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Schock nach Angriff auf Israel - Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Victor R. Caivano

TEL-AVIV/FULDA Gespräch in der Warzone – Teil 2

"Morgen ist das noch nicht vorbei" - Schock nach Angriff auf Israel

12.10.23 - In Deutschland sind die Sicherheitsvorkehrungen an sämtlichen jüdischen Einrichtungen verstärkt worden. Immer, wenn ich bei der Jüdischen Gemeinde bin, schlucke ich, wenn ich das Polizeifahrzeug sehe, genauso darüber, dass alle Fenster inzwischen mit Panzerglas ausgestattet sind. Was für eine perverse Situation!

Antisemitismus – wieder salonfähig?

Ich telefoniere kurz mit Bella Gusman vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde, einiges ist aus Sorge abgesagt. Zum Schluss unseres Gesprächs sagt sie: "Es ist immer so. Wenn etwas passiert, sind immer alle Juden schuld." Mir bleibt das Wort im Hals stecken. Und mir wird klar, wie selbstreferentiell die deutsche Gefühlslage im Moment ist.

Dann höre ich, dass mitten in Berlin Menschen den Terrorangriff feiern und auf der Straße Süßigkeiten an Kinder verteilen. Mir wird schlecht bei der Vorstellung. Was für ein Mensch muss man sein, wenn man über Terrorakte und unsägliche Grausamkeit jubelt? Die radikale Gruppe Samidoun steckt hinter dieser Aktion, sie gehört ins linksextreme Spektrum der Palästinenser-Organisation PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas). Widerlich, entsetzlich – und nichts, was ein Rechtsstaat akzeptieren kann. Ich schildere das Gaby, und sie schreibt:

"Deutschland: Wirklich pervers. Immerhin löst man unangemeldete anti-israelische Demonstrationen auf. Ich schätze, aber nur so lange, wie Israel mit geballter Technik nicht in Gaza einmarschiert, da werden die Sicherheitsvorkehrungen erst recht notwendig. Bella Gusmans Analyse ist korrekt."

Meine Gedanken gehen zur unsäglichen Documenta dieses Jahres zurück, auf der antisemitische Werke von "People’s Justice" gezeigt wurden und es seitens der Organisation oder der Kulturstaatsministerin Claudia Roth weder deutliche Ansagen noch eine kritische Distanzierung gab. Und was dann kam, war zu wenig, zu spät und nicht klar genug. Ich denke an Herrn Aiwangers unsäglichen Umgang mit seinem antisemitischen Flugblatt aus Jugendtagen. Ich denke an das gerade bei Rowohlt veröffentlichte Buch "Mein erstaunlicher Hang zu Fehltritten" des Italieners Bernardo Zannoni, das vor antisemitischen Stereotypen nur so strotzt.

Als die jüdische Zeitschrift "Shalom" darauf hinwies, reagierte Zannoni mit unverbindlichem "das war nicht meine Absicht, das tut mir leid". Vermutlich stimmt sogar, was er sagt, und er hat das aus Unwissenheit so geschrieben. Das ist allerdings keine Erleichterung! Denn es bedeutet, dass sich antisemitische Stereotype wieder fest verwurzeln oder – noch schlimmer – in der Gesellschaft wieder für normal gehalten werden. Rowohlt hat die deutsche Ausgabe zwar vom Schlimmsten befreit, ohne jedoch in angemessener Form editorisch darauf hinzuweisen. Totschweigen statt Diskurs, ich finde, gerade bei diesem Thema ist das kein guter Weg. Derweil heimst der Autor Buchpreis auf Buchpreis ein.

Einmarsch mit Bodentruppen?

Ich weiß nicht, ob es ein Wort gibt, dass im Krieg mehr erschüttern kann als dieses – Bodentruppen. Denn das heißt: Blutzoll, große Verluste, Vergleiche mit dem Krieg der Ukraine gegen Russland drängen sich auf. Gaby schreibt:

"Was mit dem Einmarsch kommt, wird noch furchtbarer als das, was wir gerade erleben. Nicht ohne Grund waren die Militäraktionen der vergangenen Jahre ohne Boden-Invasion. Diese Art von Häuserkampf kann man nicht trainieren, man kann sich nicht mal darauf einstellen. Dazu die Situation mit den Entführten. Ich glaube nicht, dass sie als Verhandlungsmasse zum Gefangenenaustausch genutzt werden. Sie werden als Fallen eingesetzt. Propagandistisch ausgenutzt (und misshandelt) werden sie schon jetzt. Danke nochmal :), und herzliche Grüße!"

Die israelische Regierung beschließt, den Gazastreifen komplett abzuriegeln. 300.000 Reservisten sind einberufen worden. Angeblich wurden alle Grenzorte befreit. Wieder schreibe ich an Gaby:

(Ich): Ich lese, dass die Raketenangriffe weitergehen. Ihr seid wohlauf – so wohlauf man halt sein kann? Euer Haus steht? Sie antwortet mir:

"Ja, unser Haus steht. Auch das Viertel und die Stadt, die deutlich seltener als Tel Aviv und die Vorstädte beschossen werden. Allerdings soll 10 km von hier heute Mittag eine Hühnerfarm in die Luft geflogen sein. Das war wohl einer der kräftigeren Einschläge, den wir gehört haben.

Zum Raketenabwehr-Donner und den Fluggeräuschen ist gerade der Gewitterdonner hinzugekommen. Früher Starkregen dieses Jahr, eigentlich ein Segen in unseren Gefilden, aber momentan verstärkt es die düstere Stimmung. Auch an der Nordgrenze ist es unruhig. Wenigstens sind die Kinder gesund. David und Ori berichten von der unglaublichen Unterstützung, die ihre Einheiten durch die Bevölkerung erfahren – man spendet Essen, Zahnbürsten, Socken. Unserer Tochter Talja ist es endlich gelungen, einen Rückflug aus den USA zu finden, über Athen, von wo morgen Abend eine El Al-Maschine nach Tel Aviv starten soll (sofern der Raketenbeschuss das zulässt)."

Flugplanung nach Raketenbeschuss. Das ist uns kaum vorstellbar – und wieder denke ich, wie gut geht es uns in Deutschland, und wie wenig wissen wir es oft zu schätzen, weil wir uns so auf die Defizite fokussieren.

Morgen ist das noch nicht vorbei

Auch in Deutschland wird immer wieder betont, wie sehr dieses innerlich gerade so zerrissene Land Israel zusammenrückt. Die Streiks der letzten Monate gegen die geplante Justizreform, das Aufbegehren gegen Netanyahu und einige seiner Minister, all das ist in diesen Tagen des Grauens in den Hintergrund gerückt. Denn jetzt geht es um ganz Israel, um jeden Israeli, egal, wo er oder sie sich politisch verortet. Hat die Hamas sich diesbezüglich ähnlich verkalkuliert wie Putin in Sachen Ukrainekrieg? Der hat (fast alle) Europäer vereint, die Terrorangriffe der Hamas, die Israelis.

Allmählich wird auch immer klarer, dass dieser Krieg wohl keine Sache von wenigen Tagen sein wird. Gaby schreibt:

 "Als seien das zu viele gute Nachrichten, ging gerade der Aufruf der "Homefront" ein: die Bevölkerung soll sich mit Wasservorräten und Nahrungsmitteln für 72 Stunden ausrüsten. Mit anderen Worten: Wenn wir morgen früh aufwachen, ist das Ganze noch nicht vorbei."

(Jutta Hamberger und Gaby Goldberg)+++

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