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Im Yosemite Park, Kalifornien - © Pixabay

REGION Was wir lesen, was wir schauen (69)

Gwen Bristow, Kalifornische Sinfonie: Go West - der Liebe wegen

11.06.23 - Als Gwen Bristow 1950 ihre Western-Romanze "Kalifornische Sinfonie" schrieb, wurde das Buch praktisch aus dem Stand ein großer Erfolg. Der Roman gewann den Preis der National League of American Pen Women und wurde für den Pulitzer-Preis nominiert. Er katapultierte die Pastorentochter und Journalistin Bristow auf die Bestsellerlisten.

Auch in den 1950ern waren Autorinnen revolutionär

Autorin Gwen Bristow © Good Reads Society

Heute ist Gwen Bristow in Vergessenheit geraten – und das ist sehr schade, denn gerade die "Kalifornische Sinfonie" ist ein Klassiker der amerikanischen Literatur. Das Buch spielt in einer historisch bedeutsamen Zeit für die USA, als Kalifornien Teil der Union wurde (1850). Ich habe das Buch als Teenager verschlungen und mehr als einmal gelesen. Damals begann ich zu begreifen, dass es nicht so viele Bücher gibt, in denen eine Frau die Hauptrolle spielt und ihre Perspektive entscheidend ist. Und unter denen wiederum gibt es nicht so viele, die nicht in Romantik ersticken und das Lebensziel und -glück der Heldin ausschließlich im Ansteuern des Ehehafens sehen.

Cover Kalifornische Sinfonie © Verlag

Die beiden zentralen Frauenfiguren des Romans mochte ich sofort. Seine Heldin ist Garnet, eine gut behütete Bürgerstochter aus New York, die aber etwas Wildes, Aufbegehrendes hat und sich gegen das brave Leben wehrt, das ihre Eltern für sie wünschen. Solche Frauenfiguren kennen wir vor allem aus aktuellen historischen TV-Serien – man denke nur an Lady Mary aus "Downton Abbey" oder Eloise und Penelope aus "Bridgerton". Alles Frauen, die mit den Begrenzungen ihrer Zeit zu kämpfen haben und sich sehr grundsätzliche Fragen stellen: Warum darf ich nicht, was Männer dürfen? Warum soll sich mein Leben darauf beschränken, eine gute Partie zu machen, meine Mitgift meinem Ehemann zu überantworten und in der Rolle als Mutter aufzugehen? Warum bin ich weniger wert und weniger wichtig als ein Mann? Kann ich einen Mann lieben, und doch mein Leben leben?

Gwen Bristow behandelt diese Fragen aus dem Geist der 1950er Jahre heraus behutsamer als die beiden Drehbuchautoren Julian Fellows und Shonda Rhimes. Aber wie diese geht auch sie an die Grenzen dessen, was (damals) denkbar war – unpassende Ehe, nicht-klassisches Rollenverständnis, Berufstätigkeit, Kontakt mit Menschen aus Ständen und Professionen, die die gute Gesellschaft gemeinhin meidet.

Zwei starke Frauen

Gwen Bristows Roman wurde 1954 von Joseph Kane verfilmt © Filmverlag

Mit Florinda erfindet Gwen Bristow die heimliche Hauptfigur des Romans und macht ihren Leserinnen damit ein zweites Identifikationsangebot. Florinda pfeift auf Konventionen und lebt ihr Leben. Nicht unbedingt, weil das ihr Lebensprinzip gewesen wäre, das Leben ließ ihr keine Wahl. Jammern ist nicht, Florinda zieht ihr Ding durch. Ohne Reue, ohne Bedauern, ohne Schmus. Sie merken schon, Florinda mag ich noch ein wenig mehr als Garnet!

Als Garnet in New York den Präriehändler Oliver Hale kennenlernt, ist es um sie geschehen. In ihren Augen ist er unwiderstehlich: Mann, Abenteurer  - und das im Wilden Westen. Garnet und Oliver heiraten, trotz einiger Bedenken der Eltern, und brechen nach Kalifornien auf. Wir schreiben das Jahr 1845, die Reise dauert Monate, ist beschwerlich, um nicht zu sagen lebensbedrohlich. Der erste Teil der Reise geht bis New Orleans, dann weiter mit dem Dampfer nach St. Louis und von dort bis Independence in Missouri. Von dort aus startet der Treck mit Planwagen nach Santa Fé und Kalifornien, quer durch den Wilden Westen, durch unwegsames Gelände, durch Wüsten und über Berge. Für alle Reisenden eine Herausforderung, besonders aber für eine Städterin.

Im Death Valley in der Mojave Wüste, einem Ort der Extreme © Pixabay

In New Orleans lernen Garnet und Florinda sich kennen. Die arbeitet dort in einem Varieté. Die beiden Frauen sind sich – trotz ihrer Unterschiedlichkeit – sofort sympathisch. Eine Frau wie Florinda hätte Garnet in New York niemals kennengelernt, dort hätte man ihr den Umgang mit 'so einer' verboten, vermutlich wäre sie auch selbst nie auf die Idee gekommen, Kontakt aufzunehmen. Florinda ist aus anderem Holz geschnitzt als Garnet. Sie kommt aus einfachen Verhältnissen, hat sich ihr Lebtag durchschlagen und für sich selbst sorgen müssen, kennt häusliche Gewalt und tragische Unglücke nur zu gut. Sie steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden und hält nichts von romantischen Spinnereien. Man muss auskömmlich leben können, und alles dafür einsetzen – da bleibt keine Zeit für Träumereien.

Zusammenprall mit der Wirklichkeit

Eine Geisterstadt, einst eine Goldgräberstadt in Kalifornien © Pixabay

Farm in Kalifornien. Vielleicht sah es so auf dem Anwesen der Hales aus ...© Pixabay

Historischer Planwagen © Wikipedia/Karol m

Als der Treck endlich in Kalifornien ankommt, ist dies allerdings keineswegs das erhoffte Paradies. Florinda bleibt in Los Angeles und arbeitet in einer Bar, Garnet zieht mit Oliver auf die Ranch der Hales, die etwa vier Tagesritte entfernt liegt. Dort stellt sie fest, dass zwischen Olivers Erzählungen in New York und der Wirklichkeit in Kalifornien Welten liegen. Er steht völlig unter dem Pantoffel seines älteren Bruders Charles. Der Oliver, den sie in New York kennengelernt hatte, war eine Schimäre. Schlimmer noch, Charles ist von der Heirat alles andere als begeistert und lehnt Garnet ab. Denn Oliver hatte eine Affäre mit der Tochter eines reichen Ranchers und hätte die heiraten sollen. Das hat der Gute Garnet allerdings verschwiegen.

Mit diesen Planwagen zogen die Siedler gen Westen © Pixabay

Garnet kommen die Worte ihres Vaters in den Sinn: "Ich frage mich, ob Du Oliver liebst – oder Kalifornien. Würdest Du ihn auch heiraten wollen, wenn er Dich nur bis zur nächsten Haustür brächte?" Dennoch verzeiht sie ihm und nimmt ihm das Versprechen ab, nach dem Winter mit ihr nach New York zurückzukehren. Dazu kommt es nicht mehr, denn Oliver stirbt, Garnet ist nun ganz seinem Bruder ausgeliefert. Ihre Mitgift ging qua Heirat an Oliver und so auf Charles über, sie hat keine Chance, darauf zuzugreifen. Als Florinda ihr anbietet, zu ihr zu kommen, sagt sie sofort ja. Auch wenn das bedeutet, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben selbst für sich und den mittlerweile geborenen Sohn sorgen muss und in einer nicht eben standesgemäßen Umgebung arbeitet und lebt.

Am Ende wird fast alles gut

Natürlich weiß Gwen Bristow, dass ihre Leserinnen am Ende eine gute Auflösung wünschen. Die kommt, wenn auch nach vielen Umwegen. Denn Garnet bleibt in Liebesdingen emotional ein Teenager und ist auch nach dem Fiasko ihrer Ehe mit Oliver Hale nicht dazu imstande, eine erwachsene Beziehung auch nur zu denken. In ihrem Kopf wimmelt es nur so von romantischen Mädchenträumen, es kommt ihr gar nicht in den Sinn, dass dies kein Fundament für eine Ehe ist.

Atemberaubend schön – die Landschaft im Yosemite © Pixabay

Florinda findet Garnets Verhalten ziemlich lächerlich. Sie, genau wie wir Leserinnen, weiß, wer der Richtige ist, sie weiß auch, dass Garnet nicht zur Single-Frau geboren ist. Tatkräftig hilft sie mit, dass die Freundin den richtigen und nicht erneut den falschen Mann wählt. Als kluge Autorin ersinnt Bristow für Florinda kein Happy End, sondern lässt ihre Zukunft offen. Wir können aber darauf vertrauen, dass Florinda wie eine Katze immer auf die Füße fällt. Ihr Leben wird beschwerlicher sein als das Garnets, aber vielleicht auch bunter, aufregender und eigenständiger.

Foto: Nicole Dietzel, Dinias

(Jutta Hambeger)+++

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