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Görig zur Bundesnotbremse: "Vom Landes-Klein-Klein zum Bundes-Klein-Klein"
29.04.21 - Liebe Leserin, lieber Leser,
seit gut einer Woche ist die Änderung des Bundes-Infektionsschutzgesetzes im Bundestag beschlossene Sache. Sie sollte das vermeintliche Klein-Klein zwischen Aachen und Zwickau, zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen beenden und einheitliche Regeln schaffen. Doch schon die ersten Tage im Notbrems-Modus zeigen, dass die Bundes-Regelungen zum Infektionsschutz für ein gehöriges Maß an Verwirrung sorgen. Kontaktbeschränkungen, Öffnungsszenarien für den Einzelhandel sowie Schul- und Kita-Betreuung sind nur einige der Bereiche, die von den neuen Regeln beeinflusst werden.
Bis zu einer Sieben-Tages-Inzidenz von 100 regelt nach wie vor das Land Hessen – wird diese Marke an drei aufeinanderfolgenden Tagen gerissen, greift das Bundesgesetz. Und definiert mit 100, 150 und 165 weitere Richtwerte, die entsprechende Verschärfungen nach sich ziehen. Es sei denn, die Grenzwerte werden an fünf aufeinanderfolgenden Tagen unterschritten. Dann können ab dem insgesamt siebten Tag Lockerungen in Kraft treten. Durchaus denkbar, dass der viel zitierte Maßnahmen-Flickenteppich nun endgültig zur Pandemie-Normalität wird. Denn pendelt sich beispielsweise die Sieben-Tages-Inzidenz im Vogelsbergkreis für eine Woche unter 100 ein, könnten mit der Bundes-Notbremse in Nachbarkreisen mit höherer Inzidenz weitaus schärfere Regeln gelten. Ausgangssperren in Mittelhessen und Shoppingtourismus in Osthessen könnten die Folge sein.
Auch die Situation für Eltern, Kinder, Schüler:innen sowie Schulen und Kitas stellt sich ungewiss dar. Denn ab einer Inzidenz über 165 an drei aufeinanderfolgenden Tagen müssen Schulen schließen und die Regelbetreuung in Kitas eingestellt werden – und das könnte im schlechtesten Fall im Tages- oder Wochenrhythmus wechseln. Denn oft reichen in Landkreisen schon verhältnismäßig wenige Fälle, um die Inzidenz in die Höhe schnellen zu lassen. Enge Inzidenzkorridore werden dann zum Problem.
Ziel der Bundesregierung war es, mit Klarheit durchregieren zu können, konsequent die Corona-Pandemie einzudämmen und das Klein-Klein der Länder aufzulösen. Doch ließ die Gesetzesänderung wochenlang auf sich warten – nur um dann an vielen Stellen vage und nicht trennscharf zu bleiben. Viele der Regelungen wären, mit der Kenntnis der Besonderheiten und Gegebenheiten vor Ort, besser auf Landes- und Kreisebene aufgehoben gewesen. Kurze Wege, enge Abstimmung – auch über die kommunalen Spitzenverbände – bieten Potenzial für schnelle Lösungen mit Augenmaß. Möglichkeiten, die nun oft ungenutzt bleiben werden.
Es ist abzuwarten, was sich rund um die "Bundes-Notbremse" in den kommenden Wochen entwickelt. Bis dahin müssen wir weiter mit Hochdruck daran arbeiten, möglichst vielen ein Angebot für die Impfung zu unterbreiten, um so Schritt für Schritt unsere Mitmenschen und uns selbst zu schützen. +++
Ihr Landrat Manfred Görig