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Gastkommentar von Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Menzel: Vorsicht ja – Panik nein!
09.03.20 - Die Infektionskrankheit COVID-19 verunsichert die Welt. Auch in Deutschland haben sich in den vergangenen Wochen weitere Menschen an dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV2 infiziert. Nach aktuellem Stand sind es mehr als 800. Die Übertragung von Mensch zu Mensch verläuft normal über soziale Kontakte, ähnlich wie beim Grippe-Virus über Tröpfcheninfektion. Derzeit nehmen wir an, dass jeder Infizierte zwischen 1,4 und 2,5 weitere Menschen anstecken kann. Dies kann zu einem exponentiellen Anstieg der Infektionen führen: Eine Person steckt zwei weitere Personen an. Die beiden stecken wiederum vier Personen an. Die vier Personen stecken weitere acht Personen an und so weiter. Die Ausbreitung der Erkrankung kann nicht wirklich gestoppt werden, auch wenn – was wirklich jeder beherzigen sollte - alle Abstand voneinander halten, in die Ellenbeuge niesen und sich häufig und ausgiebig die Hände waschen - wohl aber deutlich verlangsamt werden.
Die Bundesregierung und die Behörden auf Landes- und kommunaler Ebene tun gegenwärtig alles, um die Geschwindigkeit der Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Damit werden die Arztpraxen und Krankenhäuser entlastet und dafür werden teilweise einschneidende Maßnahmen ergriffen.
Viele Menschen fragen sich, ob das nicht vielleicht übertrieben ist. Das ist eine gute Frage.
Um diese beantworten zu können, müssen wir wissen, wie schnell sich die Erkrankung ausbreitet und wie schwer bzw. tödlich sie verläuft. Solange wir uns hier noch auf unsicherem Terrain bewegen, sollte klar sein, dass Vorsicht besser als Nachsicht ist.
Stand heute meldet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit mehr als 100.000 bestätigte Infektionen mit dem neuen Virus. Nach Angaben der WHO weisen - über alle Altersgruppen hinweg - etwa 80 Prozent der Patienten, deren COVID-19-Erkrankung im Labor bestätigt worden ist, einen "milden bis moderaten" Krankheitsverlauf auf, entsprechend einer Erkältung mit leichtem Fieber. 13 Prozent leiden nach Angaben der WHO an einer "schweren" Erkrankung, sechs Prozent der Infizierten seien in einem "kritischen" Zustand. Etwa 3.500 Patienten seien an der Erkrankung bisher verstorben. Das entspricht einer Mortalitätsrate von 3,5 Prozent. Sie gibt an, wie viele Menschen von hundert Infizierten im Durchschnitt an der Krankheit versterben. Die Rate von 3,5 Prozent ist damit höher als bei der Grippe, aber auch deutlich niedriger als bei den vorherigen ebenfalls durch Coronaviren ausgelösten Epidemien SARS oder MERS. Die Mortalitätsrate bei der Virusgrippe (Influenza) schwankt von Jahr zu Jahr und liegt zwischen 0,2 und 0,5 Prozent. Die außergewöhnlich starke Grippewelle 2017/18 hat nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) allein in Deutschland rund 25.100 Menschen das Leben gekostet.
Allerdings sind die Zahlen zur Mortalitätsrate bei COVID-19 mit Vorsicht zu interpretieren, da es weltweit - und insbesondere in China - höchst wahrscheinlich sehr viel mehr COVID-19- Patienten gibt, die nicht getestet worden sind und daher auch nicht in die Statistiken eingehen. Wenn die entsprechende Dunkelziffer der vermutlich großen Zahl an Infizierten tatsächlich bekannt wäre und in die Berechnung der Mortalitätsrate für das neue Virus einbezogen werden könnte, dann fiele die Todesrate wohl deutlich niedriger aus.
Es gibt keinen Grund zur Panik
Das Wissen über die Erkrankung und auch über mögliche Behandlungsmethoden wächst mit jedem Tag. Damit ändert sich auch möglicherweise die Bewertung der Gefahrenlage.
In Anbetracht dessen, was wir heute wissen, sind die Maßnahmen zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung angemessen. Hinzu kommt natürlich, dass jeder auch auf den anderen schaut, von Landkreis zu Landkreis, von Bundesland zu Bundesland, von Nation zu Nation.
Angesichts der objektiven Faktenlage sowie der emotionalen Lage wäre es keine gute Option, mit demonstrativer Gelassenheit deutlich weniger zu tun, als es andere Gesundheitsämter, Ministerien oder Staaten tun. Das wäre vor allem dann grob fahrlässig, wenn sich die Lage nicht entspannen, sondern komplexer entwickeln sollte, etwa wenn das Virus an Gefährlichkeit gewinnt.
Es gibt allen Grund, das neue Virus ernst zu nehmen. Gleichwohl gibt es keinen Grund zur Panik. Entsprechend konsequent, abwägend und verantwortungsbewusst handeln im Landkreis Fulda dessen Behörden, die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie die Krankenhäuser. Wir alle tauschen uns aus und arbeiten gut zusammen. Wir treffen unsere Vorbereitungen mit Augenmaß, wir handeln nach dem Grundsatz der Vorsicht, und wir passen unser Handeln an den jeweils aktuellen und wissenschaftlich abgesicherten Wissensstand an. (Thomas P. Menzel) +++