versorgung mitten in der Pandemie.

Wie es weitergehen wird, bleibt bald vier Wochen mit nachdem wir das öffentliche Leben zurückgefahren haben, ungewiss - allen Prognosen und Berechnungen zum Trotz.

Mit dem Spiel auf Zeit, auf das wir mit der Suppression der Seuche setzen, strecken wir die Anzahl der Erkrankten über einen längeren Zeitraum. Das bedeutet auch, dass uns die Pandemie noch lange - und zunächst immer länger - beschäftigten wird.

Dennoch ist die Verzögerung der Ausbreitung derzeit das wirksamste Mittel, das wir haben, um unser Gesundheitssystem nicht zu überfordern und Zeit für den Erkenntniszuwachs zu gewinnen. Jeden Tag vervollständigt sich unser Bild von der Ausbreitung, den Folgen und den Risiken der Erkrankung. Und jeder Tag sollte uns einem Impfstoff und einer Therapie näher bringen.

Derzeit sind weltweit mehr als 50 Ansätze für einen Impfstoff in der Entwicklung. Eine Impfung wird – trotz aller vorhandener Technologie –nicht kurzfristig zur Verfügung stehen. Der Bedarf an Impfungen wird in die Milliarden gehen. Wer den ersehnten Impfstoff zuerst bekommt, wird schließlich eine Frage sein, die nicht allein vom Geld abhängen darf.

Wer die Erkrankung bereits durchgemacht hat, wird nach heutigen Stand der Wissenschaft den Impfstoff nicht brauchen, da der Körper eigene Antikörper gegen SARS-CoV-2 gebildet hat und deshalb eine Immunität besteht: ein erneuter Kontakt mit dem Virus löst keine Erkrankung mehr aus.

Medikamente, die vor allem die schweren Verläufe lindern können, werden intensiv gesucht. Sie werden tatsächlich "gesucht", da derzeit überwiegend solche Substanzen getestet werden, die schon bei anderen Erkrankungen zum Einsatz gekommen sind. Bis heute ist allerdings noch kein Medikament gefunden worden, dass eine entscheidende Wirkung gezeigt hat.

Wir brauchen für die Entwicklung wirksamer Medikamente und Impfstoffe einfach mehr Zeit, - Zeit, die wir uns durch die eingeleiteten Maßnahmen "erkaufen". Ob wir diese Zeit haben werden, ob wir sie uns erkaufen können, oder ob sie uns geschenkt werden wird, wissen wir alle nicht.

Wir wissen nur, dass die Pandemie bei uns in Deutschland erst am Anfang steht, und wir wissen zugleich, dass wir die ersten Wochen seit dem Auftreten des neuen Virus die Gefahr nicht geleugnet und Vorsorge getroffen haben. Ob wir alles richtig gemacht haben werden, und ob wir hier überhaupt und immer nach richtig und falsch fragen können und sollten, wird uns die Zeit zeigen. (Thomas P. Menzel) +++

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