Am Zaun von Auschwitz – in Auschwitz wurde Edeks Familie ermordet - © Jutta Hamberger

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Treasure – ein Film von Julia von Heinz - Familie ist ein fremdes Land

27.04.25 - Am 27. April 1940 ordnet Himmler den Bau des Konzentrationslagers Auschwitz an, ein Lager, das von Anfang an als Vernichtungslager vorgesehen war. Heute, 85 Jahre später, möchte ich Ihnen einen Film ans Herz legen, der in Auschwitz beginnt und endet. "Treasure – Familie ist ein fremdes Land" von Julia von Heinz - ist eine Vater -Tochter-Geschichte, ein Film über das Schweigen zwischen den Generationen und ein jüdisches Roadmovie. "Treasure" ist ein tief anrührendes, tragikomisches Meisterwerk.

Eine universelle Geschichte

Durch den 7. Oktober und die danach weltweit ausbrechende Antisemitismus-Welle ist "Treasure" noch aktueller geworden, als er es ohnehin ist. Am Tag des Hamas-Massakers liefen die Dreharbeiten noch, das Team war sich schnell einig, den Filmstart nach vorn zu ziehen – und den Film auf der Berlinale 2024 zu zeigen. So geschah es dann auch. Man kann und soll den Film also durchaus als Statement gegen die Welle von Antisemitismus verstehen, der gerade durch die Welt schwappt.

Lena Durham und Julia von Heinz bei der Berlinale 2024 © Wikipedia / Elena Ternovaja, CC BY-SA 3.0

Lily Brett und Julia von Heinz bei der Berlinale 2024 © Wikipedia / on Elena Ternovaja, CC BY-SA 3.0

Stephen Fry bei der Berlinale 2024 © Wikipedia / Elena Ternovaja, CC BY-SA 3.0

Bei der Premiere sagte Stephen Fry, der die Rolle des Vaters spielt: "Die Wahrheit über den Holocaust ist immer noch da, und das Vermächtnis und die Auswirkungen auf die Menschen. Und natürlich war es für mich ein ganz spezielles Gefühl, nach Auschwitz zu fahren, um dort zu filmen, während ich das erste Mal dort war und wusste, dass meine Familie an diesem Ort umgekommen war." Seine Kollegin Lena Durham ergänzte, wie wichtig es sei, dass es "in der extremen Rechten eine unglaubliche und schockierende Menge an antisemitischer Rhetorik gibt. Es gibt auch eine schockierende Menge an islamophober Rhetorik, anti-schwarzer Rhetorik, transphober Rhetorik. Das Ziel ist es, Menschen aufgrund ihrer Identität zu isolieren und ihnen das Gefühl zu geben, unmenschlich zu sein. Und das ist eine universelle Geschichte, leider."

Liest man die Nachrichten dieser Tage und Wochen, muss man beiden zustimmen – und ein Jahr nach der Filmpremiere ist nichts besser, vieles sogar noch schlimmer geworden.

Die schmerzende Sprachlosigkeit

In "Treasure" begibt sich die amerikanische Musikjournalistin Ruth Rothwax auf eine Rundreise durch Polen, gemeinsam mit ihrem Vater Edek, einem Holocaust-Überlebenden. Wir sind im Jahr 1992, noch ‚sieht‘ man den Osten in seiner ganzen Schäbigkeit und Tristesse. Die Verständnisprobleme zwischen Ruth und den Menschen in Polen existieren nicht nur, weil sie kein Polnisch kann, sondern weil sie aus einer gänzlich fremden Welt kommt. Man ist sich sehr fremd.

Lilly Bretts Roman „Zu viele Männer“ ist die Vorlage des Films © Suhrkamp Verlag

Cover der DVD

Ruth will dem Vermächtnis ihrer jüdischen Familie auf den Grund gehen und kämpft dabei an zwei Fronten: Ihr Vater will über die Vergangenheit nicht reden, sondern lieber alles ruhen lassen. Und auch im Polen nach dem Zerfall des Ostblocks ist der Antisemitismus nicht ausgestorben.

Edek ist kauzig, humorvoll und charmant, lässt aber niemanden wirklich an sich heran. Ruth ist geschieden und ziemlich neurotisch – bei ihren Frühstücksgewohnheiten angefangen bis hin zu einer eintätowierten KZ-Nummer. Man fragt sich früh, ob und wie beides miteinander zusammenhängt und spürt, dass die Sprachlosigkeit zwischen Ruth und Edek auch damit zusammenhängt, dass sie nichts von seiner Geschichte weiß.

Edek folgt Ruth nur unwillig bei ihrer Suche nach Erinnerungsstücken und sabotiert ihre Pläne immer wieder. Weder will er die Ruine der Fabrik anschauen, die der Familie einst gehörte, noch die Wohnung gehen, in der die Familie bis zur Deportation 1940 wohnte. Er freundet sich noch am Flughafen in Warschau mit dem Taxifahrer Stefan an, obwohl Ruth Zugtickets gekauft hat, um von Warschau in die ehemalige Heimatstadt Lodz zu fahren. Ihr Vater aber zieht Stefans Mercedes dem Zug vor. Denn Mercedes mag er, nur die Deutschen hasst er.

Der zynische Spruch am Eingang des KZ Auschwitz „Arbeit macht frei“ ...© Jutta Hamberger

Diese Gleise im Lager wurden erst 1944 für die Deportation der ungarischen Juden angelegt, ...© Jutta Hamberger

Häftlings-Baracken in Birkenau © Jutta Hamberger

Dass ihr Vater sich nie mehr in einen Zug setzen wird, der durch Polen fährt, versteht Ruth erst, als er ihr in Auschwitz an einem von Gras überwuchernden Gleis erzählt, wie ihr Transport hier einen Tag und eine Nacht stand, bis endlich die Waggontüren aufgingen. Eng sei es gewesen, und man habe knöcheltief in der Pisse und Scheiße gestanden. Sieht man diese Szene, bekommt man Atemnot. Die bekommt man auch bei den Szenen in der alten Wohnung der Familie – die Couch steht noch da, das Teeservice, eine Silberschale, auch der Mantel von Edeks Vater hängt noch am Haken. Aber man wird konfrontiert mit einer polnischen Familie, die behauptet, die Wohnung sei 1940 völlig leer gewesen. Natürlich eine Schutzbehauptung, die Angst, die ehemaligen Besitzer könnten ihr Eigentum zurückfordern, ist groß.

Erinnern, um mit den Traumata fertig zu werden

Ruth spürt mit jeder Stunde dieser Reise, wie wenig sie eigentlich von ihrem Vater und seinem Schicksal weiß. Am schrecklichsten Ort der Welt – den seine Insassen ‚Anus Mundi‘ nannten – kommen die beiden sich endlich nahe. Die Traumata sind damit nicht verarbeitet, aber die beiden schaffen es, endlich miteinander zu reden.

An der Rampe – in solchen Viehwaggon wurden die Menschen nach Auschwitz deportiert ...© Jutta Hamberger

"Treasure" kommt ganz ohne deutsche Täter aus, die sind allerdings in Edeks Erzählungen stets präsent. So verschiebt sich der Fokus auf das jüdisch-polnische Verhältnis, das letztlich ungeklärt ist. Der Film flüchtet sich nicht in billige Abziehbilder, sondern schildert die Polen, denen Edek und Ruth begegnen, sehr differenziert. Aber die schwierige Vergangenheit wird nicht geleugnet, dafür stehen Stichworte wie das Pogrom von Kielce (04. Juli 1946), oder der Umgang mit der Shoah durch die PiS-Regierung, die während der Dreharbeiten noch an der Macht war. Dass sich in Polen aber etwas positiv verändert, zeigt sich an der Figur des Taxifahrers Stefan, den der in Polen sehr bekannte Zbigniew Zamachowski spielt.

Eine gewisse Bissigkeit hat der Film, wenn etwa Ruth Tourismus-Guides und Hotelangestellte streng korrigiert, Auschwitz sei kein Museum, sondern ein Todeslager. Kein running gag, sondern extrem nötig, auch, wenn man die Geschäftigkeit des heutigen Betriebs in Auschwitz vor Augen hat oder die Vermarktung von Fahrten dorthin.

Und was ist nun der titelgebende Schatz? Vor allem wohl die Erinnerungen und die Geschichte, so schmerzlich sie auch sein mögen – symbolisiert durch die Blechbüchse, die Edek an der Hausschwelle ausgräbt, wo er sie einst mit seinem Vater versteckt hatte. Der Film ist auf DVD und diversen Streaming-Portalen erhältlich.

Foto: Nicole Dietzel, Dinias

(Jutta Hamberger)+++

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