EiPhone und Wurst – warum Fasten Käse ist

07.03.14 - Das Konfetti- und Helau-Gedöns ist endlich zu Ende, für die Katholiken im Landkreis Fulda hat die schönste Zeit des Jahres begonnen: Die nächsten Wochen bis Ostern wird gefastet und verzichtet, als wolle man Tebartz-van Elst zeigen, wie’s geht. Süßigkeiten, Alkohol, Nikotin, Fleisch und andere Laster sind Tabu. Die strikte Zurückhaltung hat wunderbare Nebenwirkungen: Sie reinigt Körper und Geist, entschlackt, beruhigt, entschleunigt, entspannt und macht glücklich.

„Bitte, nur einmal berühren. Ganz kurz! Ich brauche dieses Gefühl. Lass es mich spüren." Cosimo rutscht verzweifelt auf den Knien hinter seiner Freundin her durch den Flur und hat Tränen in den Augen. Sein trauriges mit kaltem Schweiß überzogenes Gesicht ist vom Schmerz gezeichnet. Viel schlimmer als damals, als sein getigertes Babykätzchen auf offener Straße von einem Laster überrollt wurde. Viel intensiver als vergangenes Jahr, als seine Frau mit einem Jüngeren verschwand. Viel heftiger als Anfang Januar, als er wegen eines Blinddarmdurchbruchs notoperiert werden musste. Die aktuelle Pein hat bisher ungeahnte Dimensionen. Dahinter verbirgt sich eine wahre Tragödie.

„Dein Smartphone bleibt im Tresor." Die Ansage seiner Freundin Eleonora lässt keinen Spielraum für Diskussionen. Während der Fastenzeit darf der Epidemiologe sein technisches Spielzeug nur von Montag bis Donnerstag benutzen, am Wochenende soll er sich ganz der neuen Familie widmen. „Lass es mich sehen, nur einmal, wenigstens für eine Nanosekunde", röchelt Cosimo mit schwacher Stimme und legt freiwillig als Zeichen seines Entgegenkommens die heimlich gehorteten Schnapsvorräte und kistenweise Zigaretten hinter dem Sofa offen.

Es klingelt. Der Nachwuchs kommt nach Hause. Cindy, Dörte, Detlef, Kai-Uwe, Hansrüdiger und Bruno werden von ihrer Mutter abgetastet, Taschen und Rucksäcke wandern durch den Röntgenscanner. Mit sicherer Hand zieht Eleonora Smartphones, MP3-Player, Tablet-PCs, Spielekonsolen und Laptops neben Tränengas, Stichwaffen, Klappmessern und Rauchbomben aus dem Verkehr. Bis Ostern müssen die 7- bis 13-Jährigen auf ihre multimedialen Begleiter in den eigenen Wänden verzichten. Wenig später sitzt das Sextett gemeinsam mit ihrem künftigen Übergangspapa im Wohnzimmer und entschlackt, beruhigt, entschleunigt und entspannt tief unglücklich bei Gürkchen und Ei. Die Dame des Hauses findet lobende Worte: „Ihr bemüht Euch so sehr. Ihr fastet so toll. Zur Belohnung habe ich eine Überraschung: Ich zeige Euch die Dias von unserer Frauenpilgerreise nach Eitorf in den Westerwald."

Als auch das 15. unscharfe Lichtbild mit dem Parkplatz „Geißhecke" briefmarkengroß und auf dem Kopf stehend auf der verrauchten Wohnzimmerwand landet, beißt sich Cosimo bis auf den Knochen seiner rechten Hand, damit der immense Schmerz die Entzugserscheinungen der Handy-Sucht vergessen macht. Das Blut spritzt auf das weiße Alcantara-Sofa. „Tigerbärchen, kein Fleisch in der Fastenzeit", ermahnt Eleonora und stellt ihrer Sippe Brennnesselsuppe, Dinkel-Frischkäse-Taschen, gebratene Steckrübenscheiben und Sauerkraut-Sülze auf den Tisch.

„Wurst ist Sünde und bleibt bis Ostern im Tresor", trötet die überzeugte Katholikin. Hansrüdiger bricht in Tränen aus. Er beichtet seiner Mutter, dass er ausnahmsweise eine Scheibe Wurst auf seinem Pausenbrot mit in den Unterricht geschmuggelt hatte, um sich während der Klassenarbeit zu stärken. Das Ergebnis: „Mein Lehrer hat mich erwischt und mir eine Sechs gegeben." Der Grund: Es war ein Schinkenspicker (JOCHEN WIELOCH).

HINTERGRUND: „Wielochs wirre Welt" erscheint heute am 17. Freitag in Folge bei osthessen-news.de. Jochen Wieloch (37) blickt dabei pointiert, humorvoll und teilweise mit einer gehörigen Portion Ironie auf die Ereignisse, die die Menschen in der Region und im Land bewegen. Der Petersberger kennt sich als selbstständiger Redakteur in den Medien Print, TV und Internet bestens aus, ist Buchautor und als Spezialist für Unterhaltungselektronik gefragter Autor für zahlreiche Verlage, Magazine und Fachzeitschriften. Außerdem berät und betreut der 37-Jährige Unternehmen in allen Fragen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Neben dem ZDF, 3sat und dem Bayerischen Rundfunk arbeitete Jochen Wieloch unter anderem auch für die Motor Presse in Stuttgart und auto-tv in München. Für osthessen-tv.de stellt der Germanist neuerdings regelmäßig automobile Neuheiten in Filmbeiträgen vor.  +++