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Jürgen Stehr im Portrait: Tüftler, vielfacher Erfinder, Top-1000-Unternehmer
20.03.23 - Der amerikanische Traum, wer kennt ihn nicht: vom Tellerwäscher zum Millionär. Die Vogelsberger Version in der Realität: vom Schwalmtal-Storndorfer Landmaschinenmechaniker zum megaerfolgreichen Unternehmer, der es in vier Jahrzehnten als Spezial-Baumaschinenhersteller zu den erfolgreichsten 1.000 mittelständischen Unternehmen Deutschlands gebracht hat. Name: Jürgen Stehr. Erfinder von (bisher) 86 zum Teil europaweit patentierten Baumaschinen. Ein Mann zum Reiben, mit Ecken und Kanten, er mag keinen großen Palaver. Alter: 74. Ruhestand? Nicht in Sicht! Ein Porträt des Ur-Storndorfer Tüftlers, Erfinders und Unternehmers.
Wir treffen den Boss des nach eigenen Angaben größten Schwalmtaler Arbeitgeber- und Steuerzahler-Betriebes zum OSTHESSEN|NEWS-Gesprächstermin in seiner Firma in Storndorf. Jürgen Stehr will nicht Everbody’s Darling sein. Gerechtigkeit ist ihm wichtig. "Wer Hilfe braucht und korrekt ist, hat große Chancen, sie von mir zu bekommen", sagt er. "Ich habe nie vergessen, wo und was meine Wurzeln sind. Ich habe mir alles aus dem Nichts aufgebaut." Er verlangt viel von seinen Leuten, aber: "Mein Erfolg, der Erfolg der Firma Stehr, war und ist nur möglich durch meine Mitarbeiter in allen Ebenen des Unternehmens. Wenn es gilt, müssen alle flexibel und belastbar sein. Und sie sind es, so wie ich es auch vorlebe. Dafür bin ich sehr dankbar, und zwar nicht nur mit Worten. So erhalten alle die Möglichkeit zum Bike-Leasing. Außerdem war es für mich keine Frage, dass Ende 2022 alle Mitarbeiter den Höchstbetrag von 3.000 Euro Inflationsausgleichsprämie erhalten. Das haben vielleicht zehn Unternehmen im Vogelsberg gemacht, schätze ich." Ob es wirklich so viele waren – wir wissen es nicht.
Wie kam es zum Erfolg?
Nach seiner Ausbildung zum Landmaschinenmechaniker zog es ihn raus aus Storndorf, erst nach Gießen, dann in die Welt: für einen Baumaschinenhersteller war er ab dem 20. Lebensjahr sehr viel in Afrika und den arabischen Ländern unterwegs. Anfang der 80er Jahre kehrte er nach Schwalmtal zurück, mit reichlich Berufs- und Lebenserfahrung, aber noch mehr Ideen und Mut. 1983 startete der Handel mit Minibaggern, die zunächst noch exotisch waren und belächelt wurden. Ein Meilenstein war 1989 die erste patentierte Erfindung, eine Kanaldeckelfräse mit konischer Auflage. Bodenstabilisierungsgeräte wurden dann zu einer fortgesetzten Erfolgsgeschichte. Das Besondere dabei: sie wurden von Stehr als Traktoranbaugeräte konzipiert. Traktoren im Straßen- und Tiefbau – Stehr erkannte das darin liegende Potential als einer der ersten. Besonders stolz ist er auf seinen Stehr-Plattenverdichter: vorher wurden durch den Verdichtungsvorgang selbst anliegende Gebäude ungewollt zur Vibration gebracht und somit unnötig Energie verbraucht. Die zum Teil beträchtlichen Kollateralschäden wurden durch seine Erfindung minimiert. Der halbe Energieeinsatz bei doppelter Leistung – wann war eine Innovation jemals zeitgemäßer?Jürgen Stehr ist auch bei der Präsentation innovativ. "Für die BAUMA, der Baumaschinenmesse in München, haben wir ein altes Haus ab- und dort extra für die Messe wieder aufgebaut. Alle sagten "Der Stehr ist doch verrückt!" – aber wir waren DAS Gesprächsthema und die Kunden kamen zu uns. Ziel erreicht!" Stehr weiß, dass bewegte Bilder, die seine Maschinen bei der Arbeit zeigen, mehr sagen als tausend Worte. Diesen Effekt nutzt er und überlässt natürlich auch hier nichts dem Zufall: Mit über 350 eigenen, von Stehr TV professionell produzierten, mehrsprachigen Filmen erreichte man über YouTube Kunden auf der ganzen Welt: Das Zählwerk steht bei einer Gesamtsumme von ca. 5,5 Millionen. Hut ab!
Tüfteln, Erfinden und Patentieren ist das eine - zeitgemäße und richtungsweisende Erfindungen am Markt zu präsentieren, das ist das andere. Stehr hat für beides ein Händchen und einen Instinkt.
Die Treppe und die halbe Stufenzahl hinab zum Ausgang…
Stehr spricht und berichtet ruhig und sachlich, doch man ahnt, dass er auch anders kann, wenn es ihm nötig erscheint. Beispiel gefällig? Er schildert eine lange zurückliegende Begebenheit, als er noch nicht der "große Stehr" war, sondern sich erst noch einen Namen machen musste und Kapital für eine frühe Serienfertigung brauchte. So stellte er seine Erfindung einem Vertreter einer großen deutschen Bank vor. Dieser war mit seinem abweisenden Kommentar "Wenn das so funktionieren würde, hätten die großen und etablierten Hersteller das längst selbst erfunden" genau beim Richtigen. "Normalerweise hat die Treppe zum Ausgang acht Stufen, für Sie aber nur vier. Raus, aber schnell!" Den Deal machte dann eben eine andere Bank, das erfundene Gerät schlug ein und wurde elementarer Teil der Stehr-Erfolgsstory.Jürgen Stehr verkörpert den "Fels in der Brandung". Er unternimmt aber nicht den Versuch, unverwundbar zu wirken. Man ahnt, dass sich unter der rauen Schale ein Kern befindet, der zumindest facettenreich ist. Und ganz sicher nicht nur hart.
Stehr, die gute Tat und der Ruhestand
"Ich war selbst hier in meinem Heimatort Hand- und Fußballer und weiß, wie wichtig die örtlichen Vereine auch und gerade heute für unsere Gesellschaft sind. Daher unterstütze ich sie auch immer wieder gerne. Ein besonderes Anliegen ist mir die Kinderkrebsstation Gießen, die ich gerne bedacht habe." Man sieht und spürt ihm seine stolzen 74 Lebensjahre nicht an, aber man kommt nicht umhin, das Thema "Ruhestand" anzusprechen. Seine Antwort kommt spontan und wirkt sehr offen und ehrlich: "Wenn mal der Deckel drauf ist, dann ist Ruhestand!" Zwei Töchter und ein Schwiegersohn sind im Betrieb maßgeblich tätig. Wo STEHR draufsteht, wird also auch langfristig STEHR drin sein. Ein Umstand, der ihm wichtig ist.Stehr-Maschinen und einige Aha-Erlebnisse
Wir machen uns auf den Weg zu Stehrs geschäftlichen Prunkstücken, seinen von ihm erfundenen Maschinen. Seinen Stolz sieht man ihm an, wenn er neben seinen Errungenschaften steht. Alles andere wäre auch unnatürlich. Einige Aha-Erlebnisse warten noch in der finalen Phase des Ortstermins. Das Auge des Besuchers bleibt im Foyer an einer Spielzeuglandschaft im Miniaturformat hängen. Ist das nicht…? Doch, das ist das nachgebaute Firmengelände, und vor den Gebäuden stehen originalgetreue Traktoren und Stehr-Maschinen aus Spritzguss – natürlich im Stehr-Layout, weiß mit blauem Logo. Wir gehen hinüber zu einem anderen Gebäude, seiner persönlichen Schatzkammer. Die Schätzchen sind Autos, haben vier Räder und viel Power. Manche sind zum "normalen" Fahren vorgesehen, manche von ihnen mögen Kurven nur "quer" driftend. Rallye-Rennsport ist eine innige Leidenschaft von ihm. "So habe ich viele Reisen unternommen, ich habe dadurch in vielen Ländern unendlich viele tolle Menschen kennengelernt." Highlights waren sicher die beiden Teilnahmen an der Rallye Monte Carlo. "Rallyefahren ist die hohe Kunst des Rennsports. Alle Untergründe, ständig wechselnd, bei jedem Wetter, teilweise auf unbekannten Streckenabschnitten – das ist einzigartig. Nur einfach auf einer normalen Rennstrecke im Kreis herumfahren, das wäre mir zu langweilig."Ein Auto besticht durch ein ganz besonderes Detail: Das ordnungsgemäß zugelassene Fahrzeug trägt die Kennzeichenkombination STE-HR 1. Die Ortskennung STE steht für Staffelstein in Bayern – man glaubt, ein gewisses schelmisches Lächeln zu entdecken.
Und dann wäre da vor der Verabschiedung noch ein Made-by-Stehr-"Höhepunkt" – im wahrsten Sinne des Wortes. Stehr zeigt vom Eingangsbereich aus in die etwas entfernt liegende, sanft ansteigende Feldgemarkung. Dort befindet sich ein markanter, kegelförmiger Hügel. "Das ist der Monte Stehr!" Er zeigt Verständnis für den ungläubig blickenden, ahnungslosen Gesprächspartner. Stehr erläutert: "Die Gemeinde Schwalmtal hatte vor einigen Jahren im Rahmen umfangreicher Straßen- und Kanalbauarbeiten unbelasteten Erdaushub zu entsorgen. Die Kosten dafür hätten einen sechsstelligen Betrag ausgemacht. Ich hatte die Idee, diesen Aushub da drüben aufzuschütten, zu verdichten und so für Wanderer einen Aussichtspunkt zu schaffen. Bürgermeister Georg war begeistert und auch der damalige Regierungspräsident Witteck. Auch wenn es skeptische Stimmen gab, die meinten, das würde nie genehmigt – Sie sehen ja, manchmal gelingt die Umsetzung von Dingen, die auf den ersten Blick unmöglich erscheinen!" Da ist es wieder, dieses markante Lächeln.