Archiv
Nachhaltigkeit und die WM: Wie passt das zusammen? - Oberhof macht es vor
11.02.23 - "Ich mache das schon seit Jahrzehnten. Es macht mir einfach Spaß, dabei zu sein", sagt der nette Herr am Steuer eines kleinen Busses. Er fährt einen Kollegen von Sport1 und mich vom Medienparkplatz am Stadtrand zur Biathlon-Arena am Grenzadler.
Und er plaudert gerne darüber, wie sich Oberhof entwickelt hat. Kaum angekommen und schon ist die Begeisterung der Einheimischen zu spüren. Über 1.000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sind in diesen Tagen im Einsatz. Während wir an den Häusern vorbeifahren, fällt eines auf: Gefühlt im jedem Vorgarten, an jeder Hauswand sind Fähnchen oder Plakate zu sehen.
Oberhof - ein Ort mit einer bewegten Geschichte
"Die Menschen hier haben den Wintersport in ihrer DNA", sagt Bürgermeister Thomas Schulz im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS. Knapp 1.600 Menschen leben heute auf dem Kamm des Thüringer Waldes. "In diesem kleinen Ort Oberhof spiegelt sich die deutsche Geschichte von der Kaiserzeit, Weimarer Republik, Nazi-Zeit, DDR wie in einem Fokus wider. Jede Zeit hat ihre Zäsur hinterlassen, die wir bis in die Gegenwart hinein finden und spüren können", sagt der Geschichtskenner Wolfgang Lerch in einer Reportage des Mitteldeutschen Rundfunks.
Heute führt die neu gebaute Autobahn A 71 von Erfurt kommend durch den knapp acht Kilometer langen Rennsteigtunnel nach Oberhof und weiter nach Schweinfurt. Vorbei die Zeiten, als sich die Touristen etwa durch Ohrdruf und Luisenthal hoch nach Oberhof schlängeln mussten. Denn hochklassige Wintersportereignisse gibt es hier in Oberhof schon lange. Ob Rennrodelbahn, Bob, Langlauf oder Biathlon und die berühmte Skisprungschanze im Kanzlersgrund - Oberhof spielt im internationalen Wettkampfzirkus seit vielen Jahrzehnten eine Rolle.
Der Freistaat Thüringen investiert 80 Millionen Euro in seine Anlagen
"Vor allem auch für das begeisterungsfähige Publikum ist Oberhof bekannt. Es unterstützt alle Sportlerinnen und Sportler - egal aus welchem Land sie kommen. Doch an den Sportanlagen nagte der Zahn der Zeit. "Die Sportanlagen gehören dem Freistaat Thüringen und dieser hat 80 Millionen Euro in seine Anlagen investiert", sagt der Rathauschef. Dies sei die erste umfassende Sanierung seit 50 Jahren. Schulz erklärt zudem, dass die Sportanlagen zu 80 Prozent von Vereinen und damit insbesondere auch von Kindern und Jugendlichen im Breitensport genutzt werden, diese kommen auch aus Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die Nachwuchsarbeit in den Vereinen sei wichtig, auch für die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Menschen. Zur Tradition von Oberhof gehört auch, dass sie immer wieder erfolgreiche Sportler hervorbringen. Breitensport und Spitzensport gehören zusammen.
"Mit der Weltmeisterschaft soll auch der Biathlonsport in Deutschland einen zusätzlichen Boom bekommen. Bereits der erste Wettkampftag lieferte wunderbare Livebilder aus Oberhof - auch wenn der Erfolg der deutschen Mannschaft ausbaufähig ist. Aber rund 19.000 Zuschauer an einem Mittwoch - das ist sensationell. "Der Start war optimal, es gab bislang keine Beschwerden, keine Staus. Die Organisation ist klasse", sagt der Bürgermeister. Und er freut sich natürlich über die volle Stadt. Und das mit dem deutschen Erfolg? Am Freitag wurde Denise Herrmann-Wick Weltmeisterin - das erste Gold für die deutsche Mannschaft bei dieser Biathlon-WM.
Der Handel sei absolut dankbar. Die Weltmeisterschaften sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und spülen rund 70 Millionen Euro in die Kassen der Region. Die Hotels und Pensionen im Umkreis sind ausgebucht. Aber auch der Einzelhandel oder das Handwerk profitieren von den Sportveranstaltungen.
Konsum, Cafés und eine Feiermeile
Und in Oberhof? Es lohnt ein Bummel durch die Straßen - von Innenstadt will ich nicht schreiben. Aber der Konsumladen, die kleinen Cafés, Restaurants und die Bäckerei laden zum Verweilen ein. Und ein Thüringer Würstchen darf nun wirklich nicht fehlen. Zur WM gibt es rund um den Kurpark zudem eine große Eventfläche mit Party-Festzelt, Buden und das Land Thüringen präsentiert sich. An den Wettkampftagen werden abends die neuen Weltmeisterinnen und Weltmeister auf einer riesigen Bühne inmitten der Stadt gefeiert.
Nach der erfolgreichen Rennrodel-WM zieht jetzt die Biathlon-WM die Menschen in den Wintersportort. Rund 160.000 Fans werden erwartet. Zwei Weltmeisterschaften innerhalb weniger Wochen - Oberhof kann das. Auch wenn viele Fans mit den Bussen "weggeshuttelt" werden - wie es der Bürgermeister beschreibt. Denn die kleine Stadt hat kaum Parkplätze für diese Massen. Zum Konzept gehört ein aufwendiges Shuttlebus-Konzept. Die Begeisterung ist bei jedem Schritt zu spüren. Das schöne Wetter und vor allem der natürliche Schnee täuschen aber ein wenig darüber hinweg, dass der Klimawandel in den Mittelgebirgen angekommen ist.
Der Tourismus hat sich wesentlich breiter aufgestellt
"Der Tourismus hat sich längst wesentlich breiter aufgestellt und reicht weit über das vorhandene Wanderangebot im Thüringer Wald und dem nahen Rennsteig. "75 bis 80 Prozent des Umsatzes werden außerhalb des Winters gemacht", sagt der Bürgermeister. Ob Kletterpark, Bike-Park, Mountainbike-Strecken und E-Bike - das sportliche Angebot ist gewachsen. Ein Glücksfall ist auch der Bau eines riesigen Familienhotels.
Sportanlagen modernisiert: Energieeffizienz und Nachhaltigkeit
"Die modernisierten Sportarenen bieten zusätzliche Möglichkeiten. Viele Fans wollen sich die Rennrodelbahn oder die Biathlon-Arena einfach mal anschauen - auch außerhalb der Saison. Die Nachhaltigkeit der Arenen spielte bei der Konzeption eine entscheidende Rolle. Die Sportanlagen werden ganzjährig genutzt. Wärmerückgewinnung, Solaranlagen sowie intelligente Strom- und Verteilnetze sollen die Energieeffizienz deutlich verbessern.
Schon jetzt beobachtet Schulz, dass Menschen etwa aus Erfurt oder Weimar für einen Kurzurlaub nach Oberhof kommen. Die Sommerfrische in Oberhof habe eine lange Tradition - gerade in den heißen Sommermonaten lieben die Menschen die frische Luft im Thüringer Wald. Der Bürgermeister sieht gute Perspektiven für Oberhof.
Abends sehe ich nahe dem Presseparkplatz einen Mann in seinem Garten. Mit einer Maurerkelle modelliert er einen Biathlon-Schießstand aus Schnee. Oberhof ist halt sportverrückt. (Hans-Hubertus Braune) +++