Ephraim Kishon, Drehen Sie sich um, Frau Lot - Der Mann mit den drei Karrieren
25.08.24 - Am 23. August wäre er 100 Jahre alt geworden – der Mann, der den Deutschen nach 1945 jüdischen und israelischen Humor beibrachte und zu einem der erfolgreichsten Autoren im deutschsprachigen Raum wurde. Ephraim Kishon war ein Phänomen. Geboren als Ferenc Hoffmann in Ungarn, als Jude verfolgt und deportiert, ausgewandert ins eben erst gegründete Israel, dessen Sprache er zunächst nicht sprach – und im Land der Täter erfolgreicher als irgendwo sonst auf der Welt. So eine Karriere muss man erst einmal hinlegen – und aushalten.
Versöhnen durch Lachen
Kishon selbst hat diese Konstellation immer als Ironie der Geschichte betrachtet und sagte dazu einmal: "Ich verspüre Genugtuung darüber, dass die Enkel meiner Henker in meinen Lesungen Schlange stehen." Jungen Deutschen begegnete er offen und ohne Hass, eine Kollektivschuld lehnte er ab, war aber davon überzeugt, dass es eine Kollektivschande gäbe. Man darf wohl sagen, dass sein Humor zur Versöhnung Deutschlands mit Juden in aller Welt beigetragen hat. Und man darf auch sagen, dass er daran größeren Anteil hatte als wir.
Dass Kishon uns zum Lachen gebracht hat, war – wie könnte es anders sein – seinem Renommee im literarischen Feuilleton nicht zuträglich. Kishon selbst hat sich darüber lustig gemacht: "Ich bin nur ein Humorist. Ein Schriftsteller gilt als seriös. Einer, der die Menschen lachen macht, kann doch nicht seriös sein. Stimmt’s?" (zitiert nach Buchreport, 09.09.1974) Natürlich wusste er genauso gut wie wir, dass das nicht stimmt. Noch etwas sorgte in literarischen Zirkeln für Naserümpfen: Kishons riesiger Erfolg. Was sich so gut verkaufte, konnte einfach nicht gut sein. Das ist ein Schicksal, dass er mit Mario Simmel teilte, dem anderen großen Erfolgsautor der 70er und 80er Jahre. Beide wollten, dass ihre Leser/innen sie verstanden und mochten. Für viele Germanisten leider bis heute eine Todsünde. 43 Millionen beträgt Kishons Gesamtauflage, 33 Millionen davon allein in deutscher Sprache.
Erfolgreich dank seines kongenialen Übersetzers
Kishons Glück war Friedrich Torberg, der beinahe 20 Jahre lang seine deutsche Stimme war. Torberg kannte den deutschen Buchmarkt und hatte ein Gespür dafür, was man den Leser:innen zumuten konnte. Er schrieb manches um, ließ einiges weg, entschärfte. Dennoch werden aufmerksame Leser in Kishons Erzählungen immer wieder die Shoah, das NS-Regime samt seinen Folgen und Kishons persönliches Schicksal als Verfolgter aufblitzen sehen. Kishon verschweigt nichts, verpackt es aber. Kishon setzt sich mit menschlichen Schwächen und dem Alltag auseinander, mit den Unzulänglichkeiten des Lebens, mit Bürokratie und Sprachverwirrung, man kann sich gut mit seinen Charakteren und Geschichten identifizieren. Was Martin Doerry ihm einst im Spiegel vorgeworfen hat, dass Kishon jedem Leser überlasse, ob er betroffen oder unterhalten sein wolle, halte ich für eine der großen Stärken Kishons. Er moralisiert nicht, er will weder belehren noch bekehren. Darin steckt auch viel Vertrauen in den Intellekt seiner Leser:innen. Mal ganz davon abgesehen, dass Betroffenheit und Unterhaltung in meinen Augen keine Gegensätze sind oder sein müssen. Kishon selbst hat die Frage nach seinem Erfolg in typisch Kishon’scher Manier einmal so beantwortet: Ich habe deshalb so großen Erfolg, weil ich ein so guter Schriftsteller bin" (in einem Interview mit dem STERN). Eben.
Ein Gespräch mit Silja Behre über Kishon und ihre Kishon-Biographie
Jutta Hamberger: "Beim Lesen Ihres gerade erschienenen Buchs über Ephraim Kishon merkt man, hoppla, es gibt ja drei Kishons, nicht nur den in Deutschland bekannten. Was sind die Hauptunterschiede zwischen dem ungarischen, dem israelischen und dem deutschen Kishon?"
Silja Behre: "Kishon war seit seinen literarischen und journalistischen Anfängen im Budapest der Nachkriegszeit nicht nur ein humoristischer, sondern auch ein politischer Autor. In Israel war er seit den Fünfzigerjahren einer der tonangebenden Kommentatoren der israelischen Tagespolitik. Diese Seite Kishons wurde für seine deutsche Karriere vom Verlag und von seinem Übersetzer Friedrich Torberg bewusst nicht betont. Der kantige, der kontroverse Kishon wurde dem deutschsprachigen Publikum aus Marketinggründen vorenthalten. Und der ungarische Kishon, der in der literarischen Kabarett-Tradition der Donaumonarchie stand, ist nicht so weit weg vom in Deutschland bekannten Humoristen Kishon."
JH:"Der Untertitel Ihres Buchs lautet "Ein Leben für den Humor". Welche Funktion hatte der Humor in Kishons Leben?"
SB: "Kishon hat immer wieder betont, welche Rolle eine humoristische Weltsicht für sein Leben und Überleben gespielt haben: Hitler habe ihn zum Satiriker gemacht, hat er einmal gesagt. Auch in seiner Jugend war Humor bereits wichtig – das half, mit den Schmerzen umzugehen, die das Leben ihm zufügte. Sein größtes Trauma aber war der Holocaust, die Erniedrigung, die Verfolgung und die Todesangst. Aber – frei nach Kishon: Solange man lacht, ist man ein Mensch mit Ehre."
JH: "Was sind die zentralen Erfolgsfaktoren in Kishons Humor-Verständnis, warum liebten ihn die deutschsprachigen Leser:innen so sehr?"
SB: "Der jüdisch geprägte Humor der Donaumonarchie war dem deutschsprachigen Publikum auch nach 1945 nicht gänzlich fremd. Kishon verbindet in seinen Geschichten universelle Themen wie die Absurditäten des Alltags mit einer gewissen Exotik Israels. Das war neu! Natürlich hat auch die literarische Qualität von Friedrich Torbergs Übersetzungen zu seinem Erfolg im deutschsprachigen Raum beigetragen. Das war einfach gute Unterhaltung."
JH: "Kishons politische Ansichten sind heute für viele schwer erträglich. Wie muss man sie einordnen, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen? Und wie würde er die Situation nach dem 07. Oktober bewerten?"
SB: "Mit Etiketten wie "Hardliner" oder "Chauvinist" wird man Kishon nicht gerecht. Er hat mit seiner bedingungslosen Unterstützung Israels viele vor den Kopf gestoßen. Doch für ihn war das eine logische Folge seiner "Neugeburt" in Israel. Er sagte immer, Israel habe ihm ein Leben in Freiheit und Würde ermöglicht, dafür war er sein Leben lang dankbar. Die Mächtigen und Regierenden hat Kishon immer kritisch beäugt, egal welcher Partei sie angehörten. Das Land und seine Armee hatten jedoch immer seine Unterstützung. Was würde er zu der heutigen Situation sagen? Das kann ich nur schwer beantworten. Wenn ich an seine Reaktionen während der Geiselnahme in Entebbe/Uganda 1976 denke, nehme ich an, dass er für einen sehr harten Kurs gegenüber der Hamas plädieren würde – mit unbedingtem Fokus auf der Rückkehr aller Geiseln."
JH: "Was müsste geschehen, damit Kishon wieder mehr ins Blickfeld seiner Leser:innen gerät? Denn die erneute Lektüre zeigt ja – Kishon ist alles andere als out."
SB: "Die Kishon-Geschichten sind zeitlos. Sein Erfolg war auch Resultat seiner Zeit, er war als Autor überall präsent, seine Bücher wurden über Buchclubs und Leseringe vertrieben. Vielleicht lädt meine Biographie zur Wieder-Lektüre ein, vielleicht gibt es beim Publikum auch den Wunsch nach einem Blick auf Israel und den Nahen Osten jenseits der Krisennachrichten? Kishons frühen Satiren – wie in dem Band "Dreh‘n Sie sich um, Frau Lot!" – lesen sich wie eine Kulturgeschichte des jungen Staates Israels. Der Stil und Witz der Torberg-Übersetzungen ist ein Lesegenuss, das ist ein sehr feinsinniger Humor, unterhaltend, aber nicht flach."
JH: "Und zum guten Schluss: Was ist Ihr Lieblingszitat von Kishon?"
SB: "Bei diesem Satz aus einer der Satiren muss ich immer schmunzeln: "Ich fühlte mich so einsam wie Israel im Weltsicherheitsrat."
Sollten Sie noch immer davon überzeugt sein, dass Kishon die Harmlosigkeit in Person war, dann empfehle ich Ihnen, seine Geschichte "Wie Israel sich die Sympathien der Welt verscherzte" aus "Arche Noah, Touristenklasse" zu lesen. Kishon schrieb sie 1963 und bezieht sich darin auf die Suez-Krise. Heute wirkt sie wie ein hellsichtiger und bissiger Kommentar zur aktuellen politischen Situation und zum Umgang des ‚Westens‘ mit Israel. In der Geschichte führt die UN sich ad absurdum, wird Israel vernichtet, die überlebenden 82.616 Juden werden in Zeltlagern untergebracht, weltweit werden Gedenkgottesdienste abgehalten, Überlebende aufgenommen und Straßen in Israel-Straßen umbenannt. Israel ist nach seinem Untergang populärer als jemals zuvor. "Mein Land ist wie eine Insel. Aber nicht von Wasser, sondern von Hass umgeben", hat Kishon einmal gesagt. Daran hat sich leider nichts geändert.
Weiterführende Links
Interview zum 80. Geburtstag: https://www.stern.de/kultur/buecher/ephraim-kishon-gesund-und-reich-3078948.html
Zum Tode Ephraim Kishons: https://www.spiegel.de/kultur/literatur/ephraim-kishon-gestorben-ein-genie-des-humors-a-339343.html
Beerdigung Kishons auf dem Trumpeldor Friedhof in Tel Aviv: https://www.mz.de/kultur/ephraim-kishon-letzte-ruhestatte-im-herzen-seiner-geliebten-stadt-2831370
(Jutta Hamberger)+++