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Rund 1.000 Menschen verlieren ihren Job - Stimmen aus der Politik
17.11.23 - Der Reifenhersteller Goodyear erklärte am Donnerstag, das Werk Fulda werde bis zum Ende des dritten Quartals 2025 geschlossen, die Reifenproduktion in Fürstenwalde dagegen bis Ende 2027 eingestellt. "Dies ist eine schwierige, aber notwendige Entscheidung, um Überkapazitäten zu reduzieren und unsere Produktionsstruktur mit der Nachfrage in Einklang zu bringen." Der Schritt werde es ermöglichen, "Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität langfristig zu sichern."
Angesichts dieses Schocks reagieren die regionalen Politiker: Landrat Bernd Woide und Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld
Und auch wir waren trotz aller Sorgen zuversichtlich, dass unsere intensiven Gespräche der vergangenen Monate mit Geschäftsleitung und Betriebsrat sowie die breite Unterstützung bei den Kundgebungen Früchte tragen könnten und würden. Die Nachricht heute kommt auch für uns unerwartet, weil sich zu keinem Zeitpunkt ein solch dramatisches Szenario wie eine komplette Schließung des Standorts abgezeichnet hat. Doch die Entscheider des internationalen Konzerns haben einen anderen Weg eingeschlagen: Aus der im Juni angekündigten Kapazitätsreduzierung um rund 550 Beschäftigte ist jetzt ein kompletter Kahlschlag geworden. Das ist für uns eine bittere Nachricht und ein Entschluss, dessen Tragweite in Gänze noch gar nicht absehbar ist.
Der Konzern verspricht, gegenüber seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fair und verantwortungsvoll zu handeln und die Beschäftigten angemessen zu unterstützen. Wir hoffen, dass die Beschäftigten und deren Angehörige wirkungsvolle Hilfe erfahren werden, und dass möglichst viele der loyalen, fleißigen und teils hochqualifizierten Belegschaft in der Region Fulda eine adäquate neue Beschäftigung finden werden. Wir werden den Betroffenen aktiv unsere Unterstützung anbieten."
Der heimische Wahlkreisabgeordnete Michael Brand (CDU): "Offensichtlich sind die Opfer der Beschäftigten und die Solidarität der Region dem Management von Goodyear einen feuchten Dreck wert, und offensichtlich geht es nicht um die Suche nach Standorterhaltung, sondern nach Standortvernichtung. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass sich Automobilzulieferer in einem brutalen internationalen Wettbewerb befinden und wir uns für die Zukunft warm anziehen müssen. Niemand sollte bei international operierenden Konzernen Illusionen haben, dass etwa Identifizierung mit dem Unternehmen und Qualität der Arbeit bei bestimmten Ebenen des Managements irgendeinen Eindruck machen.
Das sind heute häufig nur noch Zahlenfreaks, denen das menschliche Element und die Suche nach Lösungen zunehmend abgeht. Anders kann man sich kaum erklären, dass ein so großartiger Standort, mit einer so enormen Tradition, ohne Rücksicht auf Verluste dichtgemacht werden soll. Bei gutem Willen aller Beteiligten hätte es selbstverständlich eine andere Lösung geben können, das ist mir bei Gesprächen im Werk Fulda in den letzten Monaten klar geworden.
Goodyear sollte sich die warmen Worte und die modularen, kalten Sätze einfach sparen. Dass sie dann am Ende auch noch den guten Klang des Markennamens FULDA-REIFEN weiterverwenden wollen, während sie das Traditionsunternehmen in Fulda kalt erledigen, hat schon einen massiv bitteren Beigeschmack. Nun werden wir gemeinsam mit der Belegschaft und den Verantwortlichen vor Ort noch versuchen, zu retten, was zu retten ist. Die Kälte des Unternehmens Goodyear verspricht allerdings kein gutes Jahr."
MdL Thomas Hering (CDU): "Die Entscheidung zur endgültigen Schließung ist mehr als ein Schlag für viele Mitarbeitende, deren Familien und unsere Region. Der gesamte Prozess zeugt von respektlosem Umgang und Unaufrichtigkeit auch gegenüber politisch Verantwortlichen. Dies sage ich auch mit emotionalem Hintergrund, denn "die Gummiwerke" sind nicht nur Arbeitsplatz und Produktionsstandort, sie sind ein Stück Identität unserer Region und durchweben unsere heimische Gesellschaft.
Ich selbst habe persönliche Bindung dorthin durch aktive und ehemalige Mitarbeitende, auch im engsten Familienkreis. Und so wird kaum eine Familie ohne Bindung zum Standort Fulda sein, es wird viele auch indirekt Betroffene geben. Nach den ersten Einschnitten in 2019 und jetzt in diesem Jahr standen weitere Schritte zu befürchten, das haben mir viele Mitarbeitende im Rahmen unserer Solidaritätskampagne an der außerordentlichen Betriebsversammlung bekannt. Sie sprachen von unwürdigem Umgang am Tag der Bekanntgabe. Unwürdig meines Erachtens auch der Umgang im Jahr 2019, als man neben Arbeitsplatzreduzierung noch größere Investitionen verkündete und damit nach meiner Bewertung allen Involvierten, einschließlich der politisch Verantwortlichen, mit dem Transformationsprozess "Sand in die Augen streute". Schon damals hatte ich mit der Betriebsratsvorsitzenden Ines Sauer im persönlichen Kontakt gestanden.
Meine Empörung angesichts der unwürdigen Vorgänge darf aber nicht ausblenden, dass die politischen Rahmenbedingungen für derartige Industrien verbessert werden müssen. Sowohl energetisch als auch arbeits- und abgabenrechtlich. Es geht um Attraktivität des Produktions- und Wirtschaftsstandorts Deutschland. Wir sind darüber hinaus gut beraten, auf einen starken Mittelstand zu setzen und unsere teils familiengeführte Unternehmen in diesem Sinne nicht noch mehr zu belasten, sondern in ihrer Entwicklung zu fördern. Großkonzerne mit Steuerung aus Übersee scheinen sich nämlich nicht verlässlich und wenig anständig aufzustellen. Umso mehr denken wir jetzt an die vielen Familien, denen in der aktuellen Lage kaum nach Besinnung oder vorweihnachtlicher Stimmung zumute sein wird. Von daher muss jetzt auch die Vermittlung neuer Arbeitsplätze und die Sicherung des Erwerbseinkommens unserer Mitbürger im Fokus stehen."
MdL Silvia Brünnel (Bündnis 90/DIE GRÜNEN):
MdL Sebastian Müller (CDU)
Die "Gummi" und Fulda Reifen gehören zu Fulda und haben über Jahrzehnte vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und damit ihren Familien in unserer Region ein gutes Einkommen gesichert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Goodyear Standortes in Fulda, die von der Schließung betroffen sind, verdienen die Unterstützung der gesamten Region! Die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschlands hat in den letzten Jahren gelitten. Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung, um Deutschland wieder an die Spitze zurückzuführen, um Arbeitsplätze in der Industrie dauerhaft zu sichern.
MdL Sabine Waschke (SPD): "Für mich ist die Schließung der Gummiwerke eine Katastrophe für die Arbeitnehmer, aber auch für die Region. Die Gummiwerke haben über Generationen zu Fulda gehört, man hat sich damit identifiziert, wenn man dort gearbeitet hat. Jetzt wird die Entscheidung zur Schließung in den Vereinigten Staaten getroffen - dort hat man keinen Bezug zur Region. An das Argument der mangelnden Profitabilität glaube ich nicht - das ist in den Gesprächen immer nur vorgeschoben worden", erklärt Landtagsabgeordnete Sabine Waschke (SPD).
Aktionsbündnis Fulda-Eine Region steht auf: "Wir sind schockiert und wütend, dass die Arbeitsplätze der Mitarbeitenden einfach dem Profitwahn des Großkonzerns geopfert werden. Die Art und Weise im Umgang mit dem Betriebsrat und den Mitarbeitenden in den letzten Wochen und Monaten zeugt von einer menschenverachtenden Betriebskultur. Rücksichtslos wurden Entscheidungen nur mit Blick auf den größtmöglichen Profit getroffen. Wir schauen mit großer Sorge in die Zukunft, denn die heutige Entscheidung hat Auswirkungen auf unsere gesamte Region; zuallererst natürlich für die Beschäftigten und ihre Familien, aber auch für Speditionen und Zuliefererfirmen, örtliche Geschäfte und Gewerbetreibende sowie deren Mitarbeitende und Familien. Während unseren Solidaritätsaktionen, die wir als Aktionsbündnis in den letzten Wochen und Monaten ausgerichtet haben, ist in den Gesprächen mit den Menschen in Fulda immer wieder deutlich geworden, es gibt kaum jemanden, der in seiner Familiengeschichte keine Verflechtungen mit der 'Gummi' vorweisen kann."
Markus Hofmann, Grünen-Landtagsabgeordneter: "Die Nachricht, dass Goodyear in 2025 seinen Gründungsstandort in Fulda vollständig aufgeben will schockiert mich. Nach vielen Monaten intensiver Verhandlungen und Zugeständnisse bleibt nur die Vermutung, dass die Mitarbeitenden hinters Licht geführt wurden. Ob den Versprechungen der Geschäftsführung die Mitarbeitenden fair zu behandeln und zu unterstützen getraut werden kann, nachdem bereits vorangegangene Gespräche über einen Sozialplan für den vormals geplanten Stellenabbau gescheitert waren, bleibt fragwürdig. Für alle Mitarbeitenden und vor allem für jede, die dem Unternehmen viele Jahre die Treue gehalten haben, ist diese unerwartete Entscheidung ein Schlag ins Gesicht. Einmal mehr zeigt sich, dass ein multinationaler Konzern wie Goodyear nach eigenen Regeln funktioniert. Eine solche Vorgehensweise ist bei einem mittelständischen Unternehmen nur schwer vorstellbar. Ich hoffe für die Mitarbeitenden in genau solch einem Unternehmen eine neue Anstellung zu finden und damit den Wirtschaftsstandort Fulda mit seinen zahlreichen hervorragenden Mittelständlern zu stärken."
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, Günter Rudolph, kritisiert die geplante Schließung des Goodyear-Dunlop-Reifenwerkes in Fulda scharf. "Goodyear-Dunlop bestätigt das Klischee vom skrupellosen US-Konzern, für dessen Manager Aktiendividenden und Vorstandsboni alles sind, Respekt und Wertschätzung für die Beschäftigten aber nichts. Ich bin entsetzt und wütend.
Die Art und Weise, wie Goodyear entscheidet und kommuniziert, ist rücksichtslos und kalt. Nachdem die Zahl der Beschäftigten erst nahezu halbiert werden sollte, will der Konzern nun alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Werkes in Fulda ihrer beruflichen Zukunft berauben.
Die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag und die hessische SPD stehen solidarisch an der Seite der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Reifenwerks in Fulda und unterstützen die Betriebsräte und die Gewerkschaften solidarisch in der Auseinandersetzung mit einem Konzern, für dessen Management Begriffe wie ‚Verantwortung‘, ‚Wertschätzung‘ und ‚Respekt‘ offensichtlich Fremdwörter sind."
Auch die Stadt-SPD aus Fulda meldete sich zu Wort: "Goodyear hat sich als Paradebeispiel für das kalte Herz des Kapitalismus geoutet. Verständnis für die Arbeitnehmerschaft und Region – Fehlanzeige. Wir sind entsetzt und zornig. Allein die Argumentation für die Entscheidung, den Standort Fulda zu schließen, stelle dies in aller Deutlichkeit unter Beweis. Es gehe um die Verbesserung der Kostenstruktur und Profitabilität, diese Aussage ist scheinheilig. In Wahrheit geht es um die Maximierung des Profits für die Anteilseigner, denn die Ertragslage des Unternehmens ist alles andere als schlecht", schreibt H.-J. Tritschler, Co-Vorsitzender des SPD-Stadtverbandes Fulda. Die Verlogenheit der Unternehmensleitung sei schon ein starkes Stück. (red) +++