Roy Black gibt 1981 Autogramme im Fuldaer Hosenstudio. - Fotos: Stadtarchiv Fulda

REGION Echt jetzt! (29)

War früher wirklich alles besser? Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

25.10.24 - War früher wirklich alles besser? Na klar, was für eine dämliche Frage. Haben doch sogar die Beatles gesungen; "Yesterday, als all meine Probleme so weit weg schienen. Jetzt sieht’s so aus, als würden sie hierbleiben. Oh, ich glaube echt an Yesterday." Herrschaften, ist das traurig.

Allerdings haben die "Fabelhaften Vier" den Song 1965 veröffentlicht. Wohin sehnten die Herren sich denn zurück? In die grauen, grauenhaften 50er? Oder zu dem noch grauenhafteren Großen Krieg? Lasst uns eine kurze Zeitreise unternehmen, dann wissen wir ja, wo die Musik spielt.

Rückblick: Disco-Partys, Rock-Konzerte, Bauerndiscos

Stimmung in der Diskothek Chalet, 1975. 

Kurzer Besuch in Idstein im Taunus. Die "Scheuer" lutscht uns ins vergangene Jahrhundert – rote, grüne, orange Farben auf grobem Putz. Riesen-Eidechsen kriechen die Wände hoch. Eine Bühne, Disco-Partys, Rock-Konzerte, "Tribute-Bands". Im Kartoffelkeller hat Gastwirt Rudi in den 60ern "Quetscheschnaps" gebrannt; Reste davon soll’s heute noch geben. Dann erste Konzerte, Bauerndiscos, Faschingspartys. Heute ist die Tanz-Scheune immer noch da. Mit Partys in Hessens "KultKlubs" badet HR1 seine Kundschaft in Erinnerungen an die Vergangenheit.

Letztes Wochenende war das "PopCorn" dran, Hünfelds In-Disco von 1972 bis 1997. HR1-Moderatorin Sylvia Hohmann amüsierte sich: Da soll’s ja sogar Teppiche an den Wänden gegeben haben. Stimmt genau! Gerhard Adlt und Meinhard Kehl, die beiden Chefs, arbeiteten bei der Dura in Fulda – da drängte es sich ja auf, nicht nur den Fußboden mit Teppichen zuzukleben. Eine lange weiße Theke dominierte den Raum, bis zu 600 Feierwütige tanzten sich in dem engen Keller auf den Hacken rum; aus den Lautsprechern dröhnte Volks- und Partymusik.

"Chalet war die beste Disco aller Zeiten"

Wo sind sie geblieben, die alten "Diskotheken" und Tanzbars? In Fulda ist die Liste der untergegangenen Clubs lang: Palette (später La Bohéme), Pferdestall, Pony (später Laterne), Rennstall, Lenz-Bar, Cést la Vie, Chalet... In der Palette am Peterstor brachte DJ Fred Schreier seit 1965 die heutigen Senioren mit Beatles und Rolling Stones in Stimmung; Sonntagsnachmittags tanzten sie sich die Füße in der "blauen Stunde" wund. Und auch im Pony schwappten die Leidenschaften hoch, ein bisschen Liebe, ein paar Hiebe. Im Dämmerlicht hockten Zocker und warteten, dass die Trinker und Tänzer endlich müde wurden. Dann kamen die Karten auf den Tisch, und die Geldbündel. "Chalet war die beste Disco aller Zeiten", schreibt eine Lady auf Facebook und offenbart ihr kraftraubendes Freizeit-Programm: "Danach ab 1 Uhr in die Lenz-Bar bis um 4 und dann zur Autobahnraststätte Großenmoor." Dort gipfelte das Nachtleben in Jägermeister-Exzessen.

"Du kannst nicht immer 17 sein"

So tanzten wir uns durch die letzten Jahrzehnte des untergehenden Jahrtausends. Die Begleitmusik war üppig und steckt den Alten noch heute in den Knochen. "Those were the Days my Friend", sang Mary Hopkin 1968, "we thought they’d never end.” Pustekuchen, natürlich gingen sie vorbei, diese verklärten Tage – "Du kannst nicht immer 17 sein", hat der jugend-weise Chris Roberts schon 1974 gewusst: "Liebling, das kannst du nicht." Die Politiker, die damals was zu sagen hatten, hießen Willy, Helmut, Franz-Josef, Herbert und natürlich auch Alfred, der Matador der Konservativen in der Bundes-CDU und berühmteste Ex-Oberbürgermeister von Fulda. Musik wurde damals auf Kassetten aufgenommen. Man trug die Haare lang und die Röcke kurz. Am 25. August 1967 drückte Willy Brandt auf der Berliner Funkausstellung einen roten Knopf und gab damit den Startschuss fürs Farbfernsehen in Deutschland. Neun Jahre früher wurde Fuldas erste Rolltreppe im neuen Kaufhaus Kerber in der Rabanusstraße zur Attraktion der Jugendlichen.

In seinem traurigen Abgesang auf das 20. Jahrhundert textet Rainald Grebe:
"Ich habe noch Briefe mit dem Füller geschrieben und mit Münzen telefoniert.
Hat es mir geschadet?
Ich bin noch ohne GPS gewandert, hab halt öfter nach dem Weg gefragt.
Hat es mir geschadet?"

Andererseits: Hätten wir heute überhaupt noch genügend Kraft in den Armen, um ein Auto ohne Servolenkung in die Parklücke zu bugsieren? Müssten wir die Hände wieder in die Hosentaschen stecken, weil wir uns nicht mehr an unserem Smartphone festhalten könnten? Wie kämen wir ohne Mikrowelle noch an warme Mahlzeiten? Wie hat sich das angefühlt, als wir Krieg nur aus Büchern und den Erinnerungen unserer Oldies kannten? Haben wir uns nicht immer irgendwie angeschmiert gefühlt, wenn wir im Italien-Urlaub unsere D-Mark in gewaltige Lira-Bündel tauschen mussten? Und wie war das auf dem Fuldaer Domplatz, als dort allenfalls Kirchenlieder statthaft waren – für Weltstars wie Sting oder Tom Jones musste man in die Großstädte pilgern. Immerhin: 1981 schaute Roy Black mal in Osthessen vorbei und verteilte Autogramme.

"Hitparade" lockte bis zu 20 Millionen Zuschauer

Anfang der 70er standen kreischende Mädchen in den Gassen von Fulda. Barry Ryan war da, der laut Liedtext auf den Knien rutschte, um seiner Angebeteten zu huldigen: Eloise. In den 60er und 70er Jahren dachten viele, die internationalen Stars hätten ganz Deutschland erobert – die Monkees ("I’m a Believer"), Elvis, Roy Orbison ("Oh, Pretty Woman") die Bee Gees, Queen, Led Zeppelin, Abba; Beatles und Stones sowieso. Aber nix da. Dieter Thomas Heck, der Lauteste unter den Musik-Moderatoren, lockte mit seiner deutschen Schlagern vorbehaltenen "Hitparade" bis zu 20 Millionen Zuschauer an – der Beat Club, die Samstagsnachmittags-Show für internationale Hits, wurde "nur" von zehn Millionen Fans eingeschaltet. Dafür waren die Zuschauer sehr viel jünger als die von Heck. Als am 25. September 1965 der allererste Beat-Club ausgestrahlt wurde, warnte der spätere Tagesschausprecher Wilhelm Wieben zu Beginn die Seniorenschaft: "Sie aber, meine Damen und Herren, die Sie Beatmusik nicht mögen, bitten wir um Verständnis."

Musikalischer Aufbruch

1968, im namenstiftenden Jahr der aufrührerischen 68er, war in der Jahres-Hitparade von musikalischem Aufbruch nichts zu spüren. Platz 1: Heintje mit "Mama". Platz 2: Heintje mit "Du sollst nicht weinen". Platz 3: Tom Jones mit "Delilah". Platz 4: Heintje mit "Heidschi bumbeidschi". Platz 5: Peter Alexander mit "Der letzte Walzer". Platz 6: Die Beatles mit "Hey Jude." So klang die Wirklichkeit. Wenn heute Party angesagt ist, dröhnen sie alle einträchtig aus den Boxen – Drafi Deutscher und Madonna, Jürgen Drews und Michael Jackson, Roy Black und Tina Turner. Wer einst von Schlagern peinlich berührt war, brüllt heute begeistert mit. "Y.M.C.A." von den Village People, die vielleicht erste globale Schwulenhymne aus den 70ern, ist heute einer der Lieblings-Songs von Donald Trump. Und Peter Schillings "Major Tom – Völlig losgelöst" von 1982 ist der aktuelle Tor- und Siegeshit in allen deutschen Fußballstadien.

"Mit 66, da fängt das Leben an"

Derzeit ist die gesamte Babyboomer-Generation – die Jahrgänge 1954 bis 1969 – auf dem Weg in die Rente. Drei Millionen haben’s schon geschafft, die restlichen 16 Millionen werden in den nächsten zwölf Jahren folgen. Die wollen dann natürlich auch auf den Putz hauen, fit wie sie sind; auf einmal sind sie alle Fans von Udo Jürgens: "Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an!" Also sollen die Tanzflächen brennen, "Du bist nie zu alt für den Rock’n’Roll, wenn Du zu jung zum Sterben bist", haben die guten alten Jethro Tull uns beigebracht. Da soll der noch ältere Hans Albers mal schön die Klappe halten: "Auf Matrosen ohé, einmal muss es vorbei sein!" Den Schlussakkord kriegt dann doch lieber der Udo:

"Mit 66 Jahren, da kommt man erst in Schuss.
Mit 66 Jahren, ist noch lange nicht Schluss."

Wenn Sie mal üben wollen, ob die wohl trainierten Gebeine noch den alten Rhythmus beherrschen: im einstigen Kerber, dem heutigen Kaufhaus Karl, wird ein Karnevals-Kracher der 70er Jahre reanimiert: "RaRaRi: Randstaaten, Raritäten, Ringelpietz". Sowas konnte sich nur der Egon Freiwald einfallen lassen – Chef der Feinkostabteilung im Kerber, Faschingsprinz und sowas wie der Zeremonienmeister der Fuldaer Gesellschaft. Am Samstag, 16. November, präsentiert der "Förderverein Fastnachtsmuseum" ein Potpourri aus vergangenen Kampagnen.

Jetzt ist noch ein Nachschlag zum Yesterday von den Beatles fällig. Damals, in den 60ern, war das Stück für die Fans härterer Rock-Ware eine schnulzige Zumutung. Liebeslied an eine Verflossene, was für ein Sirup! Damals haben wir den Text höhnisch umgedichtet: "Chesterday! Heut‘ gibt’s kein‘ Gouda, heut‘ ist Chesterday." 22 Sekunden, nachdem Paul McCartney mit Daumen und Zeigefinger die Saiten seiner Gitarre zupfte, drängen sich Cello, zwei Violinen und Viola in die Ohren. Heute gelten Streichinstrumente vielerorts als E-Gitarre des reiferen Publikums. Im Alter wird halt mancher weiser. Und weicher! Aber war’s echt besser früher? Der hinterlistige Heinz Erhardt hatte da einen Vorschlag: "Früher war alles gut, heute ist alles besser. Es wäre besser, wenn wieder alles gut wäre." (Rainer M. Gefeller)+++

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