Du Wetter, Du Sau! - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller
04.07.24 - Alle reden übers Wetter; ich auch. Während ich das hier schreibe, patscht der Regen an die Scheiben, als würde irgendwer die Wolken bis zum letzten Tropfen auswringen. Vor zwei Wochen noch standen wir bis zu den Knöcheln im Matsch, danach hat die Sonne unsere Hirnzellen geröstet, sodann brachten Wolkenbrüche, pünktlich zum Start des Fuldaer Stadtfestes, die hiesige Kanalisation an ihre Grenzen. Als Nachtisch gab’s noch Blitze, Donner, Hagel, Gluthitze – und jetzt ist es frisch wie am Nordkap. Sauwetter! Davon hat uns unsere Wetter-App kaum berichtet. Im Regelfall gilt: Wenn das Smartphone Sonnenschein vorhersagt, packt man besser den Regenschirm ein. Wenn das Smartphone sagt, es regnet, kann man eine aus der Mode geratene Kontroll-Methode anwenden: Aus dem Fenster gucken. Hach, hab‘ ich’s doch gewusst: blauer Himmel, wolkenlos!
Jörg Kachelmann, der rauflustigste unter den Regen&Sonne-Experten, urteilt über die vorinstallierten Wetter-Apps von Google und Apple so: "Das ist die erbärmlichste Wettervorhersage, die man haben kann". Sylt-Urlauber nerven gern ihre Umwelt, indem sie den Entspannten geben: "Falsches Wetter gibt es nicht, nur falsche Kleidung." So kann man sich die Sturzfluten auch schön faseln, die einem gerade den teuer herbeigeschafften Strand unter den Füßen wegreißen. "Der Sommer macht, was er will", nörgelt die "Süddeutsche". Darf der das? Kachelmanns Kollegen überspielen ihre Ratlosigkeit gern mit kriegerischem Vokabular, warnen mal vor "Hitze-Hämmern", mal vor "Wasserbomben"; ein Facebook-Kunde macht auch noch Witze und fordert "Regensteuer jetzt!"
Wetter-Guru Kachelmann klärt uns auf: "Eine wärmere Welt ist eine nassere Welt". Danke, das wissen wir schon aus dem Urlaub in den Tropen. Aber was ist, wenn der Himmel über uns bereits explodiert? Wenn wir’s nicht ins Auto oder in die Wohnung geschafft haben sollten, sind wir echte Pechvögel: "Völlig wurscht, ob Sie neben einer hohen Straßenlaterne, unter einem Baum oder neben einem Kunstobjekt aus Kupfer stehen: Wenn der Blitz Sie will, dann macht er, was Blitze so tun. Und Sie tun danach meistens nichts mehr." Aha. Der Herr Kachelmann ist eine echte Stimmungskanone.
Echt jetzt: Das Wetter kann uns mal. Bei uns daheim ist Sommer. Das merkt in Fulda auch der letzte Kalender-Ignorant, wenn der Spargelstand neben dem einstigen Karstadt weg ist: Drei Tage nach dem "Spargel-Silvester", dem letzten Ernte-Tag, ist offiziell Sommer-Anfang. Ganz egal, ob der Himmel die Backen aufbläst, ob uns da oben irgendjemand nass machen will oder ob er uns mit Eisklumpen bewirft. Seit der globale Klima-Umsturz auch viele althergebrachte Wetter-Regeln pulverisiert hat, bleibt uns nur noch der Nonsens: "Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt, wie es ist." Während das Fuldaer Stadtfest trotz bedrohlicher Unwetter-Warnungen unbehelligt vor sich hinplätscherte, hat ein Gewittersturm unserer Nationalelf beinahe das Achtelfinale verhagelt. Jetzt schwärmen etliche schon vom "Donnermärchen". Auch dem schlechten Wetter wohnt ein Zauber inne, hätte Hermann Hesse vielleicht sagen können...
Pardon, ihr Hersfelder, Hünfelder, Schlüchterner oder Lauterbacher: Fulda ist unbezweifelbar die schönste Stadt zwischen Beirut und Stockholm. Mindestens aber zwischen Gersfeld und Alsfeld. Das Einzige, was fehlt, ist der direkte Zugang zum Mittelmeer. Ja, tut mir leid, der Gedanke ist geklaut – dasselbe hat der begnadete Kabarettist Matthias Beltz über seine Heimatstadt Frankfurt gesagt. Aber wie kann man bloß auf die Idee kommen, die Wolkenkratzer-Kommune als mediterran und anheimelnd zu empfinden? Frankfurt hat gewiss auch seine Vorzüge, jedoch so viel südländisches Flair wie eine Kühlkammer im Schlachthof; außerdem pfeift zwischen den Hochhäusern sommers wie winters ein fieser Wind.
Früher kamen nur die ganz Harten nach Osthessen
Also Fulda. Früher, als die Klimakrise noch weit weg war, kamen nur die ganz Harten nach Osthessen. Hier war’s immer ein bisschen kälter als im Rest des Landes, vor allem in Südhessen stiegen die Thermometer-Werte alleweil ein paar Grad höher. Damals muss Fulda irgendwo in der Nähe von Sibirien gelegen haben. Damals musste man sich auch an Sommerabenden mit einem Strickpulli von Mutti bewaffnen, wenn man an einem der wenigen Freiluft-Tische Platz nehmen wollte.In den letzten Jahren haben wir uns daran gewöhnt, Fulda zu den Gewinnern der Klimakatastrophe zu zählen. Die Stadt brummt, das gesamte Zentrum ist ein Freiluft-Restaurant: auf der vollmöblierten Friedrichstraße, rund ums Kaufhaus Galeria bis hin zum Buttermarkt sowie in den Gassen drumherum; neuerdings gibt’s sogar einen "Bier- und Kulturgarten" auf dem Dach des City-Parkhauses. Der Schlossgarten: ein kleiner Central-Park, Familien und Studenten bevölkern die einstmals heiligen Rasenflächen. Besucher staunen über all die Gourmet- und Wein-Festivals, die Konzerte überall und sogar auf dem Domplatz, die hausgemachten Musicals. Die Stadt, die sich früher so zugeknöpft gab, hat eine Strahlkraft, die immer mehr Touristen in ihren Bann zieht. So hat die Erderwärmung ein Business-Modell befördert: als touristischer Hotspot (welch ein grandioser Begriff), als Kultur- Gastro- und Ereignis-Bühne in barocker Kulisse. Und wenn das Wetter mal wieder die Sau rauslässt – auch egal. Wir lassen uns doch nicht in unser Gemüt regnen.
Im Kopf-Kino scheint sowieso immer die Sonne, falls wir es wünschen. Wie wär’s mit einem Besuch in der wilden Welt von Helge Schneider? 2013 machte er sich‘s auf Platz 1 der Album-Hitparade gemütlich, mit "Sommer, Sonne, Kaktus!" Den Titelsong, sagt der knorzige Künstler, habe er in zehn Minuten komponiert; man glaubt es sofort. Die "Welt" bezeichnete das Werk als "vertonten Sonnenstich". Bravo, genau das wollen wir jetzt hören.
Sommer, Sonne, Kaktus
Playing Federball on the beach
Blauer Himmel, gute Laune
And a beautiful Girl auf′m Schoß.
Das Gesamt-Werk gibt es natürlich auch auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=r660AcCnC6Y (Rainer M. Gefeller) +++