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Ist von der Corona-Schutzimpfung überzeugt: Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Menzel impft Mitarbeiter im Klinikum Fulda. - Fotos: Klinikum Fulda

REGION Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel

Warum wir uns jetzt über steigende Zahlen freuen!

Zur Person Dr. Thomas MenzelPriv.-Doz. Dr. med. Thomas P. Menzel (58) ist Facharzt für Innere Medizin mit den Schwerpunkten Gastroenterologie und Hämatologie/ internistische Onkologie sowie Zusatzqualifikationen als ärztlicher Qualitätsmanager und Diplom-Gesundheitsökonom. Seit Mai 2011 ist er Sprecher des Vorstands der Klinikum Fulda gAG.

04.01.21 - Seit dem 27. Dezember zählen wir nicht mehr nur die Anzahl der Menschen, die sich am Vortag mit dem Coronavirus infiziert haben oder daran verstorben sind. Seit dem 27. Dezember zählen wir auch bei uns in Deutschland die Anzahl der Menschen, die gegen das Virus geimpft worden sind. Tag für Tag werden es mehr, und wir können uns erstmals seit Ausbruch der Pandemie über steigende Zahlen freuen. 165.575 waren es bereits am 31. Dezember nachdem am 27.12. mit den Impfungen begonnen wurde, auch bei uns in Fulda. Dieser Tag wird sehr wahrscheinlich als der Wendepunkt in die Geschichte dieser Pandemie eingehen. Auch wenn es noch lange dauern wird, bis ausreichend viele Menschen immunisiert sein werden, um die "Herde" zu schützen und dem Virus die Lebengrundlage entzogen ist. Wann dieser Punkt erreicht ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab.

Impfstoff

Noch nie in der langen Geschichte der Pandemien, die die Menschheit von Anbeginn an begleiten, ist es gelungen, so schnell einen offenbar hochwirksamen Impfstoff zu entwickeln, der zudem so gut wie keine nennenswerten Nebenwirkungen hat.

Bei uns in Fulda wird derzeit der Impfstoff von Biontech/Pfizer verwendet. Sollte der Impfstoff des amerikanischen Herstellers Moderna am 6. Januar auch in Europa zugelassen werden, könnte das derzeit noch nicht ausreichende Angebot an Impfstoff aufgestockt werden. Der Moderna-Impfstoff hat eine ähnliches Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil wie der von Biontech und ist darüber hinaus leichter zu transportieren, da die Lagerung nicht bei -70° C erfolgen muss. Es reichen -20°C.

Die Art, wie diese so genannten RNA-Impfstoffe wirken, ist neu: Statt – wie beispielsweise bei der Grippeimpfung – das Virus als Ganzes hochzuzüchten, abzutöten und dann zu verimpfen, wird lediglich eine genetische Information, die so genannte mRNA – verpackt in kleine "Fett-Tröpfchen" – gespritzt.

Viele, denen die "Gentechnik" Unbehagen bereitet, wünschen sich nun die "klassischen" Impfstoffe auch für Corona. Der russische Sputnik-V-Impfstoff, der weltweit als erster zugelassen wurde, und einige der in China hergestellten Impfstoffe basieren auf diesem alten Prinzip. Die Wirksamkeits- und Verträglichkeitsdaten dieser Corona-Impfstoffe sind nicht so leicht zugänglich, wie für die "westlichen" Entwicklungen.

Unser Gastkommentator Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Menzel. Foto: Henrik Schmitt

Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass die "ganzen" abgetöteten Viren aus dem Impfstoff eine Vielzahl von Immunreaktionen - beispielsweise unterschiedliche Antikörper gegen verschiedene Strukturen auf der Oberfläche des Virus - hervorrufen, während die modernen mRNA-Impfstoffe eine sehr spezifische Immunantwort - zum Beispiel in Form von Antikörpern - gegen das so genannte "Spikeprotein" (S-Protein) auslösen. Also gegen genau jenes Protein, das das Virus braucht, um menschliche Zellen zu infizieren. Diese Antikörper, die als "neutralisierend" bezeichnet werden, sind genau die, die zur Verhinderung der Erkrankung am wichtigsten und am wirksamsten sind. Darüber hinaus ist auch das Nebenwirkungsprofil der RNA-Impfstoffe sehr wahrscheinlich weniger ausgeprägt als bei den klassischen Impfstoffen, deren bunte Mischung von Antikörpern zu verschiedenen Nebenwirkungen führen kann. Aber – und das ist die Kehrseite der hohen Spezifität des RNA-Impfstoffs - eine kleine Veränderung des S-Proteins würde die Antiköper zumindest theoretisch ins Leere laufen lassen, während die Antikörper, die auf die anderen Impfstoffe gebildet werden, dann immer noch eine gewisse Wirkung hätten, weil sie ja unterschiedliche  Ziele attackieren.

Weitere Impfstoffe sind auf dem Weg.


Es wird nicht mehr lange dauern bis für alle, die geimpft werden wollen, die Impfung möglich sein wird. Was uns zu der Frage bringt, wie es denn um die Impfbereitschaft in Deutschland steht.

Impfbereitschaft

Nur etwa zwei Drittel der Deutschen wollen sich gegen SARS-CoV-2 impfen lassen. Das besagt eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur. Von den Befragten gaben 32 Prozent an, sich so schnell wie möglich impfen lassen zu wollen. In absoluten Zahlen wären das aber schon mehr als 27 Millionen Menschen.

Da ist es vielleicht gar nicht so schlecht, dass 33 Prozent zwar ebenfalls zur Impfung entschlossen sind, aber erst einmal mögliche Folgen der Impfung bei anderen abwarten wollen. 19 Prozent haben sich – Stand heute - gegen eine Impfung entschieden, 16 Prozent sind noch unentschlossen. Sollten sich die Unentschlossenen am Ende gegen eine Impfung entscheiden, läge der Anteil der Bevölkerung ohne Impfung bei 35 Prozent. Dann wird es nichts mit der Herdenimmunität. Die Gründe für die Ablehnung der Impfung sind eher emotionaler Natur. Die Angst vor Nebenwirkungen ist weit verbreitet: Eine deutliche Mehrheit von 57 Prozent sagt das. Nur ein Drittel hat solche Befürchtungen nicht. Die Online-Umfrage fand zwischen dem 21. und 23. Dezember 2020 statt. 2035 Personen haben teilgenommen.

Brauchen wir am Ende doch eine Impfpflicht? Bei der Masern-Impfung sind wir diesen Weg gegangen, zurecht wie ich meine. Auch bei Corona geht es nicht nur um sich selbst, sondern immer auch um die anderen. Sich nicht impfen zu lassen, ist dann letztlich unsolidarisch, um es mal dezent auszudrücken.

Infektiosität des Virus

Wie verändert sich das Coronavirus in der Zukunft? Foto: Adobe Stock / dottedyeti

Es kommt der Impfstoff-Entwicklung entgegen, dass sich Corona-Viren zwar auch – wie alle anderen Viren - ständig verändern, aber dennoch vergleichsweise stabil bleiben. Das scheint auch für die Strukturen auf der Oberfläche des Virus zu gelten, die von unserem Immunsystem erkannt werden. Das SARS-CoV-2, das uns derzeit plagt, macht da keine Ausnahme. Auch wenn es in den letzten Wochen immer mal wieder alarmierende Nachrichten gab. Die Variante B1.1.7 beispielsweise, die kurzzeitig zur Schießung aller Grenzen mit Großbritannien geführt hat, ist nach derzeitigen Stand wohl bereits im September erstmals identifiziert worden und längst überall in Europa und der Welt verbreitet. Die – zum Glück nur kurzzeitigen - Grenzschließungen waren daher – wie auch schon die im Frühjahr – Unsinn. 
 
Dennoch: Die Diskussion um neue Virus-Varianten, die sich möglichweise auch den durch die Impfung gebildeten Antikörpern entziehen könnten, ist berechtigt. Wenn sie seriös geführt wird.
 
Die entscheidende Frage lautet: Verändert sich das Virus an den entscheidenden Stellen so, dass die Antikörper und Immunzellen, die den Erreger bekämpfen sollen, keinen Zugriff mehr haben? Das wäre der Fall, wenn ein Teil der Mutationen tatsächlich an der Stelle auf dem S-Protein festgestellt wird, die für die Bindung an die menschlichen Zellen verantwortlich ist, konkret an der Rezeptor-Bindungs-Domäne RBD. Bei der neuen britischen Variante scheint diese Region von einer Änderung betroffen scheint zu sein. Die dort gefundene Mutation (N501Y) könnte die Antikörper, die durch die neuartige Impfung hervorgerufen werden, theoretisch ins Leere laufen lassen. Bisher sieht es aber nicht so aus.
 
Allerdings muss das nicht so bleiben. Viren verändern sich, Mutationen sind an der Tagesordnung und für das "Überleben" des Virus unbedingt erforderlich.

Seit Mitte November analysiert eine dafür eingerichtete Task Force die neu auftauchenden Sars-CoV-2-Varianten. Anders als  das Grippe- (Influenza-) Virus, gegen das jährlich neu geimpft werden muss, da es sich durch Änderungen an seiner Oberfläche der Immunantwort aus dem Vorjahr entzieht, ist das RNA-Erbgut der Coronaviren eher stabil und verändert sich deutlich langsamer. Also erst mal Entwarnung. Aber es wie immer in der Wissenschaft: jede beste Erkenntnis gilt nur so lange, bis sie widerlegt wird.

Nachhaltigkeit der Impfung  - Schutz vor Weitergabe an andere

"Auch für die Geimpften gelten weiterhin die AHA-Regeln", warnt Dr. Thomas Menzel. ...

Die Frage, wie lange die Impfung einen wirksamen Schutz vor einer Infektion mit dem Virus bietet, ist heute noch nicht abschließend zu beantworten. Wie bei anderen Impfungen auch, wird es wohl Auffrischungsimpfungen geben. Das wird sich erst in den Monaten klären lassen. Genau wie auch die – durchaus berechtigte Sorge – das Geimpfte zwar nicht mehr erkranken, das Virus aber dennoch weitergeben könnten, wenn sie es vielleicht nur für kurze Zeit auf den Schleimhäuten von Mund und Nase tragen, bevor es vom durch die Impfung vorbereiteten Immunsystem abgeräumt wird.  "Es gibt aus den Tierversuchen keinen guten Hinweis darauf, dass wir wirklich eine sterile Immunität erreichen können." sagt Prof. Klaus Cichutek vom Paul-Ehrlich-Institut. Unter einer sterilen Immunität versteht man, dass eine Weitergabe des Virus eben nicht möglich ist. Inwieweit sich die Daten aus Tierversuchen auf den Menschen übertragen lassen, wird derzeit in weiteren Studien untersucht, die in den nächsten Wochen veröffentlicht werden sollen. Bis dahin bleibt auch für die Geimpften alles "beim Alten", die AHA-Regeln gelten auch weiterhin.

Wir geht’s in den nächsten Wochen weiter

Die Intensivstation im Klinikum Fulda.

Mehr als 5.000 COVID-19-Patienten werden aktuell auf den Intensivstationen in Deutschland behandelt. Unabhängig davon, wie wirksam der derzeitige Shutdown sein wird, müssen wir allerdings damit rechnen, dass die Anzahl der COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen weiter steigen wird, weil sich  die steigenden Infektionszahlen erst mit Verzögerung auf den Intensivstationen bemerkbar machen.

Ein von der DIVI, der Deutschen interdisziplinären Gesellschaft für Intensiv- und Notfallmedizin, erstelltes Belastungsmodell geht von mindestens 1.000 zusätzlichen intensivpflichtigen COVID-19-Patienten im Verlauf des Januars aus. Und es könnten – je nach Prognoseansatz - auch noch mehr dazukommen. Damit werden die Intensivstationen auch weiterhin das Nadelöhr der Versorgung sein. Schon jetzt ist die Situation auf den meisten dieser Stationen in Deutschland mehr als angespannt. Eine besondere Herausforderung bleibt die Versorgung der COVID-19 Patienten auch weiterhin: Sie sind deutlich länger in intensivmedizinsicher Behandlung, aufwändiger zu versorgen als Patienten anderer beatmungspflichtigen Erkrankungen und erfordern mehr Personal. Über die Hälfte der Intensivpatienten mit COVID-19 ist derzeit beatmungspflichtig. Die lange Beatmungszeit führt auch dazu, dass die Entwöhnung von der Beatmung länger braucht. Diese Entwöhnung wird auf so genannten "Weaning-Stationen" durchgeführt. Auch in diesem Bereich werden die Betten knapp. Die Belastungsspitze auf Intensivstationen wird wohl erst Ende Januar erreicht werden. Verschärft wird die Problematik dadurch, dass das Personal auf den Stationen immer häufiger auch selbst erkrankt. Die Lage bleibt kritisch.
 
Das Spektrum der Patienten auf den Intensivstationen wird sich verschieben

Am 27.12.2020 um 8 Uhr starteten die Impfteams im Landkreis Fulda.

Zahlreiche mobile Impfteams sind aktuell im Landkreis unterwegs.

Mit zunehmender Anwendung der Impfstoffe wird es immer mehr Menschen geben, die vor der COVID-19-Erkrankung geschützt sein werden. Auch wenn derzeit darüber diskutiert wird, ob geimpfte Personen bestimmte Privilegien erhalten sollen oder nicht, wird irgendwann der Zeitpunkt kommen, dass alle impfwilligen Menschen mit einem hohen Krankheits-Risiko geimpft sein werden. Dann wird es gesellschaftlich nicht mehr so leicht zu vermitteln sein, dass AHA-Regeln und Shutdown auch weiterhin erforderlich sein werden. Dann wird es eine Öffnung geben.

Das ist auch richtig so, denn auch die Wirtschaft muss wieder auf die Beine kommen. Große Veranstaltungen werden wieder möglich sein und die Gastronomie wird wieder öffnen dürfen. Das Problem, das sich dann auftut ist uns heute noch nicht so geläufig: Denn dann wird das Virus viele weitere Menschen erreichen, die keine klassischen Risikopatienten sind: die gesunde jüngere Bevölkerung, Kinder, deren Eltern und jüngere Erwachsene, die eigentlich keine Risikofaktoren haben. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit schwer an COVID-19 zu erkranken für den einzelnen gering, aber aufgrund der großen Anzahl von Infizierten, werden dann auch Patienten aus dieser Gruppe auf den Intensivstationen in Deutschland behandelt werden müssen. Nämlich diejenigen, die aus voller Gesundheit, vollkommen überraschend einen schweren Verlauf erleiden.

Derzeit sind solche Fälle noch die Ausnahme, gleichwohl gibt es sie schon jetzt vereinzelt. Prof. Christian Drosten kommentiert das so: "Ich sage es jetzt mal hier, wir werden nicht im Frühjahr mal kurz die Bevölkerung weitgehend von dem Risiko befreien, indem wir die Risikogruppen impfen und dann die Pandemie für beendet erklären. So einfach ist das leider nicht."
 
Trotzdem: Die Zahl der Geimpften wird täglich steigen, und irgendwann wird die Zahl der Neuinfektionen zurückgehen. Auch vom "Ruckeln" beim Impfstart lassen wir uns nicht aus der Bahn werfen. Der Anfang ist gemacht. Und in der vorigen Woche, als wir am Sonntag im Landkreis Fulda – übrigens "ruckelfrei" – mit dem Impfen begonnen haben, habe ich in der Tat viele glückliche Menschen gesehen. Wir sind mit den Impfteams seit dem 27.12.2020 um 8 Uhr unterwegs und haben schon hunderte Impfungen durchgeführt. Die Impfbereitschaft und die Zuversicht der Menschen sind größer als gedacht.

Das lässt uns hoffen. (Thomas P. Menzel) +++

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