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Tun wir gemeinsam alles dafür, dass es ein guter Sommer wird und wir im Herbst Corona langsam verabschieden können. - Fotos: Adobe Stock / Emre Akkoyun

REGION Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel

Im Herbst 2021: Bye, bye Corona?

ZUR PERSON DR. THOMAS MENZEL Priv.-Doz. Dr. med. Thomas P. Menzel (58) ist Facharzt für Innere Medizin mit den Schwerpunkten Gastroenterologie und Hämatologie/ internistische Onkologie sowie Zusatzqualifikationen als ärztlicher Qualitätsmanager und Diplom-Gesundheitsökonom. Seit Mai 2011 ist er Sprecher des Vorstands der Klinikum Fulda gAG.

14.06.21 - Es ist schon erstaunlich schnell gegangen, aber die Daten sprechen für sich: Die Zahl der festgestellten Neuinfektionen mit dem Corona-Virus im Mittel der vergangenen sieben Tage hat mit weniger als 10 je 100.000 Einwohner und Woche im Landkreis Fulda und weniger als 20 in der Bundesrepublik einen Wert erreicht, wie er zuletzt im Frühherbst 2020 gemessen wurde. Damals begann - nach einem entspannten Sommer - die Kurve der Infektionszahlen allerdings wieder rasch zu steigen.

Exponentieller Rückgang?

Für viele kam die damalige zweite pandemische Welle unerwartet - nicht aber für die professionellen Beobachter, die den Anstieg schon zu Beginn des Sommers recht präzise vorhergesagt hatten. Nach einem ersten Gipfel um den 10. November, einem zweiten um Weihnachten, einem dritten um Ostern und einem vierten Ende April befinden wir uns in einer Phase des "exponentiellen Rückgangs" der Zahlen, die dabei in jeder Woche um den Faktor zwei fallen. Erleichterung und Freude breiten sich aus verbunden mit der bangen Frage, wie stabil diese Entwicklung sein wird.

Großbritannien vor der 4. Welle?

Der Blick nach Großbritannien zeigt dort wieder einen kräftigen Anstieg der Zahl der Neuinfektionen, aktuell auf Werte über 50 je 100.000 Einwohner und Woche. Mitte Mai lag dort die Inzidenz bei 20. Über 60 Prozent der Neuinfektionen sind dort durch die "indische" Variante B.1.617.2 verursacht, die nicht mehr "indisch" genannt werden soll, sondern jetzt "Delta" heißt. Diese Namensänderung soll laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Kommunikation mit nicht-wissenschaftlichen Zielgruppen erleichtern, weil die griechischen Buchstaben leichter auszusprechen und praktischer zu handhaben seien. Auch soll so eine Stigmatisierung des jeweiligen Landes und dessen Bevölkerung, in dem die Virusvarianten zuerst nachgewiesen wurden, vermieden werden.  

Die gute Nachricht: Die Impfung schützt auch gegen Delta, allerdings so richtig gut nur dann, wenn beide Impfungen erfolgt sind. In Deutschland machte B.1.617.2 bisher weniger als 3 Prozent der Neuinfektionen aus. Das wird aber vermutlich nicht so bleiben. Insbesondere die zunehmende Reisetätigkeit macht ein "Einschleppen" der Delta-Variante auch nach Deutschland in den nächsten Wochen wahrscheinlicher. Es wird wichtig werden, das wirksam zu unterbinden, beispielsweise durch strikte Quarantäne-Maßnahmen und die konsequente Fortsetzung der Impfungen, vor allem der Zweit-Impfung.

Das Klinikum Fulda: Die Überlastung der Intensivstationen konnten wir in Deutschland ...

Was haben wir gelernt?

Es ist noch nicht lange her, dass wir uns fragten, ob im Mai abermals die Kapazitäten der Intensivmedizin über ihre Leistungsgrenzen hinaus beansprucht werden könnten, weil die Pandemie so viele Patientinnen und Patienten auf die Intensivstationen zwingen würde. Diese Überlastung konnten wir in Deutschland vermeiden, weil die große Mehrheit der Bevölkerung vernünftig ist und gehandelt hat, indem sie die Corona-Regeln beherzigt hat.

Ohnehin zeigt uns die Entwicklung der Corona-Kurve des vergangenen Jahres und der zurückliegenden acht Monate: Wenn wir nicht handeln, handelt das Virus.

Schränken wir aber unsere Kontakte hart und entschieden schon bei den ersten Anzeichen einer zunehmenden Ausbreitung des Virus ein, flacht sich mit einer Verzögerung von etwa vierzehn Tagen auch die Kurve der Neuinfektionen ab. Diese Erkenntnis ist nicht neu.

Unser Gast-Kolumnist Dr. Thomas Menzel. Foto: Hendrik Urbin

Schnell und Hart?

Nun, da sich die Lage spürbar entspannt, sollten wir uns für den Fall der Fälle merken:

Je schneller wir hart gegensteuern, desto besser ist es für uns alle. Es werden weniger Menschen erkranken, sterben oder an Langzeit-Symptomen leiden.

Die Zahl derer, die an oder mit COVID gestorben sind, ist mit fast 90.000 hoch. Und die Krankheit wird noch mehr Opfer fordern. Zum Vergleich: Im Verkehr kommen jährlich bei uns in jedem Jahr bis zu 4.000 Menschen zu Tode (Tendenz sinkend) und bei Unfällen im Haushalt mehr als 12.000 (Tendenz steigend).

"Long-COVID" - ein relevantes Problem?

Etwa 10 bis 20 Prozent derer, die von der akuten Erkrankung nach einer SARS-CoV-2-Infektion genesen sind, leiden - unabhängig von der Schwere der akuten COVID-Erkrankung - langfristig unter "Long-COVID"-Symptomen wie Abgeschlagenheit, rascher Erschöpfbarkeit, Atemnot, Konzentrationsschwäche und Gedächtnislücken. Allerdings ist es noch viel zu früh für belastbare Prognosen über die langfristigen Auswirkungen der Erkrankung.

Mehr Herzinfarkte und Krebserkrankungen?

Wir wissen auch noch nicht, welche Folgen die Konzentration der medizinischen Bekämpfung von COVID und seinen Folgen auf die Ausbreitung, den Verlauf und die Folgen anderer Erkrankungen haben wird. Schließlich wurden Vorsorgeuntersuchungen, Diagnosen und Therapien verschoben, um Kapazitäten für Corona-Patienten frei zu halten.

Wie wird Corona die Strukturen der Gesundheitsversorgung verändern? Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen ist in den vergangenen 18 Monaten gesunken. Die Krankenhäuser machten weniger Umsatz und Ertrag, viele weisen steigende Defizite aus. Werden wir zwangsläufig die Versorgungskapazitäten zurückfahren, weil uns das Geld fehlt, obwohl uns die Pandemie gerade gezeigt hat, wie knapp die Behandlungsmöglichkeiten in der Krise sein können?

Haben die Berufe derer, die COVID-Patienten zu tausenden behandelt haben, an Attraktivität ...

Wie geht es auf den Intensivstationen weiter?

Welche Konsequenzen zieht das gegenwärtige und das potentiell künftige Personal auf unseren Intensivstationen aus der Krise? Haben die Berufe derer, die COVID-Patienten zu tausenden behandelt haben, an Attraktivität gewonnen, oder setzt ein Exodus etwa aus der Intensivpflege und Intensivmedizin ein? Die Konfrontation mit Leid und Tod war hier besonders hart. Menschen jeden Alters starben in großer Zahl trotz intensivster Betreuung. Auch die harte körperliche Arbeit unter Masken und in schweißtreibender Schutzkleidung im Schichtbetrieb an 24 Stunden über 365 Tage im Jahr ist sehr belastend. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben einen großartigen Job gemacht, und jetzt sind sie wirklich erschöpft. Wir können nur hoffen, dass die Prognosen nicht eintreten werden, die vorhersagen, dass bis zu 30 Prozent des Personals der Intensivstationen dort zukünftig nicht mehr arbeiten möchte.

Wie geht es unseren Kindern?

Welche Folgen haben die Veränderungen der vergangenen 1,5 Jahre auf Kinder und Jugendliche? Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass etwa ein Drittel der Kinder auf die Corona-Situation mit negativen Verhaltensänderungen reagiert. Andere Kinder sind psychisch erstaunlich gesund und kommen - zusammen mit ihren Eltern – gut mit den Belastungen zurecht, sagt die Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie Silvia Schneider. "Es herrscht neben der Verunsicherung auch eine große Solidarität unter den Schülerinnen und Schülern. Sie finden Möglichkeiten im Rahmen des Möglichen, soziale Kontakte aufrecht zu erhalten. Dies ist eine positive Seite der Krise: Nicht nur wir Erwachsene, sondern auch die Kinder und Jugendliche reagieren erstaunlich flexibel auf neue Situationen."

Werden wir uns ändern?

Der Impuls der Pandemie war stark. Ob es wirklich zu tiefgreifenden Änderungen kommen ...Symbolbild: Pixabay

Unsere Arbeitswelt, unser künftiges Mobilitäts- und Konsumverhalten könnte sich verändern. Der Impuls der Pandemie war stark. Ob es wirklich zu tiefgreifenden Änderungen kommen wird, bleibt abzuwarten.

Da wäre zum Beispiel der Umgang mit Tieren. Auch wenn sich hartnäckige Gerüchte halten, SARS-CoV-2 sei aus einem Labor entsprungen, tatsächlich handelt es sich bei COVID-19 um eine Zoonose. Der Erreger ist aus der Tierwelt auf den Menschen übergegangen und hat sich rasch an den neuen Wirt angepasst.

Darum stellt sich die Frage: Wie gehen wir mit Tieren um? Die SARS-1-Infektionen zu Beginn vor 15 Jahren hatten den Ursprung im Pelzhandel. In manchen Teilen der Welt wird Tieren bei lebendigem Leib das Fell abgezogen, um es für die Kleidungsindustrie zu gewinnen. Mit den Todesschreien stießen die Säugetiere das auch für den Menschen todbringende Virus aus. So – oder so ähnlich – könnte auch die aktuelle Pandemie begonnen haben.

Und die nächste Pandemie kommt bestimmt. Aber wann, wie und wo wird sie ihren Ausgang nehmen? Die Massenhaltung von Tieren, die in der Natur eigentlich nicht vorgesehen ist, befördert die Entstehung von Viren, die auch für den Menschen gefährlich werden können.

Wie wird der Sommer?

Die Lübecker Bucht im Sommer 2021. Foto: picture alliance/dpa | Georg Wendt

"Der Sommer wird gut" hat Prof. Karl Lauterbach prognostiziert. Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Sebastian Gabsch/Geisler-Fotopre

"Der Sommer wird gut" hat Prof. Karl Lauterbach prognostiziert, der sich ja sonst nicht gerade mit optimistischen Einschätzungen hervorgetan hat. Wollen wir hoffen, dass er Recht behält.

Vieles spricht dafür, dass die Zahl der Neuinfektionen im Sommer 2021 auf einen Tiefpunkt sinken wird - wie im Sommer 2020. Doch im Gegensatz zum vorigen Jahr bauen wir nun einen hoffentlich wirksamen und umfassenden Impfschutz auf. Vieles spricht dafür, dass es im kommenden Herbst nicht zu einer neuen Corona-Welle kommen muss, wie im vorigen Jahr. Aber das liegt wiederum an uns allen.

Was können wir tun?

Auch wenn die Corona-Bremsen in den kommenden Tagen und Wochen immer weiter gelockert werden, bleibt das Virus ansteckend.

Im Freien dürfte die Infektionsgefahr sehr gering sein. In Innenräumen bleibt sie aber stets höher. Mittelbare Viruskontakte – durch feine Viruspartikel in der Luft – und unmittelbare Körperkontakte - wie das Handgeben und Umarmungen – führen zur Übertragung von Krankheitserregern.

Im Freien dürfte die Infektionsgefahr sehr gering sein. Foto: Adobe Stock / Marina Andrejchenko

Mobilität steigert die Verbreitung von Viren und vor allem auch von deren Mutanten, die gefährlicher und ansteckender sein können. Die Reisen des vorigen Sommers haben zu einer weiten Verbreitung des Virus in der Gesellschaft geführt. Viele Menschen haben SARS-COV-2 aus dem Urlaub mit nach Deutschland gebracht, und erst jüngst ein Student die Delta-Variante aus Indien nach Dresden.

Wenn wir der COVID-Pandemie ein Ende setzen wollen, ist weiterhin jede und jeder Einzelne gefordert. Die kommenden Wochen bleiben gefährlich, zumal der Impfschutz noch nicht komplett ist. Fast die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland ist nun ein Mal geimpft und ein gutes Fünftel zwei Mal.

Erst zwei Wochen nach der kompletten Impfung, die meist aus zwei Impfdosen in einem Abstand von sechs bis zwölf Wochen besteht, sollte der Schutz optimal sein. Da auch Kinder und Jugendliche an COVID - und selbst nach einem symptomfreien oder milden Verlauf - an den Langzeitfolgen von COVID erkranken können, ist auch die Impfung junger Menschen grundsächlich zu empfehlen, wenn auch mit den Einschränkung, wie sie die Experten der Ständigen Impfkommission (STIKO) gemacht haben.

Wer sich nicht impfen lässt, wird vom Virus infiziert werden, früher oder später. ...

Wir sollten diesen Sommer nutzen, um uns alle durch eine Impfung vor COVID und den Folgen ...

Impfen? Impfen!

Wer sich nicht impfen lässt, wird vom Virus infiziert werden, früher oder später. Darum gilt für uns alle eine Regel, deren Einhaltung wir von jeder und jedem einfordern sollten, sofern nicht harte medizinische Gründe dagegen stehen:

Impfen, Impfen, Impfen!

Wir sollten diesen Sommer nutzen, um uns alle durch eine Impfung vor COVID und den Folgen zu schützen.

Und es uns ansonsten einfach mal wieder gutgehen lassen.

Danke!

Mit diesem Appell möchte ich nicht nur diesen Corona-Kommentar sondern auch unsere Reihe an Kommentaren schließen, mit denen wir seit dem Frühjahr 2020 versucht haben, Sie liebe Leserinnen, liebe Leser über die Pandemie, ihre Ursachen, ihren Verlauf und ihre Bekämpfung zu informieren.

Ich danke allen, die unsere Texte gelesen haben und denen, die sie kommentiert haben. Ich danke Claus-Peter Müller von der Grün und Barbara Froese für die intensive Begleitung beim Erstellen der Texte, die allesamt im Dialog entstanden sind.

Dank an das Team von OSTHESSEN|NEWS – insbesondere an Christian Stadtfeld – für die Idee zu dieser Kolumne, die öffentliche Plattform und die kompetente Begleitung.

Bye, bye Corona?


Vor gut einem Jahr schloss die Kolumne am 10. Mai – nach der ersten Corona-Welle – mit den Worten: "Der Sommer steht vor der Tür, und die Bedingungen für das Virus werden schlechter. Gut für uns. Die Schritte zur Rückkehr in die Normalität sind verkündet. Mit ein bisschen Glück könnte es doch noch was werden mit dem Sommerurlaub, wenn vielleicht auch nur im eigenen Land. Alles auf Grün?" Im Herbst sprang die Ampel wieder auf Rot.

Tun wir gemeinsam alles dafür, dass es ein guter Sommer wird und wir im Herbst Corona langsam verabschieden können. (Thomas P. Menzel) +++

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