06.11.22 - Am 8. November finden in den USA die Midterms statt. Bei dieser Halbzeitwahl wird das gesamte Repräsentantenhaus mit seinen 435 Abgeordneten neu gewählt, außerdem ein Drittel des Senats (35 Mandate). Und in 36 Bundesstaaten findet zusätzlich noch eine Gouverneurswahl statt. Diese Wahlen sind immer auch ein Stimmungsbarometer und daher für den amtierenden Präsidenten voller Brisanz.
Midterms, die zu Erschütterungen führen könnten

Am 20. Januar 2017 leistet Donald Trump den Amtseid © Pixabay
In diesem Jahr schaut die Welt besonders aufmerksam auf die Midterms, denn Donald Trump, der Mann, der seine Niederlage vor zwei Jahren bis heute nicht eingestanden hat, mischt fleißig in den Vorwahlkämpfen mit. Zahlreiche Kandidaten sind Trump-Anhänger. Sollten die Midterms sehr gut für die Republikaner laufen, steht zu befürchten, dass Trump sich erneut als Präsidentschaftskandidat aufstellen lässt. Grund genug, sich mit diesem Mann nochmals zu befassen.
Sehr geeignet dafür ist das soeben erschienene Buch von Maggie Haberman, der zweifach mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Journalistin der New York Times. Ihr Blick auf Trump ist unbestechlich und genau. Viele der im Buch geschilderten Begegnungen und Episoden kennt man, aber in dieser Konzentriertheit wird einem einmal mehr klar, was für eine Katastrophe die Wahl Trumps gewesen ist. Eine Wiederholung dieser Katastrophe würde die Welt dem Abgrund einen Schritt näher bringen. Denn Amerika würde sich wohl umorientieren – isolationistisch, nur mit dem Blick auf China und Asien, Europa und die von Russland ausgehenden Bedrohungen gerieten aus dem Fokus. Deutschland ist auf all das erschütternd wenig vorbereitet.
Ein gespaltenes Land

Autorin Maggie Haberman © Doug Wills / Siedler Verlag
Und leider ist nicht ausgeschlossen, dass es so weit kommen kann, denn nach wie vor sind die USA ein tief gespaltenes Land. Noch beklemmender als alle Trump-Episoden finde ich das, was Haberman über das Verhalten führender Republikaner schreibt. Mitch McConnell, der republikanische Mehrheitsführer im Senat, hatte vor der Wahl Trumps unverblümt erklärt, dass alle Qualitäten, die er sich von einem Präsidenten wünsche – Überzeugung, Charakter, intellektuelle Neugier, Aufrichtigkeit – bei Trump schlicht nicht vorhanden seien. Umso erschütternder ist es, wie er und führende Republikaner aus Opportunismus nach und nach einknickten, bis aus Politikern Speichellecker geworden waren, die aus ihrer Partei einen Trump-Kult machten. Aus Politik wurde Ideologie – und das vertiefte die Spaltung, die es in den USA ohnehin schon gab.

Cover Haberman, Täuschung © Siedler Verlag
In der europäischen Berichterstattung entsteht manchmal der Eindruck, als sei Donald Trump allein dafür verantwortlich, dass die USA heute so gespalten sind. Die Polarisierung entstand aber schon in den 1990er Jahren – und mit ihr das Gefühl vieler Amerikaner, die Elite in Washington interessiere sich nicht für ganz normale Menschen. Zu dieser Polarisierung trugen viele Faktoren bei, z.B. das Amtsenthebungsverfahren gegen Bill Clinton (1998). Der vom Supreme Court entschiedene knappe Ausgang der Präsidentschaftswahl zugunsten von George W. Bush (2000). Der Terroranschlag auf das World Trade Center (2001). Der verheerende Hurrikan Katrina (2005). Die Finanzkrise, die Millionen in den Ruin trieb, ohne dass jemand dafür zur Verantwortung gezogen wurde (2008). Der nach wie vor herrschende Rassismus in den USA, der weiterhin für Ungleichheit, Gewalt und Frustration sorgt. Trump beschleunigte und befeuerte diese Polarisierung. Er war nie der Präsident aller Amerikaner, sondern nur der seiner Anhängerschaft.
Wieso wurde Trump überhaupt gewählt?

Der Trump Tower in New York © Pixabay

Trumps Stern auf dem Walk of Fame am Hollywood Boulevard © Pixabay

Typisches Trump-Gesicht im Warhol-Stil © Pixabay
Mit dem Weißen Haus hatte Trump schon vor 2016 geliebäugelt. Er hatte mehrere Anläufe genommen, allerdings ohne Erfolg. Die meisten Beobachter gingen davon aus, dass es 2016 wieder so ablaufen würde. Niemand, Trump eingeschlossen, rechnete mit seinem Sieg. Warum aber wollte Trump, der ja ein durchaus bemerkenswertes Leben vor dem Weißen Haus hatte, überhaupt Präsident werden? Macht, Ruhm und Geld sind starke Motivatoren, Haberman dazu: "Die eigentliche Arbeit eines Präsidenten passt selten zu dem Nervenkitzel, der sich einstellt, wenn der Kandidat im Zentrum eines begeisterten Parteitagspublikums steht und die Luftballons filmreif auf ihn herabsegeln. (…) Hinzukam, dass Trump die meisten Befugnisse eines Präsidenten nicht wirklich interessierten."
Aber all das, was Trump ungeeignet für das Weiße Haus machte, faszinierte viele Menschen in den USA. Zwar lebten sie ein gänzlich anderes Leben als Trump, aber sein Reichtum und seine Bekanntheit als Fernsehstar faszinierten sie. Auch seine Art zu reden, kam gut an. Hetze, Lügen, Populismus – all das wurde als ‚endlich sagt mal einer, was wir denken‘ verklärt. Sein Sexismus, sein Rassismus, sein Chauvinismus kamen erschreckend gut an. Dass er mehr Lügen von sich gab als jeder andere Mensch auf dem Planeten, kümmerte wenig. Dass er täglich Stunden vor dem Fernseher verbrachte, machte ihn in den Augen vieler Amerikaner normal – ‚intellektuell‘ ist ja inzwischen zu einem Schimpfwort verkommen. Man störte sich auch nicht daran, dass er Mitarbeiter nach Loyalität und nicht nach Kompetenz aussuchte, oder dass ihm das Aussehen und die Fernsehtauglichkeit seiner Mitarbeiter wichtiger waren als deren Know-how – seine Kinder eingeschlossen.

Bekommen wir die Anführer, die wir verdienen? © Pixabay

Nach seinem Selbstverständnis gehört Trump dorthin, in die Präsidentengalerie ...© Pixabay

Nie wieder Trump! © Pixabay
Bei Trump blieb deshalb so viel folgenlos, was andere Präsidenten den Kopf gekostet hätte, weil es den Republikanern nur noch um Machterhalt ging, nicht mehr um das Land. Auch das ist eine Entwicklung, die vor Trump begann, unter ihm aber extreme Formen annahm. Trump setzte einiges von der republikanischen Agenda um. Die Wirtschaft gedieh. Er besetzte drei Posten des Supreme Courts mit stramm republikanischen Richtern. In der Verwaltung auf Regional- und Bundesebene besetzte die Regierung Trump viele Schlüsselstellen. Das langfristige Ziel scheint klar – bei künftigen Wahlen will man lieber willfährige Helfer als kritisch-loyale Angestellte haben, die nach der Verfassung, dem Wahlrecht und zum Wohl aller Amerikaner arbeiten.
Die Lüge von der gestohlenen Wahl
Trump konnte am 7. November 2020 nicht fassen, dass Biden ihn besiegt hatte und er nun als "big loser" dastand. Er weigerte sich, das Weiße Haus zu verlassen, bislang einmalig in der amerikanischen Geschichte. Er boykottierte die Transition Time und die ordnungsgemäße Übergabe der Regierungsgeschäfte. Der Tiefpunkt kam am 6. Januar 2021, als er seine Anhänger aufhetzte, zum Capitol zu marschieren, weil er glaubte, das demokratische Votum in letzter Minute kippen zu können.
Mit Trump wurden vorher nie für möglich gehaltene Tiefpunkte des politischen Lebens und der politischen Auseinandersetzung erreicht. Deswegen ist dieses Buch keineswegs nur Vergangenheitsbewältigung, sondern ein Wachrüttler für die Zukunft.
Weiterführende Links
Maggie Haberman bei Trevor Noah: https://www.youtube.com/watch?v=iV2Otmi9q98
Maggie Haberman with Kaitlan Collins: https://www.youtube.com/watch?v=xm_w2YWIq44
Maggie Haberman bei Stephen Colbert: https://www.youtube.com/watch?v=gLQDwkG1MbQ
Buchbesprechung FAZ: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/maggie-haberman-ueber-trump-der-mann-aus-dem-morast-18368592.html
Buchbesprechung SZ: https://www.sueddeutsche.de/politik/donald-trump-us-praesident-usa-maggie-haberman-1.5671347?reduced=true
Buchbesprechung Spiegel: https://www.spiegel.de/ausland/autorin-maggie-haberman-ueber-trumps-gescheiterten-staatsstreich-a-b60ddfbb-9eb9-4b4c-986c-d0d82d0d00d4
Jutta Hamberger)+++
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