Denkmal für König Artus an der Küste Cornwalls - © Pixabay

FULDA Was wir lesen, was wir schauen (102)

Marion Zimmer-Bradley, Die Nebel von Avalon - Eine Welt voll Zauber und Magie

22.09.24 - Als Marion Zimmer-Bradleys 1.120 Seiten starkes Fantasy-Epos "Die Nebel von Avalon" 1982 erschien, konnte niemand ahnen, dass dieses Buch in kürzester Zeit Kultstatus erlangen würde. Fast aus dem Stand heraus schoss der Roman in den Bestsellerlisten nach oben und war der Beginn einer riesigen Fantasy-Welle.

Eintauchen und abtauchen

Trebarwith Strand © Wikipedia / Manfred Heyde CC BY-SA 4.0

Im 5. Jahrhundert dringen Sachsen, Angeln und Jüten nach England ein, denn das Römische Reich ist zerfallen. Das Christentum ist die aufstrebende Religion, die Religion der Kelten verliert immer mehr an Bedeutung. Wir lernen Igraine kennen, die mit Gorlois, dem Herzog von Cornwall, verheiratet ist. Sie hat sich diesen Mann nicht ausgesucht, aber sowohl ihre Mutter Viviane, die Herrin von Avalon, als auch ihr Vater, der Zauberer Merlin, wollten diese Verbindung aus politisch-taktischen Gründen, um Avalon zu schützen.

Die Ehe ist wenig glücklich. Igraine war noch ein halbes Kind, als sie verheiratet wurde, Gorlois schon ein alter Mann. Das erste Kind ist nicht der erwünschte Sohn, sondern eine Tochter – Morgaine. Dann verweigert Gorlois Uther Pendragon, dem neu gewählten Großkönig, den Treueschwur, weil er bemerkt, dass Uther und Igraine sich ineinander verliebt haben. Passenderweise wird Gorlois in einer Schlacht tödlich verwundet. Uther Pendragon und Igraine heiraten – ihr Sohn ist Artus, der König, der das Land und seine verschiedenen Völker vereinen soll. Von Anfang an werden so Mythos und persönliche Schicksale miteinander verwoben.

Merlin’s Cave © Wikipedia / Nilfanion CC BY-SA 4.0

Fast alle Artus-Geschichten beruhen auf "Le Morte D’Arthur" von Sir Thomas Malory (posthum 1485 veröffentlicht), so auch Zimmer-Bradleys Roman. Den kann man auf drei Ebenen lesen: als feministische Auseinandersetzung mit der Artuslegende, als Auseinandersetzung von zwei konträren religiösen Konzepten und natürlich auch als konfliktreiche Familiengeschichte über mehrere Generationen hinweg.

Matriarchale und patriarchale Gesellschaftsstrukturen

Die Artus-Saga in all ihren Windungen hier nachzuerzählen, sprengt den Rahmen, die meisten von Ihnen werden sie überdies in den Grundzügen kennen. Zum ersten Mal wird die Legende um König Artus hier aus weiblicher Sicht erzählt – und das ist eine kleine Revolution. Zimmer-Bradley packt in ihr Fantasy-Epos weibliche Alltags-Erfahrungen, mit denen sich ihre Leserinnen sofort identifizieren können, weil sie vieles davon selbst erlebten. Igraine, Morgana und Viviane kommen auch in anderen Überlieferungen der Artus-Sage vor, sind dort allerdings meist zu bösen Gegenspielerinnen des Helden Artus und seiner Ritter stilisiert, und für Guinevere blieb meist nur die Rolle der Ehebrecherin. Zimmer-Bradleys Perspektive auf die später derart christlich stilisierten Heldengestalten und deren Antagonisten ist anders. Sie macht klar, dass die Macht einst in den Händen von Frauen lag. Diese weibliche Macht war vielleicht nicht so offensichtlich wie die der Männer, sie wirkte oft im Verborgenen. Auch das ist ein Topos, mit dem viele Leserinnen sich sofort identifizieren können.

Der runde Tisch König Artus‘ in der Halle von Winchester Castle. In allen Geschichten ...© Wikipedia / Martin Kraft CC BY-SA 3.0

Die heutigen Überreste von Tintagel Castle © Wikipedia

Morgan le Fay in einer präraffaelitischen Darstellung. Anthony Frederick Sandys‘ ...© Wikipedia

Man hat den Roman daher oft als "feministische Deutung" des Artus-Stoffs deklariert. Das ist insofern richtig, als er Konzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit verhandelt, kritische Fragen nach der Selbstbestimmtheit vor allem von Frauen stellt und die von Männern gewollte und oft brutal durchgesetzte Einschränkung weiblichen Lebens kritisch thematisiert. Dafür stehen Schilderungen von erzwungenem Geschlechtsverkehr im Ehebett, die tödliche Gefahr des Gebärens, die männlichen Annahme, Frauen seien geistig minderbemittelt, die arrogante Bevormundung durch Geistliche und die fast vollständige Abhängigkeit der Frauen von Männern.

Der Kampf der Religionen

Die Pfarrkirche St. Materiana in Tintagel liegt in der Diözese Truro/Cornwall. Sie ...© Wikipedia

Genauso aber geht es in "Die Nebel von Avalon" um den Kampf der Religionen. Die Artus-Legende entfaltet sich in einer Zeit, in der die keltische Naturreligion, für die Avalon, die weisen Frauen und die Druiden stehen, vom männlich dominierten Christentum bekämpft wird. Zimmer-Bradley macht es sich dabei nicht einfach – es gibt kein gut versus schlecht, wenn auch die christliche Religion als repressiver dargestellt wird. Der Roman macht dabei deutlich, dass nicht das Christentum oder gar Christus als engstirnig gesehen werden, sondern seine Repräsentanten auf Erden, "die ihre Beschränktheit für seine hielten". Beide Religionskonzepte haben ihre Stärken, beide ihre Schwächen. Beide nutzen Menschen für vorgeblich höhere Zwecke aus. Es gibt im Roman die Wandler zwischen den Welten und Religionen, die versuchen, beide Kulturen und Religionen zusammenwachsen zu lassen. Es gibt Licht- und Schattenseiten, dieser Roman ist auf keiner Ebene platt und banal.

Excalibur auf Fantasy-Art. Das Schwert gab seinem Besitzer übermenschliche Kräfte, ...© Pixabay

Übrigens ist die Botschaft an Artus klar: Sei gerecht, bevorzuge keine der beiden Religionen, das ist zum Wohle des Landes. Als er das nicht mehr tut, läutet er sein Ende ein – aber auch das der keltischen Naturreligion. Avalon versinkt auf immer im Nebel. Und doch: "Die Menschen schaffen die Welt, die uns umgibt, durch das, was sie denken, jeden Tag neu" – es liegt also an uns, ob Avalon auf ewig im Nebel bleibt.

Familienepos à la Denver Clan

Tintagel Castle © Wikipedia

Königin Guinevere (walisisch Gwenhwyfar) war die Ehefrau von König Artus und die ...© Wikipedia

Die dritte Ebene von Zimmer-Bradleys Roman wird seltener betont, ist aber doch sehr deutlich. Denn es handelt sich hier auch um eine groß angelegte Familiensaga, die sich über mehrere Generationen hinweg erstreckt und in der alles vorkommt, was Familien so schön und so schrecklich macht: Leidenschaft, Liebe, Intrigen, Verrat, Feindschaft, Hass und Gewalt. Das sind Muster, die einerseits uralt sind, andererseits aber auch sehr aktuell. Kaum eine große TV-Soap kommt ohne sie aus, und auch die Literaturgeschichte ist reich an solchen Familiendramen.

Nach mehr als 40 Jahren verfalle ich bei der Wieder-Lektüre dem Zauber dieser Saga mit allergrößter Leselust, denn Zimmer-Bradley gelingt es von der ersten Seite an, eine dichte, intensive Atmosphäre zu schaffen. Die keltisch-britische Welt ersteht vor unseren Augen und wir blicken auf eine Hochkultur, die der römischen in nichts nachsteht.

MZB und der Vorwurf des Kindesmissbrauchs

Und doch verspüre ich ein Grummeln, denn bei meinen Recherchen rund um den Roman bin ich auf die Vorwürfe von Zimmer-Bradleys Tochter Moira Greyland gestoßen. Die beschuldigte ihre Mutter, sie als Kind sexuell missbraucht und dem Treiben ihres zweiten Ehemanns Walter Breen keinen Einhalt geboten zu haben. Breen und Zimmer-Bradley waren von 1964 bis 1990 verheiratet, lebten seit 1979 getrennt voneinander, blieben aber in engem Kontakt. Breen ist ein verurteilter Kinderschänder, dessen Taten gut dokumentiert sind und der im Gefängnis starb. Die Vorwürfe Greylands wurden 2014 publik – nachlesen kann man das in ihrem Buch "The last closet – the dark side of Avalon". Ist Marion Zimmer-Bradley also eine Täterin, ist sie eine Mitwisserin? Die Antwort lautet: Wir wissen es nicht. Die Autorin können wir nicht mehr befragen, sie starb 1999. Es gibt keine unabhängige Untersuchung, es gibt kein Gerichtsurteil.

Mich haben diese Vorwürfe tief erschüttert. Ansätze wie "trennt die Künstlerin von der Kunst" führen meiner Meinung nach in eine Sackgasse. Niemand verdient für Missbrauch Nachsicht – und indem ich diesen Satz schreibe, ist mir sehr bewusst, wie oft gerade bei berühmten Menschen dagegen verstoßen wird. Ich fände es angebracht, wenn der Roman um ein differenziertes Nachwort erweitert würde.

Niemand muss das Buch von seiner Leseliste streichen, es ist und bleibt großartig. Auch Zimmer-Bradleys Pionierleistung für Frauen in der Fantasy bleibt unbestritten. Es ist allerdings eine nur schwer auszuhaltende Gleichzeitigkeit, dass diese Leistungen durch die furchtbaren Vorwürfe ihrer Tochter überschattet werden.

Weiterführende Links:

Die Nebel von Avalon to go: https://www.youtube.com/watch?v=X0IBzjnXHyM

Und Sommers Kommentar zu den Vorwürfen gegen MZB: https://www.youtube.com/watch?v=qMiyB0arMmI

Besprechung des Romans: https://soerenheim.wordpress.com/2021/07/27/nachtrag-zur-arthur-serie-die-nebel-von-avalon-ist-vielleicht-die-beste-moderne-bearbeitung-des-legendenzirkels/

Vorwürfe gegen Marion Zimmer-Bradley: https://hermanstadt.blogspot.com/2014/06/kindheit-in-avalon.html

https://www.tor-online.de/magazin/mehr-phantastik/neil-gaiman-und-co-wir-muessen-aufhoeren-menschen-auf-ein-podest-zu-stellen

https://thembeforeus.com/de/moira-greyland-i-was-born-into-a-family-of-famous-gay-pagan-authors-in-the-late-sixties/?fbclid=IwAR3Peuty2-ldwwDV4h5iimBZ9PY0PNR4FjIoYbuKdTxiVlU7E36kqnpUsq0

Foto: Nicole Dietzel, Dinias

(Jutta Hamberger)+++

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