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Dieser Weihnachtsmann mit Schutzmaske machts vor: So wird Weihnachten 2020! - Foto: picture alliance/dpa | Federico Gambarini

REGION Gastkommentar von Dr. med. Thomas Menzel

Corona unterm Tannenbaum: die Gebrauchsanweisung für Weihnachten

Zur Person Dr. Thomas MenzelPriv.-Doz. Dr. med. Thomas P. Menzel (58) ist Facharzt für Innere Medizin mit den Schwerpunkten Gastroenterologie und Hämatologie/ internistische Onkologie sowie Zusatzqualifikationen als ärztlicher Qualitätsmanager und Diplom-Gesundheitsökonom. Seit Mai 2011 ist er Sprecher des Vorstands der Klinikum Fulda gAG.

14.12.20 - Wenn an diesem Sonntag die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten über die weitere Corona-Politik beraten, kann es eigentlich nur ein Ergebnis geben: Wir reduzieren von sofort an – und nicht erst am kommenden Wochenende oder gar erst nach Weihnachten – unsere Kontakte bis mindestens zum 10. Januar.

Wir gehen weder zum Skifahren, noch fliegen wir in die Sonne, wir drängeln uns nicht in eventuell noch geöffnete Einkaufszentren, und wir verzichten über Weihnachten und Silvester auf Feiern und Besuche. Wir bleiben zuhause, zusammen nur mit den Menschen, mit denen wir auch sonst dort leben.

Dann sehen wir weiter.


Im Frühjahr haben wir das im ersten Lock-Down gut hinbekommen, so gut, dass allein die Ankündigung der Maßnahmen ausgereicht hat, um die Mobilität der Menschen und den R-Wert, also das Maß für die Dynamik der Pandemie, drastisch herunterzufahren. Das ist jetzt im Advent leider nicht mehr so. Die allermeisten von uns sind ermüdet von den Maßnahmen, und Weihnachten ist und bleibt ein Fest der Begegnungen im Kreis der Familie gefolgt von Silvester, wo wir es im Freundeskreis auch mal gerne richtig krachen lassen. Darauf zu verzichten, fällt schwer, auch wenn vielleicht nicht jedes vorherige Weihnachten ein Fest der Harmonie und mancher Neujahrstag von heftigen Kopfschmerzen geprägt war.

Es wird – unabhängig davon, was heute beschlossen wird – ein Kraftakt werden, uns alle erneut davon zu überzeugen, dass es nur gehen kann,  wenn wirklich alle sich ordentlich am Riemen reißen, sich uneingeschränkt mäßigen.

Weihnachten im Corona-Modus, das ist tatsächlich: Alternativlos!


Ischgl im Dezember 2019. Wir gehen dieses Jahr nicht zum Skifahren, sondern bleiben ...Foto: Christian P. Stadtfeld

Denn die dramatische Ausbreitung der Pandemie lässt keine andere Wahl. Spätestens mit den Daten vom Freitag, als die Zahl der Neuinfektionen am Tag den Wert von 30.000 erreichte und die Zahl der Menschen, die an oder mit COVID gestorben sind, die Schwelle von 500 nahm, war klar, dass wir aus der Seitwärtsbewegung in die exponentielle Ausbreitung der Seuche zurückgekehrt waren. Binnen etwa zwei Wochen sind beide Werte – die der Neuinfektionen und der Todesfälle - um fast 50 Prozent gestiegen. Wenn wir so weitermachten wie bisher, wären es zum Jahreswechsel etwa 900 Tote am Tag, Mitte Januar mehr als 1.300 und Ende Januar schon mehr als 2.000, jeden Tag. Das können und dürfen wir nicht wollen.

Auf den Intensivstationen, die – ja es ist wirklich so (!) – schon seit Wochen ausgelastet sind, werden derzeit deutschlandweit 4.000 COVID-Patienten behandelt, die meisten davon müssen beatmet werden. Für Ende Februar erwarten wir dann – wenn wir die Entwicklung nicht stoppen- mehr als 7.000. Zusätzlich zu denen, die dort auch sonst behandelt werden: den Menschen mit Schlaganfällen und Herzinfarkten, mit Sepsis oder nach einem schweren Unfall.

Das werden wir nicht schaffen.


Weil dann die Plätze knapp werden, und weil schon jetzt das Personal fehlt, um die Patienten zu versorgen.

Und allen, die jetzt noch auf die Straße gehen, um gegen die "Corona-Diktatur" zu demonstrieren, die COVID-19 für eine Art Grippe halten und die bevorstehenden Impfungen verteufeln, sei mit einem Zitat des großen Karl Valentin gesagt: "Gesegnet seien alle, die nichts zu sagen haben und trotzdem den Mund halten." Es reicht!

Unser Gastkommentator Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Menzel. Foto: Hendrik Urbin

Sich jetzt nicht zu beschränken, wäre zuallererst unmenschlich – nicht nur jedem Opfer, seiner Familie, seinen Freunden und seinem gesamten gesellschaftlichen Umfeld gegenüber. Die Sterbenden werden nicht nur Mutter und Vater, Großmutter und Großvater, sondern auch Töchter und Söhne, Enkelinnen und Enkel sein. Sie werden ebenso geliebte Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzte und Mitarbeiter sowie wertvolle Leistungsträger unserer Gesellschaft in Vereinen, in der Nachbarschaft sowie im öffentlichen Leben unserer Gemeinden, in unserer Wirtschaft und in unseren Unternehmen sein. Und es trifft auch die, die gestern noch gegen die Maßnahmen auf die Straße gegangen sind, wie aktuell einen Mitorganisator der Leipziger Demo vom November, dessen Leben auf einer Intensivstation des dortigen Universitätsklinikums gerettet worden ist.

Im nüchternen Kalkül dessen, was – abgesehen von ethischen Erwägungen – auch ökonomisch schwerer wöge, nämlich ein langsames Herunterfahren des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens oder der Schutz des eigentlichen Lebens – wird deutlich, dass diese Gegenüberstellung nicht die richtige ist.

Die Auswirkung der Pandemie erreicht schließlich ein Ausmaß, das unser gesamtes öffentliches und wirtschaftliches Leben in den Grundfesten in Gefahr bringen kann, wenn wir die Ausbreitung der Seuche jetzt nicht durch eine entschiedene Reduktion unserer Kontakte eindämmen.

Mit einer ungebremsten Ausbreitung des Virus bringen wir unsere Gesellschaft als ...Foto: Hendrik Urbin

Mit einer ungebremsten Ausbreitung des Virus bringen wir unsere Gesellschaft als Ganzes in Gefahr und zwar dort als erstes, wo sie am höchsten entwickelt ist, zum Beispiel auf den Intensivstationen unserer Krankenhäuser.

Rein rechnerisch betreut dort jede Fachpflegekraft nach einer fünfjährigen Spezialausbildung – auch ohne Corona – zwei bis drei Patienten in ihrer Schicht. Damit das rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche gelingen kann, sind 5,4 so genannte Vollkräfte – das sind Mitarbeiter, die eine volle Stelle ausfüllen – erforderlich. Das heißt: für jede Pflegekraft, die Ihnen bei einem Besuch auf der Intensivstation begegnet, muss das 5,4fache an Personal vorhanden sein, damit die Versorgung über 24 Stunden an 365 Tagen gewährleistet ist.

Keine Alternative zur Vermeidung unnötiger Kontakte!


Reportage von BILD auf der Intensivstation im Klinikum Fulda. Screenshot: BILD TV

Die Doku zeigt, wie hoch der Personaleinsatz in jeder Schicht ist: Das Team vor Ort leistet ...

Hinzukommen im durchgängigen Schichtbetrieb – von der Servicekraft und dem Transportdienst bis hin zu den Ärztinnen und Ärzten mit einer ihrerseits spezialisierenden Weiterbildung – viele weitere, die sich mit großen persönlichen Einsatz für das Überleben ihrer Patienten einsetzen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass Corona-Patienten häufig eine weit intensivere Betreuung benötigen. Wie neulich in einem journalistischen TV-Beitrag am Beispiel des Klinikums Fulda anschaulich gezeigt, benötigen wir sechs hochqualifizierte Mitarbeiter, um einer COVID-19-Patientin, deren Blut wegen ihrer Lungenschädigung außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert werden muss, in ihrem Bett regelmäßig umzulagern. Diese Mitarbeiter fehlen dann an anderer Stelle. Und sie müssen sich aufwändig schützen, um sich selbst nicht am Arbeitsplatz mit dem Virus zu infizieren. Es gelingt uns bisher recht gut, solche Infektionen in den Krankenhäusern zu verhindern, aber es wird immer schwieriger, vor allem weil zu viele Menschen derzeit das Virus tragen und weitergeben, innerhalb und insbesondere außerhalb der Krankenhäuser.

Was aber passiert, wenn ein ganzes Team auf einer Intensivstation durch eine Infektion einer Kollegin oder eines Kollegen sowie durch die notwendige Quarantäne für weitere Mitarbeiter ausgeschaltet wird? Das ist dann der berühmte Tropfen, der ein Fass zum Überlaufen oder im schlimmsten Fall eine Staumauer zum Bersten bringen kann. In einer ohnehin schon angespannten Lage kollabierte ein Teil der Versorgungskapazität in der Spitzenmedizin. Das hätte Auswirkungen auf das gesamte System.

Menzel fordert: Wir müssen unsere Krankenhäuser schützen! Foto: Martin Engel

Die Vorstellung, wir könnten Personal aus der Gastronomie oder Saisonarbeiter aus der Landwirtschaft in Schnellkursen wenn schon nicht zu Ärzten, so doch zu Intensivpflegekräften ausbilden, wie sie bisweilen in Veröffentlichungen aufscheint, ist töricht.

Angesichts der Bedrohung, die sich längst – von den meisten wohl unbemerkt – in unserer Gesellschaft aufgebaut hat, und die ständig exponentiell zunimmt, gibt es keine Alternative zur Vermeidung unnötiger Kontakte, selbst wenn darunter das Weihnachtsgeschäft und das Weihnachtsfest leiden. Deshalb müssen wir jetzt handeln. Jede und jeder von uns. Das sagt die nationale Akademie der Wissenschaften, die Leopoldina, in ihrer jüngsten Stellungnahme zur Pandemie Detailansicht (leopoldina.org).

Darum nochmal: Wir gehen weder zum Skifahren, noch fliegen wir in die Sonne, wir drängeln uns nicht in eventuell noch geöffnete Einkaufszentren und wir verzichten über Weihnachten und Silvester auf Feiern und Besuche. Wir bleiben zuhause, zusammen nur mit den Menschen, mit denen wir auch sonst dort leben.

Weil es sonst schlimmer kommen wird.

Und jeder sollte sich fragen, ob es ihm wert sein kann, solch eine Entwicklung mit auszulösen.


Und dann gibt es die, die zu Weihnachten auf den Schnelltest setzen. Wir wissen jedoch, dass jeder Schnelltest immer nur eine "Momentaufnahme" ist, selbst wenn vor dem Test eine Selbst-Quarantäne von mindestens 7 Tagen eingehalten wird. Der Test kann nur von medizinisch geschultem Fachpersonal verantwortlich ausgeführt werden, der do-it-yourself-Ansatz birgt viele Gefahren. Hinzu kommt, dass der Test sowohl falsch negative als auch falsch positive Ergebnisse hervorbringen kann. 

Wir in den Krankenhäusern, die seit beinahe einem Jahr mit COVID-19 zu tun haben, entdecken immer wieder Infektionen, die in einem Schnelltest unerkannt geblieben sind, Dank weiterer, weit aufwändigerer Diagnostika, die in keine Handtasche passt.

Machen wir uns nichts vor. Belügen wir uns und andere nicht. Seien wir ehrlich und konsequent. Apropos ehrlich: Natürlich finden sich jetzt viele kluge Menschen, die wissen, was wir schon die ganze Zeit über hätten besser machen sollen und können. Hinterher sind wir eben immer schlauer.

Im Voraus ist es hingegen schwer, in der Abwägung des Für und Wider die richtige Entscheidung zu treffen. Ich habe an dieser Stelle einmal dafür geworben, mit Optimismus in den Herbst zu gehen. Dafür hatten wir ja auch allen Grund. Und die Reduktion der Kontakte Anfang November war richtig. Sie hat auch zu einem Erfolg geführt. Aber der war nicht hinreichend. Also müssen wir jetzt nachsteuern und die Konsequenzen ziehen: Klare Einschränkungen für alle, die nachhaltige pandemische Linderung bringen, sind besser als zaghaft-unsicheres Taktieren über längere Zeit mit einem vor und zurück in der Reglementierung und einem Auf-und-Ab in den Infektionszahlen. Auch für die Wirtschaft, für die Unternehmen und die Selbständigen, ist Kalkulationssicherheit ein Wert an sich.

Weihnachten 2020 wird anders, denn Corona liegt unterm Tannenbaum. Foto: Christian P. Stadtfeld

Vor allem nun, da durch die Impfung eine Immunisierung der Bevölkerung erreichbar erscheint, lohnt die Anstrengung. Die Angehörigen der Hauptrisikogruppen und das medizinische Fachpersonal können bis Ostern geimpft sein. Dann werden die alten und kranken Menschen – mutmaßlich – die Intensivstationen und Krankenhäuser nicht mehr wegen einer Corona-Erkrankung belasten, und wir Pflegende und Ärzte können uneingeschränkter und ohne die Gefahr einer Infektion unsere Arbeit leisten. Wir entlasten das Gesundheitssystem in seiner am höchsten entwickelten Stufe von zwei Seiten her spürbar. So, wie wir jetzt in den Belastungstest laufen, werden wir dann auf eine Annäherung an eine Normalisierung hoffen dürfen. Vieles spricht dafür, dass bis zum kommenden Winter die Seuche viel von ihrem Schrecken verloren haben könnte.

Noch erscheint uns das vor uns liegende Jahr ziemlich lang. Aber denken wir heute mal ein Jahr zurück. Ist die Zeit seither nicht rasend schnell vergangen? Das sollte jedem von uns ein Ansporn sein, die nächsten Meter bis ins Ziel noch durchzuhalten.

Ich bin mir nicht sicher, wo genau wir uns in unserem COVID-Marathon gerade befinden, vielleicht bei Kilometer 30. Sicher ist aber, dass es bei jedem Marathon zwischen Kilometer 31 oder 33 immer besonders schwer wird. Dennoch lohnt die Anstrengung. Die Ziellinie ist in Reichweite, lassen Sie uns den nahen Erfolg nicht kläglich verspielen. (Thomas P. Menzel) +++

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