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Heinz Josef Algermissen: Der ehemalige Bischof hat endlich wieder Zeit zu lesen
04.08.20 - "Für solche Dinge habe ich jetzt endlich Zeit", sagt Heinz Josef Algermissen und legt ein 1.200 Seiten dickes Buch auf den großen Tisch in seinem Wohn- und Esszimmer. Es handelt sich um eine Biographie über Papst Benedikt und einige der Seiten zieren Markierungen und Notizen. "Ich bin sehr dankbar, dass ich es gelesen habe. Zu meiner Zeit als Bischof von Fulda hätte ich dafür niemals die Zeit gefunden", sagt der heute 77-Jährige.
Nach 17 Jahren als Bischof von Fulda nahm Papst Franziskus im Juni vor zwei Jahren das Rücktrittsgesuch von Algermissen an, das er anlässlich seines 75. Geburtstags gestellt hatte. "Aber Bischof bleibt man ein Leben lang." Verändert hat sich für Algermissen dennoch eine Menge: etwa sein Wohnsitz. Von einem großen Bischofshaus mit rund 900 Quadratmetern Gesamtflächeist er mit seiner Emeritierung vor zwei Jahren auf die andere Straßenseite in eine 120 Quadratmeter große Wohnung gezogen. "Das ist genug Platz für michallein", sagt Algermissen. Früher wurde in dem Haus, in dem er nun lebt, Wein verkauft. "Als ich vor zwei Jahren zurückgetreten bin, wurde mir angeboten, dass das Haus umgebaut werde, wenn ich denn in Fulda bleiben will."
Dass er das wollte, war keine Frage für ihn. In Fulda fühlt sich der in der Nähe von Trier Geborene zuhause. Hier hat er 19 Jahre seines Lebens verbracht, nachdem er aus Paderborn, wo er von seinem vierten Lebensjahr an lebte, herkam. "Und hier in meinem neuen Zuhause habe ich zum ersten Mal nach langer Zeit wieder richtige Nachbarn", sagt er und zeigt auf das Haus gegenüber, in dem fünf Parteien und auch einige Kinder leben.
Man merkt, dass er sich in seiner Wohnung, deren Herzstück die private Kapelle ist und in der er zur Ruhe und zum Gebet findet, wohl fühlt. "Und wirklich allein bin ich eigentlich selten", sagt er. Eigentlich. Denn die Zeit von Mitte März bis Pfingsten habe ihm doch sehr zu schaffen gemacht. "Von 10 bis 14 Uhr war meine Haushälterin da. Und danach spürte ich die Klausur aufgrund der Corona-Pandemie, in der ich keinen Besuch empfangen und keine gemeinsamen Gottesdienste feiern konnte." Am schlimmsten sei für ihn gewesen, dass die österliche Feier nicht in einer Gemeinde stattfinden konnte. "Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben in der österlichen Zeit kein Osterlied gesungen."
Doch allmählich kehrt auch in das kirchliche Leben wieder eine relative Normalität ein, und Algermissen erhält häufig Anrufe und Anfragen, ob er Messfeiern in umliegenden Gemeinden übernehmen kann, weil ein Priester krankgeworden oder im Urlaub sei. "Im Umkreis Fulda mache ich das sehr gern", sagt Algermissen, für den es eine ganz neue Erfahrung ist, nicht nur große und sehr gut besuchte Gottesdienste zu feiern, sondern auch mal weniger besuchte auf dem Dorf. "Diese Erfahrung habe ich in meiner Zeit als Bischof von Fulda weniger gekannt."
Die kleineren Gottesdienste mit weniger Besuchern seien für ihn jedoch "beglückend". "Nicht selten kommt es vor, dass nach den Gottesdiensten Menschen auf mich warten und sich dafür bedanken, dass ich gekommen bin", sagt er lächelnd. Das Übernehmen von Gemeindemessen ist das eine, das er nach seinem Rücktritt als Bischof von Fulda tut. Das andere ist die geistliche Begleitung in persönlichen Gesprächen, um die er oft gebeten wird. "Einige Menschen kommen alle vier bis sechs Wochen zu mir, um ein persönliches Gespräch zu führen, das nicht selten in einem Beichtprozess mündet", so der ehemalige Bischof von Fulda, der auf die 17 Jahre mit ein bisschen Stolz zurückblickt. Auch wenn er einige Male angeeckt ist mit seinen Aussagen, etwa über die gleichgeschlechtliche Ehe oder Abtreibungen. "Wenn das nicht so gewesen wäre, müsste ich mir in meinem Amt Gedanken machen. Ich war bemüht, niemanden zu verletzen und auf die Menschen zuzugehen. Doch die Botschaft des Evangeliums kennt keine faulen Kompromisse. Und mit einer klaren Äußerung eckt man eben auch an", sagt er.
"Ich habe versucht, das Bistum Fulda auf die Herausforderungen einer neuen Zeit vorzubereiten", so Algermissen. Und das, obwohl er nicht selten Äußerungen wie "Wir brauchen uns doch nicht zu ändern" gehört habe. Doch, fand er. "Denn Gott erwartet, dass wir die Zeichen der Zeit erkennen. Meine Aufgabe als Bischof ist es, diesen Weg, wenn er als richtig erkannt wird, dann auch zu gehen." Konkret meint er damit die Projekte "Pastoralverbünde" sowie "Bistum Fulda auf dem Weg in das Jahr 2030", die er angestoßen hat. Auf die Frage, ob er heute irgendetwas anders machen würde, hält Algermissen kurz inne und sagt dann: "Ja, ich würde noch mehr darum kämpfen, dass ich als Bischof nicht im bürokratischen Alltag aufgerieben werde." Dass er das inzwischen hinter sich gelassen hat, macht ihn froh: "Indes habe ich heute die Freiheit, viel mehr von dem zu tun, was ich für wichtig halte." Und das ganz ohne Bürokratie. (Suria Reiche) +++