Ein Ostermärchen wird wahr. Vergessen wir doch diese Streiks und die schmissigen Auftritte eines gewissen Lokführer-Führers. Jetzt herrscht Friede auf unseren Schienen. Bemerkungen von Rainer M. Gefeller. - Grafik: O|N

REGION Echt jetzt! (1)

Sankt Weselsky! - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

28.03.24 - Ein Ostermärchen wird wahr. Vergessen wir doch diese Streiks und die schmissigen Auftritte eines gewissen Lokführer-Führers. Jetzt herrscht Friede auf unseren Schienen. Blöd nur, dass die Züge trotzdem nicht so fahren wie sie sollten – aber dazu später. Jetzt schauen wir erstmal den Verhandlern zu, wie sie sich selber feiern. Das gilt vor allem für den Mann, den wir alle als finsteren Lord Voldemort der deutschen Gewerkschaften ins Herz geschlossen haben. Nun steht er vielleicht kurz vor der Heilig-Sprechung: Sankt Weselsky! Ach, lassen wir doch ihn und die Seinen mit ihrer Macht-Lyrik allein. Gab es nicht Zeiten, als alles viel besser war? Oder jedenfalls übersichtlicher?

Früher, da gab’s nur zwei Traumberufe: Indianer-Häuptling wollte ich werden, oder wenigstens Lokomotivführer. Winnetou & Co wurden zwischenzeitlich im Orkus der kulturellen Aneignung versenkt, und die Lokführer hat deren Ober-Häuptling zielsicher aufs Abstellgleis geleitet. Lokführer! Herr über einen 100-Tonnen-Koloss (plus hintendran hängende Waggons). Held der Schienen, Schutzengel der Reisenden, Kapitän des größten landgestützten Fahrzeugs der Welt. Welche Verantwortung! Welch unermüdlicher Einsatz! Welches Ansehen! Und außerdem kommt man auch noch rum in Deutschland.

Claus Weselsky ist ein deutscher Lokführer und Gewerkschaftsfunktionär. ...Archivfoto: O|N / Urbin

Das war gestern. In den Jungen-Träumen von damals kamen keine Streiks vor, und Herr Weselsky natürlich auch nicht. Der Mann hat es geschafft, dass die meisten der gut 19.000 Lokführer (gerade mal vier Prozent von ihnen sind übrigens weiblich) seiner Trillerpfeife gefolgt sind. Lokführer, was ist aus euch geworden?

Früher hatte das deutsche Fernsehen auch zur Nachtzeit noch Kleinode der Volksbildung im Programm, zum Beispiel Mitfahrten im Führerstand von Zügen; da konnte man die Magie und hypnotisierende Eintönigkeit des Lokführer-Daseins miterleben. September 2006: die Kamera blickt stoisch durch die Windschutzscheibe des Regionalzuges nach Frankfurt, Start in Fulda, Gleis 1. Behäbig geht’s westwärts, vorbei an den Gummiwerken, hinein in die Waschküche von Bronnzell: Nebel! Nebel in Kerzell, in Neuhof, in Flieden. Eine blecherne Stimme sagt: Sifa. Das ist die "Sicherheitsfahrschaltung", mit deren Hilfe irgendjemand im fernen Leitstand feststellen kann, ob unser Lokführer gerade ein Nickerchen macht. Wenn ja, wird der Zug per Zwangsbremsung zum Stehen gebracht. 

Das ist beruhigend in dieser Nebelsuppe, erst recht aber ein paar Kilometer weiter, im Schlüchterner Tunnel, wo es uns und dem Lokführer schwarz wird vor Augen; gerade so, als würde uns eine blickdichte Mülltüte über den Kopf gezogen. Aber da hinten ist ja Licht, und plötzlich ist auch der Nebel weg. Helle Fahrt bis Frankfurt! Der Distelrasen, der das Wetter zwischen Fuldaer Land und Main-Kinzig-Kreis scheidet, hat mal wieder ganze Arbeit geleistet. Und der Lokführer auch.

Aber weshalb braucht der Mensch im Führerstand überhaupt seinen Kumpel Sifa? Weil dadurch, lesen wir irgendwo, die "einmännige Führung von Triebfahrzeugen" ermöglicht wird. Sifa kassiert keinen Lohn. Sifa streikt nicht. Sifa belegt, wie Bahn-Manager beim Wegrasieren von Jobs schon vor Jahrzehnten ungleich erfolgreicher waren als bei der Organisation von Pünktlichkeit und größtmöglicher Kunden-Freundlichkeit. 

Der Dieseltriebzug RE 4509 passiert menschenleere Bahnsteige, hält in Hanau und im hässlichsten Bahnhof Hessens, Offenbach Hbf, bevor er auf den Rammbock im Frankfurter Sackbahnhof zurollt. Pünktlich! Die Männer im Lok-Cockpit haben unsere Achtung verdient. Und unser Mitgefühl. Absurd klingende Schichtdienst-Einsätze, häufige Sechstage-Wochen, Dauer-Stress – und das alles bei vergleichsweise bescheidenem Entgelt. Möge es ihnen künftig besser gehen.

Als die Raufpartner des Tarifstreits sich vorgestern im Lichte ihrer Verhandlungskunst sonnten, hat das die Republik kaum noch gejuckt. Die traurige Wahrheit ist doch: Die Bahn braucht den Herrn Weselsky gar nicht, um Chaos anzurichten; das schafft sie ganz allein. Zum Beispiel gerade jetzt, zwischen Fulda und Frankfurt. Mit einem ausgeklügelten Baustellen-Management. Danke für nix! (Rainer M. Gefeller) +++

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