Die Nationalmannschaft der Iberer hat zum vierten Mal die Fußball-Europameisterschaft gewonnen. - Alle Fotos: Martin Engel

FULDA EM-Endspiel Spanien - England 2:1 (0:0)

Spanien ist zum vierten Mal Fußball-Europameister - Oyarzabals Siegtor

15.07.24 - Es ist 22.55 Uhr in Berlin - und ganz Spanien rastet aus. Die Nationalmannschaft der Iberer hat zum vierten Mal die Fußball-Europameisterschaft gewonnen. Im Endspiel rang sie die Vertretung Englands mit 2:1 (0:0) nieder. Nico Williams traf zum 1:0, der eingewechselte Cole Palmer glich aus - und vier Minuten vor Ende der regulären Spielzeit glückte dem ebenfalls ins Spiel gekommenen Miguel Oyarzabal das Siegtor. Sieben Spiele, sieben Siege - das gab es bei solch einem Turnier noch nie. Und die beste Mannschaft der EM erntete ihren Lohn.

Glaubt man allenthalben den Prognosen, jedenfalls denen in Deutschland, setzt sich der spanische Fußball durch. Natürlich ist es der beste der EM. Positionsspiel, Pressing, Gegenpressing, fußballerische Lösungen in jeder Situation - das ist klasse. Die Substanz ist bestechend. Von Mittelfeld und Angriff müsste man alle sechs Spieler nennen, die bei der EM auf sich aufmerksam gemacht haben: von Rodri über Fabian Ruiz und Pedri, der gegen Deutschland verletzungsbedingt ausschied und vom brillanten Leipziger Olmo ersetzt wurde - bis hin zur jungen Flügel-Glitzerzange Williams und Yamal (die beide am Tag vor dem Finale beziehungsweise am Finaltag selbst Geburtstag feierten), oder aber Spitze Morata.

Niemand aber sollte die Engländer außen vor lassen. Stark im Gegenpressing und der Rückwärtsbewegung, stark im Eins-gegen-eins in Mittelfeld und Abwehr, muss man die sie erst einmal knacken. Wenn auch das Spiel mit Ball in der Gruppenphase hakte - in der K.o.Phase steigerte sich das Team diesbezüglich. Und die erste Halbzeit im Spiel gegen die Niederlande ließ manche aufhorchen, besonders Man-City-Spieler Phil Foden beeindruckte da in den offensiven Halbräumen. England steigerte sich von Spiel zu Spiel (wenn auch allmählich) und trat nicht so spektakulär wie Spanien auf. Dennoch spricht alles für ein 50:50-Spiel, in dem England durchaus Chancen hat. Mehr als die eines Außenseiters - wie die bisweilen respektlose Vorbericht-Erstattung Glauben macht.

Bei den Aufstellungen gibt's nichts Überraschendes. Einzige, aber erwartbare Änderung: Bei den Three Lions, die nach dem WM-Gewinn von 1966 nach 58 Jahren wieder einmal einen kontinentalen Titel holen können, rückt der physisch robuste und offensivstarke Luke Shaw ins Team. Spanien tritt in EM-gewohnter Formation an. England bietet der spanischen Wunder-Flügelzange also erwartungsgemäß die Stirn: Walker gegen Williams, Shaw gegen Yamal.

Farbenfrohe Abschlussfeier. Deutschland ist glänzender Gastgeber

Ein Satz zur Abschlussfeier: Bunt ist sie. Recht farbenfroh. So, wie die gesamte EM verlief. Bei der Deutschland ein glänzender Gastgeber war - und die Fans aller Teams herzerfrischend mitmachten. Nur die Pfiffe gegen den Spanier Cucurella im Halbfinale störten den Rhythmus.

Also: die furia roja Spaniens oder die Three Lions aus England - wer macht's? Der Italiener Giorgio Chiellini bringt den Pott herein - wer hätte den italienischen Innenverteidiger nicht gern in seinem Team?

Es ist so weit. Endlich. Fußball zählt. Endlich. Vergessen wir das ganze Gequatsche im Vorfeld. Um 21.02 Uhr geht's los. England stößt an. Wie erwartet, hält das Team von der Insel anfangs mit Zweikampfstärke dagegen. Indessen ist es ein Genuss, dem Passspiel der Spanier zuzusehen. Großes fußballerisches Kino der Spanier: Williams und Fabian Ruiz kombinieren halbrechts sehenswert, England verteidigt zäh - Rodri aber ist beim Gegenpressing da. Darf man klatschen?

Starkes spanisches Gegenpressing - starkes Rückzugsverhalten Englands

Auch gut. Fabian Ruiz schickt Williams auf links, der geht Eins gegen eins gegen Walker - und der rettet im letzten Moment (12.). Wenig später Englands erste Chance: Bellingham raus auf Saka, Walker hinterläuft, straffe Eingabe - gerettet. Das Team von der Insel offenbart Lücken in den defensiven Halbräumen - vor allem rechts; Walker verteidigt hier sehr tief gegen Williams. Spanien indessen sollte schnelles Spiel des Kontrahenten, der fix umschaltet, im Mittelfeld nicht zulassen. Deutsches Publikum lernt es nicht: Wieder gibt es Pfiffe gegen den spanischen Linksverteidiger Cucurella.

Das Spiel ist intensiv, tempogeladen, von Zweikämpfen geprägt - und beide Teams beharken sich so vehement, dass nach knapp 30 Minuten weder Spanien noch England aufs Tor geschossen haben. Zarte Abschlüsse prägen die Szenerie.

Spanien hat's erwartungsgemäß schwer, sich in diesem Abnutzungskampf offensive Vorteile zu erspielen - England ist, wie bei seinen EM-Spielen zuvor, stark im Rückzugsverhalten, verdichtet gut das Zentrum und schließt, bis auf halbrechts, gut die defensiven Räume.

Die erste Hälfte nähert sich ihrem Ende. Das Spiel geht nicht als eines der spektakulärsten die EM-Geschichte ein. Es lebt von seiner Spannung - und dem taktischen Aspekt, den Gegner nicht ins Spiel kommen zu lassen. Das ist durchaus etwas für Fußball-Liebhaber. Da ist er doch noch, der erste Torschuss: für England. Aber nicht sonderlich gefährlich: ein Freistoß gelangt nach Kopfball-Verlängerung zu Phil Foden - dessen Abschluss aus nicht eben günstigem Winkel aber ist zu dünn.

22.06 Uhr. Es geht weiter. Mit einem Wechsel auf spanischer Seite. Zubimendi kommt für Rodri.

Und es geht los mit einem Paukenschlag. Spanien geht in Führung. Der Angriff läuft über rechts - und erreicht Yamal im Halbraum. Der treibt die Kugel und spielt Williams an, der sicher und flach abschließt. England hat nach wenigen Sekunden im zweiten Abschnitt gepennt und den linken defensiven Halbraum nicht geschlossen. Das war taktisch gar nicht gut. Beim nächsten Versuch lässt Dani Olmo das 2:0 liegen, sein Linksschuss aus aussichtsreicher Position geht vorbei.

Minute 55: Morata mit dem 2:0? Stones rettet vor der Linie. Sekunden später rauscht Williams' Flachschuss knapp vorbei. England muss aufpassen - nicht nur, um nicht das zweite Gegentor zu kriegen, es muss auch reagieren. Und die Three Lions kommen. Vor allem, als Bellinghams kerniger Linksschuss nicht weit vorbeigeht (64). Na klar öffnen sich jetzt Räume. Yamal hat das 2:0 auf dem Fuß, doch Pickford wehrt seinen Linksschuss ab (66.).

Spanien ist obenauf, gewinnt auch offensive Bälle - auch weil England mehr riskieren muss. Englands Statik hat sich etwas geändert nach der Auswechslung des Kapitäns Harry Kane: 4-4-2 heißt es jetzt. Und der Mut wird belohnt - mit dem Asugleich. Dieses Mal verliert Spanien den Ball zu leicht, was bei diesem Spielstand nicht passieren darf - und England macht es ganz schnell. Die Kugel kommt zu Saka, der spielt Bellingham an, wenn auch etwas unpräzise, doch der legt den Ball zurück - und der gerade erst eingewechselte Cole Palmer trifft mit platziertem Links-Distanzschuss zum 1:1.

Wieder hat Yamal das zweite Tor auf dem Fuß, wieder ist sein Abschluss zu dünn, wieder reagiert Englands Keeper Pickford klasse. Ein tolles Zusammenspiel zwischen Williams und Olmo - eines zum Genießen - war vorausgegangen. Die Spannung steigt und kriecht unter die Haut. Die Verlängerung ist in Sicht.

Was zaubert denn Spanien da? ist es das 2:1? Ist es die Entscheidung in Minute 86? Ein toll herausgespieltes Tor: Olmo spielt Oyarzabal an im Zentrum, der leitet direkt weiter raus auf Cucurella, der gibt direkt nach innen - und Oyarzabal vollendet zum 2:1. Es scheint, als sie dies das Tor zum Gewinn der Europameisterschaft für die Spanier. Es war ein Tor wie ein fußballerisches Gemälde.

Doch das war's noch nicht. Ecke Palmer, zweimal köpft Englands Innenverteidiger Stones - und zweimal rettet Spanien, zuletzt Olmo, auf der Linie. Dramatik zieht ein in Berlin. Doch es passiert nichts mehr danach. Der Rest ist Jubel. Es ist 22.55 Uhr. Und die spanische Fußball-Nationalmannschaft zum vierten Mal Europameister. Absolut verdient. (wk)


Spanien:
Unai Simon - Carvajal, Le Normand (83. Nacho), Laporte, Cucurella - Rodri (46. Zubimendi), Fabian Ruiz, Olmo - Yamal (87.Merino), Morata (67. Oyarzabal), Williams

England: Pickford - Walker, Stones, Guehi , Shaw - Rice, Mainoo (74. Palmer), Saka - Bellingham, Foden - Kane (61. Watkins)

Schiedsrichter: Francois Letexier (Frankreich)

Tore: 1:0 Nico Williams (46.), 1:1 Cole Palmer (77.), 2:1 Miguel Oyarzabal (86.)

Zuschauer: 71.000 in Berlin +++

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