Im australischen Outback - © Wikipedia / FOLIEN FISCHER, CC BY 3.0

FULDA Was wir lesen, was wir schauen (109)

Colleen McCullough, Die Dornenvögel - Für das Beste muss man Opfer bringen

22.12.24 - Wie wollen wir aus diesem hasserfüllten, von Kriegen und Problemen geschüttelten Jahr 2024 hinausgehen? Ich habe mich für das stärkste ‚Medikament‘ im Medizinschränkchen entschieden – die Liebe. Heute stelle ich Ihnen einen Liebesroman vor, den ich – die ich dieses Genre sonst nach Kräften meide – mit Begeisterung gelesen habe. Reisen Sie mit mir nach Australien und zu den "Dornenvögeln".

1,9 Millionen für das Buch einer weitgehend unbekannten Autorin

Cover „Dornenvögel“ © Blanvalet Verlag

Im australischen Outback © Wikipedia / Andy Mitchell, Glasgow, UK, CC BY-SA 2.0

Mount Conner, Outback © Wikipedia / Gabriele Delhey, CC BY-SA 3.0

80 Prozent aller in Australien gehaltenen Schafe sind Merinos © Wikipedia / self, CC BY-SA 3.0

Colleen McCullough (1937-2015) kann man getrost als One-Hit-Wonder beschreiben, auch wenn sie außer ihrem Welterfolg "Die Dornenvögel” noch weitere, durchaus erfolgreiche Bücher geschrieben hat. Alle waren schnell vergessen, dieses eine aber nicht – die Geschichte der tragischen Liebe zwischen dem katholischen Priester Ralph de Bricassart und der Farmerstochter Meggie Cleary. Das 1977 erschienene Buch dürfte zu den meistgelesenen der 1970er und 1980er Jahre zählen. Um die Rechte entbrannte damals ein regelrechter Bieterkampf, den der Heyne Verlag für sich entschied – und 1,9 Millionen Dollar hinblätterte. Das ist immer noch eine schier unglaubliche Summe. Bis heute wurden 33 Millionen Exemplare verkauft, das Buch wurde in 22 Sprachen übersetzt. Die 1983 veröffentlichte TV-Serie war international genauso erfolgreich und gewann vier Golden Globes und acht Emmys.

Das australische "Vom Winde verweht"

Die "Dornenvögel" ist vom Aufbau her eine klassische Romeo-und-Julia-Geschichte, es geht um eine tragische Liebe, bei der die Liebenden nicht zueinander finden dürfen, weil die Liebe als ‚verboten‘ klassifiziert wird. Bei Shakespeares Liebenden war es eine Familienfehde, hier ist es die Religion.

Sehr schnell wurden Parallelen zu Margaret Mitchells Klassiker "Vom Winde verweht" gezogen, und in der Tat gibt es viel, was vergleichbar ist. Tara dort, Drogheda hier, in beiden Romanen die selbstbewusste Erbin eines großen Anwesens, die sich in den falschen Mann verliebt und zunächst einen noch falscheren Mann aus sehr falschen Gründen heiratet. Der verführerische Rhett Butler dort, der ebenso verführerische Ralph de Bricassart hier. Und eine Liebe, die von Leid und Verlust überschattet wird, wozu die Liebenden ein gerüttelt Maß beitragen.

"Dornenvögel" ist ein romantischer, herzzerreißend schön-trauriger Liebesroman. Er spielt auf sehr kluge Weise mit vielen weiblichen Träumen – romantischen, gefährlichen und verbotenen. Der Roman "thematisiert eindrucksvoll die widersprüchlichen, unversöhnten Gefühle über Weiblichkeit, Feminismus und Wunschvorstellungen, die diese Position, zumindest für weiße Leserinnen der reichen Welt, kennzeichnen", so Cora Kaplan in Ars Femina. In den "Dornenvögeln" hat man als Leserin gleich mehrere weibliche Figuren als Identifikationsangebot. Interessant ist auch der Widerhall der Frauenbewegung in den 70er Jahren, denn de Bricassart ist als Mann der Gegenentwurf von Macho-Männlichkeit, er ist mütterlich und empathisch. Meggies Mutter Fiona, Meggie selbst und ihre Tochter Justine zeigen anschaulich, worüber die Frauenbewegung damals diskutierte.

Romantische Familiensaga

Autorin Colleen McCullough © Wikipedia / Quentin Jones, The Sydney Morning Herald, Immediate source

Colleen McCullough entwickelt ihre Saga über drei Generationen zwischen 1915 und 1969 – und schuf damit ein großes Familien- und Sittengemälde. Viele Details entnahm sie ihrer eigenen Familiengeschichte, etwa den Erfahrungen ihrer Mutter als Wanderarbeiterin. Meggies und Ralphs Sohn Dane ist das Porträt von Mcculloughs Bruders Carl, der 1965 beim Versuch, zwei Frauen vor dem Ertrinken zu retten, mit nur 25 Jahren ums Leben kam. Auch dieses Detail findet Eingang in den Roman.

Der Roman beginnt, als Meggie gerade einmal vier Jahre alt ist. Wir sind mitten im australischen Schafzüchter-Land – Meggies Eltern sind Paddy und Fiona ‚Fee‘. Die hat unter ihrem gesellschaftlichen Rang geheiratet – ja, ja, die Liebe! – und mit Paddy eine große Familie gegründet. Meggie ist das einzige Mädchen. Auf Drogheda, der Farm von Paddys Schwester Mary, trifft Meggie erstmals den Geistlichen Ralph de Bricassart. Die heranwachsende Meggie entwickelt sich zu einer echten Schönheit, und die Gefühle des Priesters sind schnell weit entfernt von heilig. Das stört Meggies Tante Mary, weniger wegen des ‚unheiligen‘ Aspekts, als weil sie selbst scharf ist auf den gutaussehenden Priester.

Die traurige Legende

Grabstein McCulloughs auf dem Emily Bay Cemetary auf Norfolk Island 2015 ... © Wikipedia / Kerry Raymond, CC BY 4.0

Der Titel des Romans bezieht sich auf eine Legende, die Ralph de Bricassart der jungen Meggie erzählt: "Da gibt es die Legende von einem Vogel, der in seinem Leben nur ein einziges Mal singt, doch singt er süßer als jedes andere Geschöpf auf dem Erdengrund. Von dem Augenblick an, da er sein Nest verlässt, sucht er nach einem Dornenbaum und ruht nicht, ehe er ihn nicht gefunden hat. Und wenn er im Gezweig zu singen beginnt, dann lässt er sich so darauf nieder, dass ihn der größte und schärfste Dorn durchbohrt. Doch während er stirbt, erhebt er sich über die Todesqual, und sein Gesang klingt herrlicher als das Jubeln der Lerche oder das Flöten der Nachtigall. Ein unvergleichliches Lied, bezahlt mit dem eigenen Leben. Aber die ganze Welt hält inne, um zu lauschen, und Gott im Himmel lächelt. Denn das Beste ist nur zu erreichen unter großen Opfern. So jedenfalls heißt es in der Legende."

Klingt gut? Nun ja, es ist die Rechtfertigung für die Halbherzigkeit oder Feigheit Ralph de Bricassarts, der zwar ein bisschen Liebe will, vor allem aber viel Macht und Einfluss, wie die Position im Vatikan sie ihm bieten. Und sind wir mal ehrlich – im Roman ‚opfert‘ nur eine Person, nämlich Meggie.

Wirklich, Colleen McCullough?

Der Orden Order of Australia, den McCullough 2006 erhielt © Wikipedia / Sodacan - This vector image includes elements that have been taken or adapted from this file:, Public Domain

Beim erneuten Lesen kam ich um einige kritische Fragen an den Roman und mich selbst nicht umhin, Fragen, die mir als junges Mädchen ziemlich wurscht waren. Da fand ich es einfach cool, dass ein katholischer Geistlicher in solchen Liebestumulten steckt. Warum es ein Zölibat geben soll, habe ich nämlich noch nie verstanden. Und natürlich ist verbotene Liebe samt Sexszenen immer verführerisch.

In 50 Jahren ändert sich die Welt, und man selbst ändert sich mit ihr. Heute empfinde ich schon das Setting des Romans als ‚unheilig‘. Ralph de Bricassart ist ein erwachsener Mann, als er Meggie das erste Mal begegnet – sie ist ein vierjähriger kleiner Hosenscheißer. Der Priester weiß alles über sie, auch sehr Intimes. Wie glaubhaft ist das in den 70er Jahren? Wie inzestuös ist das Verhältnis, in dem er sich als väterlicher Freund inszeniert, nur um seinen erotischen Gelüsten nicht nachgeben zu müssen? In Zeiten, in denen die katholische Kirche noch immer von Skandalen rund um missbrauchte Kinder erschüttert wird, liest man das viel erschrockener und interpretiert de Bricassarts Gefühle aus ganz anderen Gründen als absolut unpassend und verboten. Dass Ralph am Ende Macht und Einfluss über die Liebe stellt, ist hingegen ein konventioneller Topos.

Der Orden Order of Australia, den McCullough 2006 erhielt © Wikipedia / Sodacan - This vector image includes elements that have been taken or adapted from this file:, Public Domain

Auch Meggies Liebe ist alles andere als ‚gesund‘, oder wie sollen wir es interpretieren, dass sie mit Luke einen Mann heiratet, der Ralph de Bricassart zum Verwechseln ähnlich sieht, sich aber leider als das entpuppt, was man im englischen "douchebag" nennt? Ein Mann, der nichts dabei findet, sie zu vergewaltigen, sich ihrem Kinderwunsch aber verweigert? Mit einem Trick gelingt es Meggie dann doch, schwanger zu werden – Tochter Justine aber ist so gar nicht das Wesen, das sie sich erträumt und gewünscht hatte. Das Verhältnis beider bleibt kühl und distanziert. Und dann endlich!, die heiße Sommeraffäre auf Matlock Island mit Father Ralph – es sind diese Szenen, die am intensivsten im Hirn festkleben und auf die der Roman hinausläuft. Das Ergebnis ist Dane. Da Ralph Meggie aber direkt nach dem Südsee-Abenteuer verlässt, um in Rom Karriere zu machen, erzählt sie ihm nichts von seinem Sohn – eine Art Bestrafung für seine Wahl. Und Luke erzählt sie nie, wer wirklich Danes Vater ist.

Trotz manchem Stirnrunzeln finde ich die Lektüre der "Dornenvögel" nach wie vor lohnend und belohnend. Als kluge Leser:innen halten wir schließlich gut aus, dass man heute manches anders bewertet und sieht, und erfreuen uns aus ganzem Herzen an dem Liebes- und Leidenstreiben.

Foto: Nicole Dietzel, Dinias

(Jutta Hamberger)+++

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