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FULDA Der Stadtpfarrer bei O|N

Impulse von Stadtpfarrer Stefan Buß: Das Märchen von der geschenkten Zeit

04.11.20 - Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten drei Töchter. Von der Ältesten sagten die Leute: "Wie klug sie ist!" Von der Zweiten meinten sie voller Bewunderung: "Seht wie ist sie so fleißig!" Wenn sie aber von der Dritten sprachen, hellten sich ihre Gesichter auf: "Sie ist so freundlich und sie kann so wunderbar lachen!" "Es ist an der Zeit, meine lieben Töchter", sagte eines Tages die königliche Mutter, "dass ihr das Haus verlasst und die Welt kennenlernt." Einer jeden legte sie eine kunstvoll gewirkte Tasche über die Schulter, die war prall gefüllt. "Das ist eure Wegzehrung. Ich habe jeder von euch einen großen Anteil meiner Zeit geschenkt. Geht sorgsam damit um. Mehr davon kann ich euch nicht geben."

Der Abschied war herzlich und dann ging jede ihres Weges. Die Erste, die Kluge war noch nicht weit gegangen, da hatte sie schon eine große Berechnung angestellt, wie sie ihre Zeit möglichst gewinnbringend anlegen könnte. "Gönn uns ein kleines bisschen von deiner Zeit", wisperten die Blumen am Wegrand. "Wo denkt ihr hin!", sagte die Kluge, "Zeit ist Geld und das wirft man nicht einfach auf die Straße" und eilte davon als hätte sie schon keine Zeit mehr. Die Zweite, die Fleißige, hatte schon bald eine Beschäftigung entdeckt und arbeitete hastig, denn sie wollte die Zeit ausnutzen. Da rollte ihr ein roter Ball zwischen die Füße und ein Kind rannte herbei und fragte: "Spielst du mit mir?" "Jetzt nicht", sagte die Fleißige, "Ich habe keine Zeit. Ich muss heute schon die Arbeit von morgen machen!" "Spielst du dann morgen mit mir?" "Es geht nicht, da mach ich schon die Arbeit von übermorgen!" "Und dann, hast du dann Zeit?" "Vielleicht, wenn mir nichts dazwischen kommt. Aber jetzt nimm deinen Ball. Stiehl mir nicht die Zeit!"

Warten auf übermorgen


Da ging das Kind und wartete auf übermorgen. Die dritte Tochter aber kam nicht weit, nur bis zu einer Bank am Ententeich. Da saßen ein paar alte Leute und schwiegen sich an, denn sie hatten sich schon alles erzählt und etwas Neues fiel ihnen nicht mehr ein. "Hast du ein bisschen Zeit? Komm setz dich zu uns!" "Aber sicher", sagte die Königstochter mit dem lachenden Gesicht "Ich habe viel Zeit geschenkt bekommen. Davon kann ich euch doch abgeben", langte in ihre Tasche und fragte die alten Leute nach ihrem Leben und sie erzählten ihr viel und als sie sich endlich verabschiedet hatten, hörte sie sie von weitem noch lachen, denn es war ihnen noch so viel eingefallen, was sie beinahe schon vergessen hatten.

"Nach einem Jahr", hatte die Mutter gesagt "kommt ihr noch einmal zurück und erzählt wie es euch ergangen ist." Als dieses Jahr herum war, schickte die Älteste ein teures Blumengebinde mit einem Gruß daran: "Liebe Eltern! Habt Dank aber ich kann euch jetzt nicht besuchen, es wäre unklug. Der weite Weg zu euch würde mich zu viel Zeit kosten. Die Zweite kam in allerhöchster Eile und sie erzählte von der vielen Arbeit, die nun liegen bleiben musste und war im Herzen schon wieder abgereist ehe sie angekommen war. Die Dritte aber kam etwas zu spät, denn sie hatte unterwegs Blumen gepflückt, die sie der Mutter mitbringen wollte. "Hast du denn so viel Zeit übrig?", fragte die Mutter. "Aber sicher", sagte die Tochter, "du hattest mir ja gar nichts verraten, dass die Tasche sich immer wieder füllt! Je mehr Zeit ich verschenkt habe, desto mehr fand ich darin." "Du bist die Einzige", sagte die Mutter lächelnd, "die das Geheimnis der geschenkten Zeit erfahren hat." (Verfasser unbekannt)

Auch uns ist die Zeit geschenkt und uns geht es auch oft im Alltag wie den beiden ersten Töchtern. Wir meinen die Zeit ist zu schnell vergeben. Zeit ist Geld. Wir meinen, wir müssen heute schon alles für morgen tun. Aber einfach im Hier und jetzt sein und die Zeit mit anderen teilen, darauf kommt es an. Die dritte Tochter kann uns dies lehren. Ich wünsche Ihnen und mir, dass wir jeden Tag von unserer geschenkten Zeit leben und weitergeben können. (Stefan Buß) +++

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Stadtpfarrer Stefan Buß. Archivfoto: Hendrik Urbin


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