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Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel: "Wir haben Zeit gewonnen"
23.03.20 - Die Zahl der festgestellten Neuinfektionen mit dem Coronavirus steigt in Deutschland weiter, aber wohl nicht mehr so steil wie bisher. Das Robert Koch Institut meldete für den heutigen Sonntag (0:00 Uhr) 18.610 infizierte Menschen für Deutschland. Das waren 1.948 und damit gut zehn Prozent mehr als am Vortag.
Auch wenn diese Zahlen präzise klingen, tatsächlich sind sie das nicht. Zum einen weist das RKI selbst daraufhin, dass an diesem Wochenende nicht aus allen Gesundheitsämtern Daten übermittelt wurden, zum anderen liegt die Dunkelziffer wohl drei bis zehn Mal darüber.
Gleichwohl wäre eine Abschwächung der Virusausbreitung eine gute Nachricht, auch wenn erst die nächsten Tage (und Wochen) zeigen werden, ob die vermeintliche Trendwende nachhaltig sein wird und eine Bestätigung dafür, dass wir unser Verhalten verändert haben, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.
Sollten die Appelle und Maßnahmen der Politik, die seit einer Woche von Tag zu Tag immer entschiedener formuliert werden also greifen? In Hubei, wo die Infektion ihren Ausgang genommen hatte, vergingen zwischen dem harten "Lockdown" und dem Rückgang der Zahl der Neuinfektionen zwölf Tage.
Wenn sich die Trendwende bestätigte, wäre das ein Erfolg. Denn der von vielen europäischen Ländern und auch von Deutschland gewählte Weg der "Suppression", also der Unterdrückung der fortschreitenden Infektion ist richtig und wichtig, wenn wir eine Überforderung unseres Gesundheitssystems und vor allem der Krankenhäuser verhindern wollen.
Allerdings können wir alle Aussagen wir nur mit größter Vorsicht treffen, denn die Datenlage ist noch unübersichtlich. Doch wir können schon von den anderen lernen. Das Land, das nach einem ersten steilen Anstieg der Zahl der Neuinfektionen den Verlauf dieser Kurve rasch abgeflacht und nach unten gedrückt hat, war Südkorea. Dort wurden infizierte Personen durch entschiedene Testungen identifiziert. Ihre Kontakte zu anderen Personen wurden nachverfolgt und Infizierte sowie deren Kontaktpersonen wurden isoliert beziehungsweise unter Quarantäne gestellt.
Das richtige Händewaschen und die Einhaltung von Hygieneregeln, die Schließung von Läden, Bars und Restaurants sowie der Verbleib in den eigenen vier Wänden leisten ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Minderung der Ausbreitung des Virus.
Wir sollten diese Erfolge zur Kenntnis nehmen, analysieren und diskutieren. Denn spätestens dann, wenn die erste Welle der Pandemie, die sich in diesen Tagen ja noch aufbaut, über uns hinweggerollt sein wird, werden wir die Frage beantworten müssen, wie wir die Zahl der Neuinfektionen weiterhin gering halten werden, ohne unserer Wirtschaft und dem gesellschaftlichen Leben vollends die Grundlage zu entziehen.
Die Bundesregierung sollte uns bald sagen, worauf wir uns beim "Shutdown" werden einstellen müssen, und wie lange der andauern soll. Klar ist nämlich auch: Je erfolgreicher wir die Ausbreitung des Virus jetzt bremsen, desto länger wird die Abstinenz vom normalen (Arbeits-) Leben bis über den Sommer hinausreichen. Die Durchseuchung der Bevölkerung wird gedehnt.
Dennoch: Ein Anfang ist gemacht, um Zeit zu gewinnen. Zeit, um an besseren und schnelleren Test auf SARS-CoV-2 und Medikamente im Kampf gegen das Virus zu arbeiten, und Zeit, um die Krankenhäuser aufzurüsten.
In unserem Klinikum, in Stadt und Kreis Fulda und in der Region Osthessen bringen wir gemeinsam mit den Behörden und den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte die erforderlichen Maßnahmen auf den Weg. Die Landesregierung hilft uns dabei nach Kräften. Der neu eingerichtete Planungsstab für die Stationäre Versorgung wird vor allem auf regionaler Ebene eine verbesserte Abstimmung ermöglichen. Die Verantwortung, die uns als Klinikum Fulda dabei übertragen wurde, werden wir - nach bestem Wissen und Können - kollegial wahrnehmen. (Thomas P. Menzel) +++