Bewährungsstrafe oder viereinhalb Jahre? - Langes Statement des Angeklagten
22.10.24 - Der ehemalige Pfarrer, der wegen Kindesmissbrauch, Herstellung, Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie vor dem Landgericht Fulda steht, nutzte am Montag nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung die Gelegenheit "des letzten Wortes" für ein ausführliches Schlussstatement.
"Ich bin mir inzwischen voll bewusst, dass mein Verhalten negative Folgen hatte und hat. Ich habe die Opfer zu sexuellen Objekten gemacht, ihnen eine schädliche Konditionierung aufgezwungen, ihnen die sexuelle Selbstbestimmung genommen und ihre Fähigkeit zu vertrauen zerstört", erklärte er. "Für dieses Verhalten schäme ich mich zutiefst!" Damit wolle er klar festhalten, dass er seine Taten nicht relativieren, entschuldigen oder beschönigen wolle. "Ich werde jedes Urteil akzeptieren."
Zunächst hatte die Staatsanwältin jeden einzelnen der angeklagten 70 Fälle beschrieben, bewertet und das jeweilige Strafmaß zwischen neun Monaten und 2,9 Jahren festgelegt. Dabei wurden abstoßende Details verlesen, die sich bei der Sichtung des inkriminierten Videomaterials aus dem Besitz des 43-Jährigen ergeben hatten. Da keines der anonymen Opfer aus dem Chatroom identifiziert werden konnte, musste deren Alter aus körperlichen Merkmalen und deren Verhalten geschlossen werden. Die meisten Kinder waren nach Ansicht der Anklage unter 14 Jahre alt. Der 43-Jährige hatte ihnen kinderpornografisches Material vorgeführt und sie aufgefordert, sich auszuziehen, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen und hatte dies auch selbst getan. Aus den Reaktionen habe man zum Teil deutlich schließen können, dass die Kinder zum ersten Mal im Leben mit pornografischem Material konfrontiert wurden. "Die Augen des Jungen wurden immer größer", schilderte die Staatsanwältin ein Beispiel. In anderen Fällen hätten die Kinder Chips gegessen, seien sichtlich aufgeregt und überdreht gewesen oder hätten sich geschämt. "Haben Sie auch süße Tiervideos?", hätte ein Mädchen gefragt.
Der 43-Jährige sei im Verlauf von vier Monaten im Umgang mit den Kindern fordernder geworden und habe gezielt auf sie eingewirkt. Von den Chats habe er Mitschnitte angefertigt und diese auch mit anderen geteilt, um deren Material zu bekommen. Wie die Gutachterin ausgeführt habe, sei er nicht pädophil veranlagt und voll schuldfähig. Für ihn spreche sein vollumfängliches Geständnis, die Tatsache, dass er keine Vorstrafen habe und sich eigeninitiativ in Therapie begeben habe. Auch seine Reue sei glaubwürdig, aber gegen ihn spreche der Umfang der Taten, so die Staatsanwältin. Sie forderte eine Gesamtstrafe von vier Jahren und sechs Monaten für den 43-Jährigen.
"Bitte stecken Sie meinen Mandanten nicht ins Gefängnis!"
Mit einem leidenschaftlichen Appell ans Gericht eröffnete der Verteidiger sein Plädoyer: "Bitte stecken Sie meinen Mandanten nicht ins Gefängnis!" Tatsächlich liege kein Fall von schwerem sexuellen Missbrauch vor, höchstens in zwei Fällen sei Missbrauch nachweisbar. Mit neuen Beweisanträgen versuchte der Anwalt die Bewertung der Anklage zu entkräften. Ein biologisch-anthropologisches und ein Stimm-Gutachten solle das wirkliche Alter der Chatteilnehmer klären, denn es sei nicht ausgeschlossen, dass unter den Teilnehmern Erwachsene gewesen seien. Auch sein Mandant habe sich als 17-Jähriger ausgegeben. Außerdem regte der Verteidiger an, die Einzeldelikte als eine Tateinheit zu sehen. "Das Dauerdelikt umklammert die Einzeltaten", führte er aus. Den Besitzvorrat an kinderpornografischem Material habe er - analog zum Drogenbesitz - nicht zur Weiterverbreitung, sondern für den Eigengebrauch angelegt.
"Ich kann mir kaum einen Angeklagten vorstellen, bei dem so viele Strafmilderungsgründe vorliegen", führte er weiter aus. Sein frühes Geständnis bei der Polizei habe die Ermittlungen erheblich erleichtert, er sei nicht pädophil, habe eine Therapie begonnen und zeige echte Reue: "Das Unrecht seiner Taten steht ihm klar vor Augen und deren Folgen haben ihn stark getroffen." Er habe seine Beschäftigung, sein Priesteramt, seine Bezüge und berufliche Zukunft und seine sozialen Kontakte verloren. Die mediale Berichterstattung über ihn, die auf Jahre zu googeln sei, führe zu seiner sozialen und existenzbedrohenden Ächtung. "Was soll dieser Mann im Gefängnis?" schloss der Anwalt sein Plädoyer. Er forderte eine Bewährungsstrafe unter zwei Jahren.
Das Urteil soll am kommenden Montag um 10 Uhr verkündet werden. (Carla Ihle-Becker) +++