Unermüdlich dreht sich das Glühwein-Karussell – mal unverfälscht, mal mit von unserem Fotografen einmontiertem Wahlkampf-Schmuck. - Fotos: Michael Otto

FULDA Echt jetzt! (36)

"Liebling Merz" und andere Glühwein-Träume - Bemerkungen von R. M. Gefeller

13.12.24 - Nur noch 72 Tage bis zur Bundestagswahl, da kocht auch im Advent die Stimmung hoch. Worüber reden wir auf dem Fuldaer Weihnachtsmarkt? Ist doch klar: Wo gibt’s den besten Glühwein? Welche Bratwurst ist am knackigsten? Haben wir schon alle Geschenke beisammen? Aber was wäre, wenn uns plötzlich Deutschlands berühmteste Wahlkämpfer ansprechen würden? Einige Partei-Vertreter haben sich ja angekündigt, "dezent" wollen sie auftreten. Wohin mit dem Glühwein-Glas, wenn uns da jemand einen Flyer in die Hand drücken will?

Schließen wir die Augen und stellen uns vor, wie die Polit-Prominenten hier bei uns Wahlkampf betreiben. In der Karussellbar am Buttermarkt oder an einem der vielen Glühweinstände. Bleiben Sie entspannt, jeder Albtraum geht vorüber. Ah, es geht schon los – der da drüben, ist das nicht Olaf "Doppelwumms" Scholz?

"Ich will Kanzler"

Still ruht der Wahlkampf, noch: Parteizentralen in Fulda.

Er hat beide Hände frei, also meint er es wahrscheinlich ernst. Im Herbst 2021, als er unentwegt sagte: "Ich will Kanzler", hat er auch keinen Tropfen Alkohol getrunken. Der Mann wird häufig als "nüchtern" beschrieben. Außerdem braucht er seine Hände zum Schütteln. Er steht da, kneift die Augen zusammen wie ein buddhistischer Philosoph und lässt sich mit umstehenden Glühwein-Enthusiasten fotografieren. Gesagt hat er bereits alles, zum Beispiel, dass er "etwas cooler" sei als sein Konkurrent Merz.

Wenn’s in den Wahlkampf-Endspurt geht, wird er vielleicht sogar eine Lieblings-Vokabel der Meister-Wahlkämpferin Angela "Mutti" Merkel stibitzen und behaupten, als Kanzler sei er einfach "alternativlos". Als Friedens-Kanzler. Als Retter der Renten und Schutzherr der Wirtschaft, des Sozialsystems und der Lebensmittelpreise. Mehr geht natürlich nicht. Außer bei den Umfragen. Die sehen kein bisschen kanzlermäßig aus.

"Cheri, Cheri Friedrich"

Ein paar Meter weiter nippt der Friedrich Merz an einem Heißgetränk (aber ganz vorsichtig, damit er sich nicht "die Schnüss verbrennt"). Wer steht denn da neben ihm? Ist das nicht, äh, der Pop-Titan und selbstnominierte Kanzlerberater Dieter Bohlen? Oh, bitte, Meister Merz – lass ihn bloß nicht singen! Das kostet Stimmen, garantiert. Die "taz" empfiehlt bereits als Kanzler-Song: "Cheri, Cheri Friedrich." Alle mal schunkeln! "Liebling Merz" will "mehr Sauerland wagen". "Das Sauerland", hat der Sauerländer gesagt, "steht für vieles, wofür auch Deutschland steht". Niedrigere Arbeitslosenquote als im Rest der Republik, höhere Kaufkraft, weniger Firmenpleiten. Das Sauerland ist meistens NRW, aber nicht nur.

Die höchsten Gipfel (Langenberg, Hegekopf, Kahler Asten) übersteigen alle knapp die Höhe von 840 Metern und sind mithin verglichen mit der Wasserkuppe zwergwüchsig. Der Langenberg ist ein zerrissener Berggrat – nördlich NRW, südlich Hessen. Der Hegekopf gehört gleich komplett zu uns. Was bleibt der westfälischen Provinz da eigentlich noch vom Sauerland? Die größte Stadt heißt Iserlohn (schon mal gehört?) Berge, Stauseen, Buchen- und Fichtenwälder, in dem Land können sich die 198 Einwohner pro Quadratmeter leicht verlaufen. Der gern unverschämte Jürgen von der Lippe hat den Sauerländern was gesungen:

Ja, so sind die Sauerländer!
Ho-ho-ho-hose zu, aber dat Wesen immer offen –
Sachlich, wortkarg und gerne mal besoffen!
Und die ham so 'ne gute Luft und so'n trockenen Humor
Nur wenn einer was nicht versteht, dann kratzt er sich erst am Ohr
Dann wird er sauer und rennt immer mit'm Kopf an die Wand –
Und weil das dauernd vorkommt, heißt die Gegend Sauerland!

Nee, Herr Merz. Wir raten stattdessen: Weniger Sauerland wagen. Ist erfolgversprechender. Auch wenn’s die CDU momentan nicht so nötig hat. Aber wer weiß?

In unserer Fantasie drängen sich zwei echte Schlaumeier unters Volk. Die brauchen keinen Glühwein gegen die Kälte, die tragen Rollkragenpullover. Der eine, Christian Lindner, im dezenten Schwarz, der andere, Frank Buschmann, im taktisch schlauen Senfgelb. Ob der Mann gleich noch eine Bratwurst vertilgen will? Und ob die Liberalen "Sauerland für alle" fordern, damit der Herr Merz sich ihrer erbarmt? Da, kaum hat man einen Moment weggehört, da haben sie stattdessen schon wieder ihr Lieblingswort ausgesprochen: "Schuldenbremse!" Ach, Mensch! Neue Themen braucht das Land, neue Wörter auch. Da hinten ragt die Fünf-Prozent-Hürde auf wie die Eiger-Nordwand. Können die beiden Männer klettern? Das ganze Land schaut zu, wundert sich und wartet erstmal ab.

Sahra Wagenknecht: Die Politik-Rakete des Jahres

Gleich nebenan kraxelt Sahra Wagenknecht. Fünf Prozent! Was gestern noch lächerlich leicht schien, wirkt heute so schwer. Ob die "Salon-Linke", wie sie vom Ruhrpott-Medium "Der Westen" genannt wird, beim Kampf gegen die Steilwand auch eines ihrer immergleichen, aber stets anders eingefärbten Kostüme von "Peter Reinwald Couture" trägt? Das wäre ihr vermutlich nicht sportlich genug. "Wenn man sehr ungünstig aussieht", hat sie 2017 der FAZ verraten, "entwertet das irgendwie auch den Inhalt." Wagenknecht war die Politik-Rakete dieses Jahres, aber jetzt ist der letzten Zündstufe anscheinend der Treibstoff ausgegangen. Was sind ihre Inhalte? Die DDR war gar nicht so schlimm, wie immer alle behaupten. Der Putin ist nicht so schlimm, wie immer alle behaupten. Die EU ist viel schlimmer, als alle behaupten, vor allem auch wegen der Migration. Vor den USA muss man sich in Acht nehmen. Und der Ukraine-Krieg soll jetzt mal endlich, "eine Minute vor Zwölf", diplomatisch beendet werden. Was gibt’s noch von ihr? 500 Euro Weihnachtsgeld für alle 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner. Und 120 Euro mehr Rente im Monat. "Wer soll das bezahlen? Wer hat das bestellt? Wer hat so viel Pinke-Pinke? Wer hat so viel Geld?" hat der legendäre Kölner Karnevalist Jupp Schmitz 1949 gesungen.

Alice Weidel: "Rechts von mir steht nur noch Dschingis Khan"

Bleibt noch Alice Weidel, die sich gern "Lille" nennen lässt. Die würde bestimmt gern ein Gläschen mittrinken – aber trinkt auch jemand mit ihr? Sieht nicht so aus. Nachher sieht man sich bei der fröhlichen Zecherei mit der Rechts-Auslegerin auf Instagram, das gäbe einen echten Wahlkampf-Knüller. Von den Umfragewerten ihrer AfD würde Lindner träumen (Scholz übrigens auch). Früher hat mal ein Chefredakteur von "BILD" erklärt: "Rechts von mir steht nur noch Dschingis Khan." Ist rechts neben Frau Weidel noch Platz? Die EU ist ihr ein Dorn im Auge, ihre AFD ist den meisten zu aggressiv und ausländerfeindlich. Vieles davon wird von ihr gerade in einen Weichspüler getunkt. Aber wir sollten nicht vergessen, wie sie 2018 im Bundestag gegen "Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse" gewütet hat. Meine Mutter, Gott habe sie lieb, hat auch oft ein Kopftuch getragen, gänzlich ohne Migrations-Hintergrund... Frau Weidel hat gerade frisch von der Leber weg einen Regierungsanspruch erhoben; schließlich sei die AfD "zweitstärkte Kraft in Umfragen". Das ist mal eine echte Knall-Idee: Die Wahl wird abgesagt, zum Regieren braucht man nur noch die Meinungsforscher.

Habeck sagt Dinge, die sonst nur Herbert Grönemeyer singen kann

Da will noch einer gewählt werden: der Küchentisch-Philosoph Robert Habeck. Ob der Mann überhaupt Zeit und Lust hätte für Glühwein-Gespräche? Und würden wir begreifen, was er sagt? Die "Zeit" hat kürzlich gefragt: "Warum redet er so komisch?" Auf dem letzten Grünen-Parteitag hat er, irgendwie ergriffen von sich selbst, erklärt, wie er seinem Kind das Schwimmen beigebracht hat: "Du musst dich bewegen, sonst gehst du unter!" Wenn man im Sumpf steckt, gilt freilich das Gegenteil: Wer strampelt, sinkt immer tiefer.

Statt auf Weihnachtsmärkten wirbt der Ober-Grüne lieber in YouTube-Filmchen. "Hi, ich bin Robert. Passt das so für dich?" Solche Küchentisch-Auftritte möchte Habeck gern "in meinen Alltag" einbauen. In dem Ambiente kommen ihm auch Sätze wie dieser besonders flüssig über die Lippen: "Ich möchte eine Nachdenklichkeit in den Raum stellen, die ich nicht gleich mit einer Antwort zuballern will." Hä? Habeck sagt Dinge, die sonst nur Herbert Grönemeyer singen kann.

und der mensch heißt mensch

weil er vergisst,

weil er verdrängt,

und weil er schwärmt und stählt

weil er wärmt, wenn er erzählt

Die ganze Republik hat im Sommer 2002 den Grönemeyer-Song gesungen – obwohl geschätzt 56 Prozent der Kunden vielleicht nicht alles verstanden haben, schon wegen seiner Press-Stimme. Die BILD-Zeitung jedenfalls sah sich genötigt, den Text für ihr Publikum ins Verständliche zu übersetzen. Auf derartige Schützenhilfe kann Habeck anscheinend verzichten: Seine Umfragewerte steigen.

Verehrter Wirt, haben Sie noch ein Gläschen für uns? Die Wahlkämpfer gab’s ja nicht wirklich. Oder? Nein, jetzt ist Weihnachtsmarkt; da haben die nichts zu suchen. Vom Kinderkarussell nebenan frisst sich ein Lied von Götz Alsmann in unsere Ohren und geht nicht mehr raus: Eine Muh, eine Mäh. Eine Täterätätä. Eine Tute, eine Rute. Eine Hopp-hopp-hopp-hopp. Das ist doch was Handfestes! Auf Facebook ist mir ein Spruch begegnet: Weihnachtsmarkt ist, wenn man so lange Glühwein trinkt, bis man Sachen aus Filz gut findet. Zum Wohlsein! (Rainer M. Gefeller)+++

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