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Vogelsberg zwischen Sorge und Zuversicht - Vermehrter Zuzug aus Rhein-Main
09.05.22 - Bilanz und Ausblick, Risiken und Chancen des Vogelsbergkreises waren die aktuellen Themen beim Pressegespräch im Landratsamt in Lauterbach. Landrat Manfred Görig (SPD) und der Erste Kreisbeigeordnete Dr. Jens Mischak (CDU) bilanzierten die Entwicklung der letzten Monate, die mit weiter explosionsartig steigenden Kosten vor allem für Energie und Bauvorhaben, aber auch Lieferengpässen bei Baumaterialien ernste Sorgen verursachen. "Die Lage ist wirklich schwierig", konstatiert Landrat Görig angesichts der enormen Kostensteigerungen bei allen laufenden Bauprojekten im Kreisgebiet.
Es klemmt es nicht nur bei der Beschaffung von Baumaterialien aller Art, es fehlt auch an Handwerkern und anderem Fachpersonal. Die dringend notwendigen Sanierungs- und Unterhaltungsmaßnahmen an den 40 Schulgebäuden des Kreises schlagen haushaltstechnisch heftig zu Buche, wichtige Klimaschutz- und Energiesparprojekte wie Dämmung, Fensteraustausch oder Heizungsmodernisierungen verzögern sich und werden noch teurer. "Wegen fehlender Baustoffe wie zum Beispiel beim Holz können die Firmen derzeit kaum verbindliche Angebote abgeben, keine seriösen Preisangaben mehr machen", erklärt der Landrat das Dilemma.
Wie sehr sich die Preissteigerungen auswirken, macht Landrat Manfred Görig an einigen Beispielen deutlich: So war die Oberwaldschule in Grebenhain zunächst mit 15 Millionen Euro kalkuliert, nach aktueller Preislage werden für die Baumaßnahme nun bereits 21 Millionen veranschlagt. Auch die Sanierung des Werkstattgebäudes der Vogelsbergschule in Lauterbach wird teurer, statt 2,7 Millionen muss nun von 3,7 Millionen Euro ausgegangen werden. "Von 2015 bis heute sind die Baupreise um satte 40 Prozent gestiegen", sagt der Landrat und verweist auf den Neubau des Betreuungsgebäudes an der Gerhart-Hauptmann-Schule in Alsfeld. Ein baugleiches Modell war vor sieben Jahren in Schlitz entstanden. Kostenpunkt damals: 1,5 Millionen Euro. Für Alsfeld war man bei der Kalkulation im vergangenen Jahr schon einmal von 1,8 Millionen ausgegangen. Aber die reichen bei weitem nicht aus. Nur zwölf Monate später weiß man, dass der Bau rund 2,1 Millionen kosten wird.
Schon beim geplanten Neubau des Kreiskrankenhauses in Alsfeld hatten sich die avisierten Baukosten erheblich erhöht, so dass der Kreis auf die Bremse treten musste und eine dem Haushaltsvolumen angemessene "Hybridlösung" anstrebt, nämlich einen Neubau mit dem jetzigen Baubestand zu kombinieren. "Wir sind nun mal gesetzlich für die medizinische Grundversorgung unserer Bevölkerung zuständig, beschränken uns aber solide auf das Machbare", so der Landrat pragmatisch.
Dr. Jens Mischak: "Der Vogelsbergkreis wächst durch Zuzug aus den Ballungsgebieten"
Doch es gibt nicht nur Grund für Sorgenfalten in der Vogelsberger Kommunalpolitik. "Wir verzeichnen eine erfreuliche Zunahme an privaten Baumaßnahmen bei uns: so hat sich die Zahl der Baugenehmigungen zwischen 2016 und 2021 verdoppelt", bilanziert Dr. Mischak. Außer den klassischen Einfamilienhäusern würden vor allem kleine barrierefreie Wohneinheiten für Senioren und mobilitätseingeschränkte Personen nachgefragt. Auch gewerbliche Baumaßnahmen sind um rund 30 Prozent gestiegen und An- und Umbaumaßnahmen von leerstehenden Gebäuden wie Scheunen, Läden oder Gaststätten boomten, so dass eine erfreuliche Abnahme des Gebäudeleerstands zu erkennen sei.
"Die Leute ziehen die Konsequenz aus der Mietpreisentwicklung, aber auch der Enge der Großstädte - es hat ein spürbares Umdenken und ein Trend aufs Land eingesetzt." Gerade für Freiberufler, die auch im Homeoffice arbeiten können, sei der Erwerb von historischem Baubestand und dessen individuelle Gestaltung attraktiv. Dafür gebe es außerdem noch Fördermittel aus der Denkmalpflege und der Dorferneuerung und stütze auch das regionale Handwerk. "Für Familien mit Kindern spiele noch die Überlegung, dass die Klassen in unseren Schulen wesentlich kleiner sind, auch eine positive Rolle", so der Landrat. "Das alles führt dazu, dass wir hier im Vogelsberg jedes Jahr einen Zuzug in der Größenordnung von zwei Dörfern haben!" Grund genug, trotz aller berechtigter Sorge gemeinsam die Weichen für eine lebenswerte Zukunft in der Vulkanregion zu stellen. (Carla Ihle-Becker)+++