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Der Corona-Marathon: Kilometer 32 an Ostern erreicht
05.04.21 - Um den Kilometer 32 eines Marathon-Laufes kommen viele Läufer an ihre Grenze. Drei Viertel der Strecke sind bereits geschafft und doch liegt das Ziel gefühlt in weiter Ferne. Die Gründe dafür liegen in der Umstellung der Energieversorgung von leicht verfügbaren Kohlenhydraten auf Ketokörper. Ab Kilometer 35 hat sich der Körper daran gewöhnt, und es wird wieder leichter. Gefühlt sind wir auch beim Corona-Marathon gerade bei Kilometer 32.
Die Dritte Corona-Welle wird groß. Am 31. März 2021 haben die Gesundheitsämter dem Robert Koch-Institut 24.300 neue Fälle übermittelt, und die Zahlen steigen täglich. Damit liegen die Werte nahe dem Gipfelpunkt, den wir an Weihnachten 2020 erreicht hatten. Die Anzahl der COVID-Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, hinkt noch etwas hinterher. Die Kapazitäten der hessischen Intensivstationen allerdings sind an diesem Osterwochenende schon weitgehend ausgereizt, auch weil derzeit viele Nicht-COVID-Fälle behandelt werden. Die Anzahl der Todesfälle hat noch nicht wieder das Niveau des Winters erreicht, was aber wohl daran liegt, dass die COVID-Patienten derzeit im Durchschnitt deutlich jünger sind als noch im Winter.
Wir haben das Ziel vor Augen. Die Impfungen laufen schleppend, aber sie laufen. Wenn wir in den nächsten vier bis sechs Wochen diszipliniert bleiben, Kontakte vermeiden, Masken tragen, Abstand halten, dann können wir den Corona-Marathon im Spätsommer erfolgreich beenden. Allein der Glaube daran schwindet.
Das war zum Jahreswechsel noch nicht so. Die Pandemie erreichte da einen Wendepunkt hin zur Besserung. Und damals war es der Mut zum Lockdown, der die Besserung eingeläutet hatte. Heute, da die Pandemie ungleich schlimmer werden wird, sprechen wir über Lockerungen.
Virus hat durch Mutation an Gefährlichkeit gewonnen!
Wo das hinführen wird, ist abzusehen. Wir haben nach Angaben der DIVI, der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, etwa 5.700 Intensiv-Betten für Corona-Patienten in Deutschland. Von diesen waren schon Ende März mehr als 3.700 belegt, - und mithin nur noch knapp 2.000 frei. Nach dem Prognosemodell der DIVI, das sich als sehr zuverlässig erwiesen hat, müssen wir jedoch bis in den Mai mit bis zu 7.000 Intensivpatienten mit COVID-19 rechnen. Erst im August oder September werden die Intensivstationen wieder auf dem Belastungsniveau sein wie vor dem Beginn der Zweiten Welle im Herbst 2020.
Die Krankenhäuser werden alles tun, um die Versorgung der COVID-Patienten – und auch die der zahlreichen Patienten ohne COVID – sicherzustellen. Ob dies gelingen wird, hängt allerdings davon ab, wie sich die weitere Ausbreitung eines Virus verhindern lässt, das durch Mutationen an Gefährlichkeit gewonnen hat. Und ja, es stimmt, dass solche Prognosen in der Vergangenheit nicht immer so eingetreten sind. Hier wirkt das so genannte "Präventions-Paradox". Durch das Einleiten von Maßnahmen wie beispielsweise eines verschärften Lockdowns, wird es dann doch nicht so schlimm wie prognostiziert. Deshalb behaupten die Wissenschaftler, die solche Prognosen erstellen, ja auch nicht, dass sie die Zukunft präzise vorher sagen können, sondern sprechen immer von "Szenarien".
Die Politik hatte uns Anfang März Öffnungen in Aussicht gestellt, und zugleich versprochen, dass ab einer Inzidenz von 100 die Notbremse gezogen würde. Aber dieses Versprechen hat sie nicht gehalten. Stattdessen haben immer mehr Politiker, entgegen der in der Konferenz mit Bundeskanzlerin Merkel getroffenen Verabredung, über weitere Lockerungen nachgedacht und dafür die unterschiedlichsten sich teilweise widersprechenden Begründungen vorgelegt. Komplexe, schwer nachvollziehbare Umsetzungsstrategien haben dann zur Verwirrung beigetragen, obwohl nach wie vor die Mehrheit der Deutschen weiterhin einen vorsichtigen, defensiven Kurs verfolgen möchte.
Weiterhin Kontakte beschränken!
Daraufhin hat ein dramatischer Verlust an Glaubwürdigkeit der Politik eingesetzt. In dieser labilen Lage lassen Zweifel an der Wirksamkeit von Impfstoffen, der Mangel an Testzentren und die Freigabe von Mallorca als Reiseland das Vertrauen weiter schwinden, obschon doch aus naturwissenschaftlicher Sicht alles klar ist:
Die britische Mutante ist innerhalb kurzer Zeit – wie vorhergesagt – zur vorherrschenden Virusvariante geworden. Sie ist ansteckender, löst einen schwereren Verlauf aus als der ursprüngliche Wildtyp und sie ist tödlicher als dieser. Die alten Menschen, zahlreiche Mitarbeiter im Gesundheitssystem sowie viele Lehrer und Erzieher sind zwar unterdessen durch die Impfung geschützt. Die Zahl der schweren Verläufe unter sehr alten Menschen und die der Todesfälle sinkt. Aber zugleich werden – nicht zuletzt wegen der Virusmutation - mehr Menschen in den Altersgruppen bis 70 Jahre erkranken, auch Menschen, die nicht älter sind als 30 oder 40. Auch dort wird es schwere Verläufe und vor allem lang anhaltende Erkrankungen geben, eben weil die jüngeren und ursprünglich gesünderen Patienten nicht so rasch sterben wie die älteren, multimorbiden. Von den Folgeerkrankungen, die COVID-19 auslösen wird, können wir uns indes noch gar kein Bild machen, müssen aber wohl davon ausgehen, dass jeder fünfte davon betroffen sein wird.
Insofern haben wir allen Grund, weiterhin die Kontakte zu beschränken und uns in Geduld zu üben, bis der Impfschutz hinreichend aufgebaut ist. Das gilt übrigens auch für die, die schon geimpft sind. Aus Solidarität mit den anderen und weil im Einzelfall eben nicht auszuschließen ist, dass auch geimpfte das Virus weitergeben können. Auch der Versuch, durch Tests mehr vermeintliche Normalität in diesen Tagen herzustellen, führt in die Irre. Viel zu groß ist die Gefahr, dass durch mehr öffentliches und vor allem privates Leben der pandemische Verlauf exponentiell belebt wird. Auch Oberbürgermeister Palmer musste einsehen, dass er Gefahr läuft, Tübingen mit der Teststrategie zum Infektionszentrum zu machen.
Zwar sind wir beim Impfen bisher weit unter unseren Möglichkeiten geblieben, aber dennoch geht es voran. In der vorigen Woche wurden nach Angaben der Bundesregierung am Tag 281.357 Menschen geimpft. Das entspricht im Schnitt einer Impfung alle 0,3 Sekunden.
Damit sind nun 4.334.150 Personen (5,2 % der Gesamtbevölkerung) vollständig geimpft. Insgesamt haben 10.039.938 Personen mindestens eine Impfdosis erhalten.
Da im ersten Quartal knapp 20 Millionen Dosen geliefert wurden, dürften noch einige von ihnen für die zweite Impfung in Reserve gehalten werden. Für das zweite Quartal, das am Gründonnerstag begonnen hat, erwarten wir schon mehr als 70 Millionen Impfdosen in Deutschland. Da ein kompletter Impfschutz meist die Verabreichung von zwei Dosen erfordert, könnten bis Ende Juni oder Mitte Juli 45 Millionen Menschen (20 plus 70 Millionen Dosen geteilt durch 2) einen kompletten Impfschutz erhalten haben. Hinzu werden 10 bis 20 Millionen Menschen kommen, die nach einer Infektion mit dem Virus einen Schutz aufgebaut haben werden. Mut machen erste Erkenntnisse, dass der Impfstoff von Biontech auch Jugendliche schützen wird. Das ist gut, denn insbesondere den Kindern und Jugendlichen haben wir mit Blick auf unsere stark gealterte Gesellschaft schon sehr viel Rücksichtnahme abverlangt.
"Update-Impfstoff" für neue Varianten?
Ja, es bleiben unkalkulierbare Risiken wie weitere Mutationen des Virus, die den Impfschutz unterlaufen. Aber die Zeit bis zur weitreichenden Immunisierung der Bevölkerung und damit der Erreichung der "Herdenimmunität" ist nach menschlichem Ermessen absehbar. Und die Möglichkeit, im Herbst einen "Update-Impfstoff" zu verabreichen, der auch gegen neue Varianten schützt, ist kein Wunschdenken, sondern wird mit hoher Wahrscheinlichkeit genauso eintreten.
Bis es soweit ist, werden sich immer wieder neue Fragen stellen. Etwa wie diese:
Wie ist die Corona-Lage in Fulda und der Region?
Wo ist die Infektionsgefahr am größten? Überall, wo sich Menschen nahe kommen. Also bei der Begrüßung mit Händeschütteln, Umarmung und Küsschen, beim Spielen in der Kita, aber auch bei längerem Verweilen in schlecht belüfteten Räumen z.B. an den Arbeitsstätten. Die Kontakte müssen reduziert werden. Viele wissenschaftliche Beiträge belegen das eindeutig. Und wenn mit Argumenten wie "da ist vieles noch unklar, da muss noch mehr geforscht werden" in Frage gestellt wird, dann ist das schlicht und einfach Wissenschaftsleugnung.
Kann ich mich mit dem Präparat von AstraZeneca impfen lassen? Ja, bis auf wenige seltene Einzelfälle, in denen es zu Blutgerinnseln kam, ist der Impfstoff - der jetzt übrigens auch einen Markennamen hat und ab sofort "Vaxzevria" heißt - gut verträglich und sehr wirksam.
Wie kann das Impfen schneller gehen?
Müssen sich Geimpfte und negativ getestete weiter an die Schutzmaßnahmen halten?
Aus Solidarität mit den anderen und weil im Einzelfall eben nicht auszuschließen ist, dass auch Geimpfte das Virus weitergeben können, sollen sie sich an die Maßnahmen halten. Das gilt uneingeschränkt auch für die Menschen, die sich über einen negatives Schnelltestergebnis freuen. Das RKI stellt übrigens fest, dass nach gegenwärtigem Kenntnisstand das Risiko einer Virusübertragung durch Personen, die vollständig geimpft wurden, spätestens zum Zeitpunkt ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten Impfdosis geringer als bei Vorliegen eines negativen Antigen-Schnelltests bei symptomlosen infizierten Personen. Aber es ist eben auch nicht null.
Wann sind wir bei Kilometer 35? Das ist seriös nicht vorherzusagen. Beim eigentlichen Marathon fühlen sich die Kilometer von 32 bis 35 schon mal an wie ein Tunnel. Da müssen wir jetzt durch.
Ich wünsche Ihnen ein frohes Osterfest! (Thomas P. Menzel) +++